BKAÄ: Kampf gegen Corona – Intensive Systemüberlastung

25.01.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK, Coronavirus

Ärzte und Pfleger auf den Corona-Intensivstationen arbeiten seit Monaten im roten Bereich, viele wechseln ausgebrannt den Job oder die Station. Sie berichten darüber, dass die Intensivbetten überwiegend mit ungeimpften Patienten belegt sind und dass andere wichtige Operationen verschoben werden müssen. Wie es auf den Stationen wirklich aussieht und was sich die Experten für die Zukunft wünschen – ein Situationsbericht.
Thorsten Medwedeff

Im Klinikum Wels-Grieskirchen in Oberösterreich sind die Intensivstationen voll. Rund 70 Prozent der Patienten sind zuvor an COVID-19 erkrankt – und alle, die zum Zeitpunkt dieser Momentaufnahme der Österreichischen Ärztezeitung auf der chirurgischen Intensivstation behandelt werden, für die Primarius Johann Knotzer zuständig ist, sind ungeimpft. Ein ähnliches Bild zeigt sich auf den vier Intensivstationen, die im AKH Wien für COVID-Patienten eingerichtet wurden. Menschen mit „Impfdurchbrüchen“ gibt es auf den Intensivstationen in Wels und Wien keine. Alle, die bisher trotz Impfung mit schweren Verläufen eingeliefert wurden, sind wegen Transplantationen oder Krebsbehandlungen immunsupprimiert.

„Diese Menschen sind verzweifelt und würden sich zehnmal impfen lassen, aber ihr Immunsystem spricht einfach nicht darauf an“, betonen Knotzer und der Wiener Herzchirurg Martin Andreas unisono. Andreas ist Kuriensprecher im Senat der Med-Uni Wien für den Mittelbau und wissenschaftlicher Betriebsrat im AKH Wien: „Es ist auch unbedingt notwendig, dass die Medien endlich damit aufhören, zu melden, es gäbe noch freie Intensivbetten in Österreich. Das gibt es nie. Jedes Bett ist sofort belegt. Das ist die Realität.“

In Knotzers Abteilung gab es in den vergangenen Monaten deutlich mehr Versetzungsgesuche in der Pflege als üblich. Das Personal ist ausgebrannt, der psychische und physische Druck enorm. COVID-Patienten liegen, so der Leiter des Instituts für Anästhesiologie und Intensivmedizin, durchschnittlich 18 Tage auf der Intensivstation, im Wiener AKH, wo aktuell die schwersten Fälle aus ganz Österreich behandelt werden, die eine Unterstützung der kollabierten Lunge durch ECMO (extrakorporale Membranoxygenierung; sie übernimmt teilweise oder vollständig die Lungenfunktion) benötigen, sind es sogar 20 bis 25 Tage. Zum Vergleich: „Ein durchschnittlicher, chirurgischer Intensivpatient bleibt viereinhalb, ein herzchirurgischer zweieinhalb Tage.“

„Onkologische Eingriffe, Traumata oder ,akute Bäuche‘ müssen verschoben werden, so Knotzer. Und weiter: „Davon betroffen sind zum Beispiel auch Menschen mit einem hepatozellulären Karzinom, die eine Leberteilresektion brauchen. Das geht auf Kosten der Lebensqualität der Betroffenen – und des Spitalspersonals.“

Für die Pflege und Betreuung von COVID-19-Patienten ist bis zu 25 Prozent mehr Personal nötig, dieses steht ständig unter Stress und Zeitdruck, das mühsame Ein- und Ausschleusen mit der Schutzausrüstung geht an die Substanz. Psychisch wie physisch. Knotzer: „Und vor dem Betreten der Intensivstation muss man sich überlegen, ob man alles mitgenommen hat, was wichtig ist, aber auch so banale Fragen wie ‚Wann esse ich?‘ oder ‚Wann gehe ich am besten aufs WC?‘. Das ist sehr belastend.“

Dieselbe Situation herrscht im AKH Wien, Entlastung für das Spitalspersonal gibt es nicht. „Wenn die Corona-Welle sehr stark ist, ist alles mit COVID-19-Erkrankten voll. Ebbt die Welle ab, ebbt aber das Stress-Level nicht ab – denn dann rücken jene Nicht-COVID-Fälle nach, die ebenso intensive Betreuung brauchen“, berichtet Klaus Markstaller, Leiter der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie der MedUni Wien/AKH Wien.

Da im AKH nur die schwersten Fälle behandelt werden, kommt zum generellen Druck eines dazu: Es gibt kaum Erfolgserlebnisse für die behandelnden Ärzte und Pfleger. Markstaller erklärt: „Entweder werden die Patienten, wenn es ihr verbesserter Zustand erlaubt, in andere Spitäler verlegt, um bei uns Platz für neue schwere Fälle zu machen – oder die Patienten versterben.“ Das erhöht den psychischen Druck. Das Personal ist am Limit – es gibt keine weiteren Ressourcen.

