BKAÄ: Interview Daniel von Langen – Etwas Neues wagen

10.03.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Der Anästhesist Daniel von Langen, Turnusärztevertreter und stellvertretender Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte in der Österreichischen Ärztekammer, spricht im Interview mit Thorsten Medwedeff über die Notwendigkeit, neue Wege bei den Arbeitsbedingungen und Arbeitsmodellen für Ärzte einzuschlagen.

Bei uns ausgebildete Ärzte wechseln zahlreich ins Ausland, Tendenz steigend – was können wir dagegen tun? Wir müssen endlich auch mal darüber reden und nachdenken, was die Ärzte heutzutage brauchen und uns nicht ständig ausschließlich die Frage stellen: „Was braucht die Versorgung?“ Wir haben längst nicht mehr jene Situation wie in den siebziger oder achtziger Jahren, als jeder glücklich war, irgendwo eine Stelle zu bekommen. Es müssten schon längst neue Modelle her, die den Ärzten neue Möglichkeiten zur Entfaltung, mit Rücksicht auf die Work-Life-Balance, bieten und die gleichzeitig die Versorgungsanforderungen in Österreich abdecken. Unsere Ärzte gelten als Exportschlager und werden überall auf der Welt mit offenen Armen empfangen. Wir müssen dringend darauf achten, sie im Land zu halten und vielleicht gleichzeitig sogar danach trachten, die Arbeitsbedingungen in unseren Spitälern derart zu verbessern, dass wir wiederum als Arbeitgeber für Top-Ärzte aus anderen Ländern mit einem ähnlich hohen Ausbildungsniveau wie in Österreich attraktiv werden.

Was ist das Problem am aktuellen Versorgungssystem? Unserem System fehlt die nötige Flexibilität und Durchlässigkeit, um den Bedürfnissen der modernen Arbeitswelt gerecht zu werden. Es gibt eine viel zu strikte Trennung in die Bereiche angestellt und freiberuflich. Eine Mischung aus beidem bleibt für viele eine Wunschvorstellung. Dazu müsste man die Möglichkeiten zur Arbeit in Teilzeit ausbauen – weg von dem Gedanken, dass nur Vollzeit sinnvoll für das Krankenhaus ist, hin zu mehr Flexibilität. Die Karrierechancen für Teilzeitbeschäftigte sollten ebenfalls verbessert werden. Auf der anderen Seite fühlen sich Mitarbeiter des Solidarsystems inzwischen oft ausgebeutet: von Ihnen wird Solidarität erwartet, während sie selbst keine solche erfahren, denn die Arbeitsverdichtung in den öffentlichen Spitälern ist enorm. Die Mitarbeiter sollen also immer produktiver sein, aber keinen Anteil an dieser Produktivitätssteigerung haben. Die Pandemie hat hier für viele wie ein Brandbeschleuniger gewirkt, da man durch ökonomische Nutzenmaximierung in den vergangenen Jahrzehnten viele Vorhalte-Kapazitäten abgebaut hat, welche nun gefehlt und zur völligen Überlastung der einzelnen Bereiche geführt haben.

Welche Konsequenzen drohen? Ich persönlich kenne kaum einen Arzt unter 40, der sich vorstellen kann, bis zum Ende seiner beruflichen Laufbahn Vollzeit in einem öffentlichen Spital zu arbeiten. Sehr viele reden davon, nach der Facharztausbildung das öffentliche System zu verlassen, sei es in einem privaten Spital oder auch in der Nieder­lassung als Wahlarzt. Dafür gibt es viele Gründe: Work-Life-Balance, Wertschätzung der persönlichen Leistung, besseres Einkommen oder einfach grundsätzlich mehr Selbstbestimmtheit. Ein Spitalsarzt leistet derzeit bis zu sechs – in manchen Fällen sogar bis zu acht – 25-Stunden-Dienste. Gerade in der Akut­versorgung bedeutet so ein Dienst nicht selten weniger als vier Stunden Schlaf. Wer möchte so auf Dauer arbeiten? Ohne ein kritisches Überdenken dieser Arbeitsmodelle und neue Angebote wird sich der Mangel an Spitalsärzten in den nächsten Jahren massiv verstärken. Auch fehlen die in anderen Ländern selbstverständlichen Hilfen im psychischen Bereich. Supervision scheint in vielen Bereichen des Arztberufes ein Fremdwort, dabei sollte die Verarbeitung von bei der Arbeit erlittenen Traumata doch auch Teil der Arbeit und nicht des ‚Privatvergnügens‘ sein.

