BKAÄ: Diskussion um teure Medikamente: Der Mensch im Mittelpunkt

10.06.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

In der Diskussion um den Zugang zu hochpreisigen Therapien und deren Finanzierung bezieht die Österreichische Ärztekammer eine klare Stellung: Die Entscheidung liegt zunächst beim behandelnden Arzt und in der medizinischen Notwendigkeit begründet. Ökonomische Interessen dürfen hier keine Rolle spielen.

Thorsten Medwedeff

Insbesondere die medikamentösen Therapien zur Behandlung seltener Erkrankungen sind aus vielerlei Gründen mitunter extrem kostspielig. Ob die Finanzierung dieser hochpreisigen Medikamente – wir sprechen hier teilweise von hohen fünfstelligen Euro-Beträgen pro Behandlung – im Krankenhaussektor erstattet wird, ist Sache der Bundesländer. Dabei gibt es selbst innerhalb Österreichs große Unterschiede, was genehmigt wird und was nicht. „Nur dauert es oft Monate, bis eine Entscheidung getroffen wird. Niemand will Nein zu einer teuren Therapie sagen, auch wenn es eigentlich kein Budget dafür gibt. Am liebsten wäre es der Politik, wenn wir Spitalsärzte einfach auf ein – wenn überhaupt verfügbar – billigeres Medikament, eine kostengünstigere Therapie zurückgreifen oder die Verschreibung überhaupt aufgrund von ökonomischen Gesichtspunkten ablehnen und so die Entscheidung vorwegnehmen würden“, beschreibt Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, das Dilemma.

Das kann, wie bei einem bekannten Fall in Graz bei einem Patienten mit der Muskelkrankheit SMA (Spinale Muskelatrophie), sogar dazu führen, dass die Übernahme der Behandlungskosten nach Jahren gerichtlich durchgesetzt werden muss. Und das ist kein Einzelfall. „Das kann natürlich nicht der Weg sein, den wir uns für unsere Patienten, die dringend ein bestimmtes Medikament brauchen, wünschen“, sagt Mayer. „Denn in der Zwischenzeit, bis das Urteil gefällt wird, ist nicht damit zu rechnen, dass es dem Patienten aus heiterem Himmel plötzlich besser geht. Das Gegenteil ist eher der Fall.“

Freie und unabhängige medizinische Indikation

Die Stellung der Österreichischen Ärztekammer dazu ist jedenfalls klar: „Die Ärzte müssen frei und ‚lege artis‘ sowie nach bestem Wissen und Gewissen sowie aufgrund der wissenschaftlichen Gesichtspunkte entscheiden können, ob ein Behandlungsverfahren – wie kostenintensiv es auch sei – aus medizinischer Notwendigkeit zu empfehlen ist, oder nicht – und zwar frei von ökonomischen und politischen Zwängen“, betont der Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. „Keineswegs darf man von den behandelnden Ärzten im Spital verlangen, diese Entscheidung auch nach Kostenaspekten abzuwägen. Das würde unsere ärztliche Unabhängigkeit gefährden.“

Diese Entscheidung obliegt, so die Ansicht der Österreichischen Ärztekammer, allein bei den für die Bezahlung verantwortlichen Krankenhausträgern, sprich: den Bundesländern. Und hier gibt es – wie eingangs erwähnt – von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Handhaben, was auch zu einer ungleichen Versorgung der Patienten in den Ländern führt. Mayer: „Wer also in einem Bundesland wohnt, in dem die Entscheidungsträger teuren Therapien zugeneigt sind, hat Glück. Nur sollte Glück kein Kriterium in der Medizin sein. Im Mittelpunkt muss der Mensch stehen und das, was ihm aus Sicht des behandelnden Arztes am besten hilft.“

Die Realität sieht aber anders aus: Bedauerlicherweise führen das System der Krankenanstalten-Finanzierung und die von den einzelnen Bundesländern geschaffenen medizinischen Innovationsboards dazu, dass die Versorgung mit hochpreisigen Medikamenten und Therapien völlig unterschiedlich ist, und bestimmte Patienten, abhängig von ihrem jeweiligen Wohnsitz, teure Therapien erhalten, oder ihnen diese – bei identer medizinischer Indikation – vorenthalten werden. Problematisch sei es aktuell zudem, dass es noch nicht in jedem Bundesland ein Innovationsboard gebe und auch, dass oft nicht dieses Expertenboard allein durch Mehrheitsbildung, sondern letztlich trotzdem der Vorstand eines Krankenträgers darüber entscheide, ob ein Patient ein womöglich lebensrettendes Medikament erhält. „Daher wäre es wünschenswert, wenn der Zugang zu bestimmten Medikamenten – wofür es auch bereits einige erfreuliche Präzedenzfälle gibt – bundesweit einheitlich geregelt werden könnte“, erwartet sich Mayer.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2022