Horizonte: Alagille und die Neugeborenen-Cholestase

10.05.2021 | Service

Dass es einen Zusammenhang zwischen Cholestasen beim Neugeborenen und anderen spezifischen Fehlentwicklungen gibt, erkannte der französische Arzt Daniel Alagille. Das nach ihm benannte Syndrom erfordert eine speziell adaptierte Ernährung. Oftmals ist die Lebertransplantation die einzige Option.

Daniel Alagille war ein französischer Biochemiker und Pädiater, der auf pädiatrische Hepatologie und die Forschung zu kindlichen Lebererkrankungen spezialisiert war. Im Jahr 1925 in Paris geboren, studierte er an der dortigen Universität Medizin. Später war er an der Université Paris­Sud tätig, wo er ab 1971 als ordentlicher Professor angestellt wurde. Er leitete viele Jahre eine Einheit für pädiatrische Hepatologie am Bicêtre Hospital in Paris, bevor er 1990 schließlich in Pension ging. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit war Alagille außerdem Chefredakteur der Zeitschrift Revue internationale d‘hépatologie und den Archives francaises de pédiatrie. 1967 erhielt er den nationalen Verdienstorden Frankreichs, 1988 folgte die Aufnahme in die Ehrenlegion. Im Jahr 1994 wurde er zum dritten Empfänger des Andrew Sass Kortsak Awards der Canadian Liver Foundation. Im Jahr 2005 starb er an den Folgen einer Herz-­Operation.

Das nach dem Kinderarzt benannte Alagille­Syndrom beschrieb der engagierte Hepatologe erstmals 1969 – ihm fiel eine Reihe von Patienten mit Störungen des Gallengangs auf, die gleichzeitig Probleme in anderen Organsystemen wie dem Herzen sowie Veränderungen im Gesicht zeigten. Alagille war es, der die initialen Kriterien für die Diagnose dieser seltenen Erkrankung etablierte.


Alagille-Syndrom: Die wichtigsten Symptome

  • Multiple Herzerkrankungen: Pulmonalstenose
  • Veränderungen des Skeletts: verkürzte Elle, Klinodaktylie, Schmetterlingswirbel
  • Dysmorphien des Gesichts: verbreiterte Stirn, schmales Kinn, tiefliegende Augen, Hypertelorismus
  • Cholestase mit Ikterus, besonders bei Neugeborenen
  • Störungen an Augapfel und Sehnerv: posteriores Embryotoxon (Schwalbe-Linie als heller Trübungsring an der Cornea)

Komplexe Symptomatik

Das autosomal dominant vererbte Alagille­Syndrom – auch bekannt unter dem Namen arteriohepatische Dysplasie – äußert sich durch eine Hypoplasie der intrahepatischen Gallenwege. Häufig treten ein Ikterus und teils quälender Juckreiz in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes auf. Das Alagille-Syndrom entstammt Mutationen des Jagged­-1­ oder des Notch­-2­-Gens, die für die embryonale Entwicklung von Bedeutung sind. Die Rate für die Entstehung von Neumutationen liegt bei etwa 50 Prozent – jeder Träger einer der angeführten Mutationen erkrankt auch phänotypisch am Alagille­Syndrom. Die Ausprägung der Erkrankung variiert aber stark. Es kommt einerseits zu einer gestörten Gallengangsentwicklung, andererseits sind auch Herz (Pulmonalstenose), Skelett (Rippen­ und Wirbelkörperabnormalitäten), Augen und Nieren betroffen. Die Betroffenen weisen eine typische dreieckige Facies mit breiter Stirn und spitzem Kinn auf. Genaue Fallzahlen sind nicht bekannt; Schätzungen gehen von einer Häufigkeit zwischen 1:80.000 und 1:100.000 aus. 

Erste Hinweise auf das Alagille­Syndrom bestehen oft schon bei der Geburt durch eine ausgeprägte Cholestase mit Erhöhung des direkten Bilirubins. Die bei der Erkrankung häufig auftretende ungewöhnliche Gesichtsform weist außerdem auf die spezielle Pathologie hin. Bleibt die Cholestase länger als 14 Tage bestehen, liegt spätestens dann ein Verdacht auf eine cholestatische Krankheit vor, die weiterer Abklärung bedarf – das Alagille­Syndrom zählt dann zu den Differentialdiagnosen. Weitere Differentialdiagnosen sind andere angeborene Cholestase­Syndrome wie die familiäre intrahepatische Cholestase (Byler­Syndrom); erworbene Formen wie Alpha1­Antitrypsinmangel, Toxoplasmose, Röteln oder Virushepatitis (CMV, Herpesvirus, HBV, HCV) kommen ebenso infrage.

Leber-Biopsie und Gen-Analye

Um festzustellen, ob ein Alagille­Syndrom vorliegt,  wird oftmals eine Biopsie der Leber veranlasst. In der Histologie werden eine Rarefizierung der Gallenwege sowie daraus resultierend kompensatorische Gallengangswucherungen und Fibrosierungen von den Portalfeldern ausgehend sichtbar. Klarheit schafft letztendlich eine genetische Analyse. Eine Abklärung weiterer Fehlbildungen, die bei Alagille vorkommen wie zum Beispiel die typische Gesichtsdeformität, Herzfehler, Nierendysplasie mit Einschränkung der Nierenfunktion oder Fehlbildungen der Wirbelsäule, gehören ebenso zur umfassenden Diagnostik. 

Kasai-Methode: Outcome fraglich

Mit der sogenannten Kasai-­Operation – eine vom japanischen Kinderchirurgen Morio Kasai Ende der 1950-er Jahre entwickelte Methode –, die üblicherweise in den ersten Lebenswochen des Kindes durchgeführt wird, versucht man, durch Anastomosierung der zentralen Gallengänge mit dem Dünndarm eine suffiziente Ableitung der Galle zu erreichen. Eine Metaanalyse* aus dem Jahr 2018 kam jedoch zu dem Schluss, dass der Outcome bei Kindern, die nach Kasai operiert wurden, eher unzureichend war. So war die Mortalität nach dem Eingriff höher und die Notwendigkeit einer Lebertransplantation eher gegeben, als ohne chirurgische Intervention. Den größten Erfolg bei der Therapie von Alagille verspricht die Lebertransplantation, solange die Vorbedingungen dafür stimmen. So steigt das Risiko von Komplikationen durch den Eingriff bei zusätzlichen Anomalien am Herzen oder an den Nieren beträchtlich. Wesentlicher Baustein der Behandlung ist jedenfalls eine Anpassung der Ernährung. Der Gallenmangel im Darm führt zur gestörten Fettverdauung und einer beeinträchtigten Aufnahme fettlöslicher Vitamine, wodurch eine Substitutionstherapie indiziert ist. Eine reichhaltige und leicht verdauliche Kost wird empfohlen. Invasive Maßnahmen wie eine Plasmapherese sind häufig nötig. Die Kinder leiden darüber hinaus oft unter einem quälenden Juckreiz, dessen Schwere bei Neugeborenen schwer einzuschätzen ist – komplette Erleichterung dafür gibt es allerdings nur durch die Lebertransplantation. (JW)

*Fujishiro J. et al.: Outcomes of Alagille syndrome following the Kasai operation: a systematic review and meta-analysis. Pediatr Surg Int. 2018; 34: 1073-1077

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2021