Akupunktur: Von der Anästhesie zum ÖÄK-Diplom

10.09.2021 | Service

Die mehr als 2.500 Jahre alte aus China stammende Akupunktur kommt seit vielen Jahrzehnten auch in Europa zum Einsatz. Erstmals 1972 in Österreich angewandt, wurde – fast 40 Jahre, nachdem die Akupunktur nach Österreich gekommen war, – ein ÖÄK-Diplom geschaffen.
Manuela-C. Warscher

Der Durchbruch gelang der Akupunktur in Österreich und Europa in den 1970er Jahren in der Wiener Poliklinik mit einer Tonsillektomie, bei der die Analgesie mittels Akupunktur erfolgte. Zu dieser Zeit waren zwar die „Nadel-Praxen“ – wie jene Ordinationen genannt wurden, in denen Akupunktur angeboten wurde – in aller Munde, aber ihr Einsatz in der Anästhesie außerhalb von Asien eine Premiere. Der Chirurg Johannes Bischko war es, der diesen Eingriff durchführte. „Die Operation hat ausreichend gut funktioniert, um die Sensation perfekt zu machen“, erzählt Prof. Gertrude Kubiena aus Wien, die diese erste Operation 1972 „via schwarz-weiß Fernseher“ mitverfolgte. Für Kubiena war damals klar: „Das muss ich lernen. Das will ich machen.“

Und so geschah es auch. Kubiena absolvierte die einwöchige Akupunktur-Ausbildung von Bischko im Haus der Ärzte am Wolfgangsee. „Ich hatte das Wahnsinnsglück, dass ich an der Poliklinik famulieren konnte, war jeden Mittwoch dort, sah zu und durfte irgendwann mal die erste Nadel stechen.“ Noch im selben Jahr – 1972 – eröffnete Kubiena ihre HNO-Ordination in Wien – mit einer erfolgreich abgeschlossenen Akupunktur-Ausbildung in der Tasche. Im Laufe der Jahre hätten allerdings die HNO-Behandlungen immer mehr ab und die Akupunkturen immer mehr zugenommen. „Wenig überraschend“ für Kubiena, denn lediglich 20 Prozent der Patienten, die sich Akupunkturbehandlungen unterziehen, gelten als Non-Responder.

Die Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren wandte über viele Jahre Akupunktur in ihrer Ordination sowohl in der Schmerztherapie und auch anderen Indikationen an, wurde 1987 Präsidentin der Vereinigung „Med Chin“, schrieb mehr als 20 Fachbücher und organisierte ab 1999 Postgraduelle Lehrgänge für Chinesische Diagnostik und Arzneitherapie für das Diplom der Österreichischen Ärztekammer. Im Laufe der Jahre habe sich – so Kubiena – vor allem das Verständnis für Akupunktur verändert: War sie ursprünglich ein „unbekanntes Wesen“, gelangte man vor allem in den 1970er Jahren zu „ganz grundlegenden Erkenntnissen, worauf oder wann Akupunkturpunkte reagieren“.

Anfang der 1990er Jahre wurde das ÖÄK Diplom Akupunktur geschaffen – fast 40 Jahre, nachdem Bischko die Akupunktur nach Österreich gebracht hatte und 30 Jahre nach ihrer Anerkennung als wissenschaftliche Heilmethode im Jahr 1986. Für die ärztlichen Anwender war es in all diesen Jahren wichtig, Forschung, Lehre und Therapie zu verbinden. Waren es zu Beginn vor allem ältere Kollegen, die sich mit Akupunktur beschäftigten, folgte die Phase, als viele Ärzte arbeitslos waren und sich der Akupunktur-Ausbildung zuwandten, wie Kubiena erzählt. Heute hat jeder zehnte Arzt in Österreich das Diplom für Akupunktur absolviert; die überwiegende Zahl der mehr als 4.000 Anbieter ist weiblich. „Die Zahl der Diplomanbieter nimmt allerdings wieder ab, weil sich Fortbildungen nicht mehr so einfach realisieren lassen, nachdem Sonderurlaube schwierig zu bekommen sind“, bedauert Kubiena.

Rückblick und Ausblick

Letztlich gehe es nicht um ein „entweder – oder“: Akupunktur solle ergänzend zur Schulmedizin im Sinne einer ganzheitlichen Medizin angewendet werden, so Kubiena. Ihrer Ansicht nach sei für die Akupunktur „vieles bereits nachgewiesen und vieles eben noch nicht bekannt“. Für Kubiena, die auf mehr als 40 Jahre Praxis in diesem Bereich zurückblickt, ist sie eine der „wunderbarsten und akut Erfolg versprechendsten Methoden der Medizin“.

So kann Kubiena auf ein Arbeitsleben voll an Erkenntnissen, beeindruckenden Erfolgen, aber auch schwierige Zeiten zurückblicken. „Immerhin war die Akupunktur damals für uns alle Neuland. Heute ist sie in der westlichen Welt salonfähig. Sie ist gefahrenlos und war über viele Jahre für mich und die Patienten eine Freude. Auch Ärzte brauchen Erfolgserlebnisse …“ Und davon, dass auch die junge Ärzte-Generation solche Erfolgserlebnisse haben wird, davon ist Kubiena fest überzeugt …

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 /10.9.2021