Welche Modelle könnten Abhilfe schaffen? Im Bereich der hausärztlichen Versorgung gefällt mir persönlich das flexible Schweizer Modell sehr gut. Hier können Ärzte sich Hausarztstellen teilen und mit ihrer restlichen Arbeitskraft frei umgehen. Es ist möglich, weiter Dienste in Krankenhäusern zu machen – sowohl in Akutambulanzen, als auch auf Stationen – und so im aktiven Austausch mit den weiter versorgenden Einrichtungen zu bleiben. Andere arbeiten verstärkt als Notärzte. Das führt gleichzeitig auch dazu, dass wichtige, technische Kompetenzen in die Hausarztpraxen kommen. Gift für eine positive Veränderung war und ist die Verlängerung des Opt-Out im KA-AZG. Man müsste stattdessen, wie etwa in Dänemark, wo es eine 37-Stunden-Woche gibt, endlich die Personalplanung auf das im Vertrag vereinbarte Arbeitsausmaß auslegen. Natürlich soll es auch weiter möglich sein, darüber hinaus zu arbeiten: es blieben 20 Prozent ‚Reserve‘, um die 48 Stunden auszureizen. Darüber hinaus sollten Ärzte freiberuflich zu marktkonformen Preisen entlohnt werden. Das System in Österreich ist nicht mehr zeitgemäß und auch nicht mehr zeitgemäß ausfinanziert und wird in naher Zukunft zu Versorgungsengpässen führen – es muss dringend Geld für eine qualitative Ausbildungsoffensive, wie von der Bundeskurie der angestellten Ärzte in der Österreichischen Ärztekammer seit Jahren gefordert, und für die Besetzung vakanter Stellen im Spital, egal ob bei Ärzten oder beim Pflegepersonal, bereitgestellt werden.

Woher sollen diese finanziellen Mittel kommen? Das Geld ist meiner Ansicht nach da. Ende des vergangenen Jahres hat der Bund den Ländern ein Spitalspaket von 750 Millionen Euro zugesagt. Diese müssen dorthin fließen, wo unsere allerwichtigste Ressource liegt, zum Spitalspersonal. Auch das Geld aus der nunmehr fix abgesagten Impflotterie soll ja unter anderem ins Gesundheitswesen fließen. Die generelle Frage ist auch, was die öffentliche Gesundheitsversorgung heutzutage können muss und wie wir bei deren Finanzierung über das Bruttoinlandsprodukt etwa im Vergleich mit anderen OECD-Ländern dastehen. Ich glaube, unsere Versorgung ist noch sehr gut – aber es geht noch besser.

Wie könnte dafür gesorgt werden, dass es besser wird? Es sollte wirklich gut überlegt werden, wo und wie ins Gesundheitssystem investiert werden muss, um zukunftsfit zu sein – mit ausreichend Personal in Ärzteschaft und Pflege, aber auch mit einer qualitativen Ausbildungsoffensive und einem koordinierenden Ausbildungsarzt in jeder Abteilung, in der ausgebildet wird. Jede nachhaltige Investition in unser Gesundheitssystem wird sich durch die dadurch vermiedenen Folgekos­ten in kurzer Zeit amortisieren. Insbesondere die Pandemie hat uns deutlich aufgezeigt, dass das Gesundheitssystem eines Landes nicht wie ein x-beliebiger Budgetposten behandelt werden darf. Was wir, gemessen am Bruttoinlandsprodukt für Gesundheit ausgeben, ist ausbaufähig: In Deutschland und der Schweiz werden schon jetzt am BIP gemessen 1,5 bzw. 2 Prozent mehr für das Gesundheitssystem ausgegeben. Während dort die Ausgaben pro Kopf von 2013 bis 2019 um rund 2,5 Prozent gestiegen sind, beträgt die Wachstumsrate in Österreich nur 1,1 Prozent.

Was passiert, wenn wir nicht umdenken? Wir müssen dringend in unser Solidarsystem investieren, in die Pflege und in den ärztlichen Bereich, sonst steuern wir auf ein System wie in Großbritannien zu: Die basale Versorgung gibt es dort zwar für alle, Spitzenmedizin aber nur für jene, die es sich leisten können. Denn in den privaten Spitälern funktioniert es ja. Dort wird ärztliche Leistung belohnt – dort gibt es Bonus-Malus-Systeme, über die man auch im öffentlichen Bereich nachdenken kann. Und wir sollten uns fragen: Was ist das Ziel der öffentlichen Versorgung? Meiner Meinung nach ist es die qualitativ hochwertige Versorgung für alle – sonst wir driften ab in Richtung Zwei-Klassen-Medizin. Die ersten Tendenzen sind bereits erkennbar: Bereits über drei Millionen Österreicher haben eine Zusatzversicherung, die ihnen eine persönlichere Betreuung im Spital sichert. Das ist ein Drittel der Bevölkerung! Das zeigt, dass die Bevölkerung, sofern sie es sich leisten kann, im Gegensatz zu den politischen Entscheidungsträgern das Problem erkannt hat. Auch für das Pflegepersonal bedarf es neuer Anreize, sonst wird sich die Versorgung dramatisch verschlechtern. Ich habe erst kürzlich vorgeschlagen, dass man die Arbeit in der Pflege auf 35 Wochenstunden reduzieren sollte, bei 20 Prozent mehr Gehalt – wir müssen schauen, dass wir attraktiv werden und gut ausgebildetes Personal nach Österreich kommt. Das schaffen wir nur, wenn wir nicht nur auf die Konzepte anderer Länder reagieren, sondern mutig vorangehen und etwas Neues wagen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 05 / 10.03.2022