Spezialeinheiten bilden

Daher müsse man jetzt handeln und die Rahmenbedingungen so rasch wie möglich ändern, um künftig besser vorbereitet zu sein. Markstaller schlägt daher die Ausbildung von „Spezialeinheiten“ vor, die sich aus Pflegern und Ärzten aus anderen Bereichen im Spital rekrutieren. „Wir sollten das jetzt parallel starten und diese so ausbilden, dass sie im Notfall von ihrer angestammten Klinik sehr rasch auf eine Intensivstation wechseln und dort vollwertig eingesetzt werden könnten. Dazu muss man aber motivierende Anreize schaffen wie entsprechende Bezahlung oder flexible Arbeitszeitmodelle.“ Wenn jemand jetzt beginnt, um als Arzt oder Pfleger auf einer Intensivstation zu arbeiten, dauert die entsprechende Ausbildung mindestens vier bzw. sechs Jahre. Greift man aber auf medizinisch vorgebildetes Personal zurück, ginge dies in kürzerer Zeit.

Weiters wäre, so Markstaller, eine zentrale Koordinierungsstelle für ganz Österreich wünschenswert, die in Absprache mit den Spitälern dafür sorgt, dass der Erkrankte exakt und rasch dorthin kommt, wo er optimal versorgt werden kann und wo auch wirklich noch Platz ist. Quasi eine koordinierte Effizienzsteigerung. „So eine Stelle gibt es aktuell nicht – derzeit läuft diese Planung im persönlichen, klinikübergreifenden Kontakt.“

Ausbildungsoffensive wünschenswert

Die Zahl der Intensivbetten in Österreich wird seit Jahren heftig, auch in den Medien, diskutiert. Vor einigen Jahren noch wurde eine Verringerung – auch von der Politik – gefordert, jetzt dagegen ist die geringe Zahl in der öffentlichen Diskussion umstritten. Mehr Betten, da sind sich die Experten einig, sind durchaus wünschenswert, lösen aber die akuten Probleme der aktuellen Krise auch nicht. Ohne top-ausgebildetes, zusätzliches Personal sind zusätzliche Intensivbetten wertlos. „Österreich ist ein reiches Land. Ein Bett zu kaufen, kann nicht das Problem sein“, sagt Knotzer. „Aber gutes Personal kann ich mir nicht kaufen.“ Daher müsse gleichzeitig eine starke Ausbildungsoffensive für Intensivkräfte her – am besten sofort. „Das hat die Österreichische Ärztekammer bereits mehrfach von der Politik gefordert. Von dieser Seite müssen die motivierenden Anreize kommen, einen Berufsweg in diesem hochinteressanten Fach in der High-End-Spitzenmedizin, zu dem ja auch die Anästhesie zählt, einzuschlagen.“

Stadt Wien unterstützt AKH-Initiative

Im AKH Wien kämpft man seit einigen Jahren um mehr Betten und gleichzeitig um dafür ausgebildetes Personal. Im medizinischen Masterplan des AKH für 2020 wurde bereits 2017 errechnet, dass 186 Intensivbetten optimal wären. Derzeit sind es 126. „Unsere dahingehenden Forderungen wurden damals von der Politik abgewiesen, obwohl auch die Evaluierung durch eine externe Agentur im Jahr 2019 zu demselben Ergebnis gekommen war“, berichtet Andreas. „Wir haben im Senat der MedUni Wien beschlossen, dass wir uns nicht geschlagen geben und zwei Briefe an die Bundesregierung und die Stadt Wien geschrieben – mit dem Ergebnis, dass die Stadt nun zugesagt hat, die Intensivbetten im AKH Wien auf 166 aufzustocken. Wir haben von Bürgermeister Michael Ludwig und Gesundheitsstadtrat Peter Hacker die offizielle Zusage, jetzt schauen wir, dass wir damit in den regionalen Gesundheitsplan kommen.“ Leider gebe es aber seitens des zuständigen Magistrats leichten Widerstand. „Dieser ist mir völlig unverständlich und eine totale Realitätsverweigerung!“, ärgert sich Andreas. „Damit noch nicht geklärt ist auch die Personalsituation.“

Impfen als wirksamstes Mittel

Solange die beschriebenen Strategien noch nicht laufen oder greifen, bleibt nur ein Mittel, da sind sich die Experten ebenso einig: Impfen! „Das ist derzeit das wirksamste Instrument, um die Intensivstationen wirklich zu entlasten“, betont Markstaller. Er setzt für die Zukunft aber auch vermehrt auf die vielversprechende Medikamenten-Entwicklung. Die Gabe von monoklonalen Antikörpern, um bei positivem PCR-Test einen schweren Verlauf zu verhindern, sei hier nur der erste aktuelle Schritt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 01-02 / 25.01.2022