Por­trät Syl­via Spe­ran­dio: Medi­zin-Kom­mando in Frauenhand

25.10.2021 | Politik

Als eine der ers­ten Sol­da­tin­nen rückte Syl­via Spe­ran­dio nach der Öff­nung des Bun­des­heers für Frauen ein und erlebte in zahl­rei­chen Aus­lands­ein­sät­zen exis­ten­ti­elle Bedro­hun­gen. Seit 2017 lei­tet sie das mili­tä­ri­sche Gesundheitswesen.
Ursula Scholz

In ihrem Bei­trag Sicher­heits­ri­siko Pan­de­mie für die „Sicher­heits­po­li­ti­sche Jah­res­vor­schau 2020“ hat Bri­ga­dier Syl­via Spe­ran­dio geschil­dert, mit wel­chen Aus­wir­kun­gen ein Erre­ger auf ein man­gel­haft vor­be­rei­te­tes Öster­reich tref­fen könnte. Ihre nüch­terne Erklä­rung für die prä­gnante Vor­her­sage: „Meine Risi­ko­be­ur­tei­lung hat sich aus den über all die Jahre gesam­mel­ten Daten sub­sum­miert.“ Auch sie habe nicht ahnen kön­nen, wel­cher Erre­ger die Pan­de­mie aus­lö­sen würde. „Corona-Viren stan­den unter eini­gen ande­ren auf der Blue­print List of Prio­rity Dise­a­ses der WHO, aber auch die soge­nannte Dise­ase X, also eine zuvor unbe­kannte Erkran­kung.“ Wich­tig sei es, struk­tu­rell vor­be­rei­tet zu sein, um die jewei­li­gen Erre­ger rasch detek­tie­ren zu kön­nen und im Rah­men des staat­li­chen Kri­sen- und Kata­stro­phen­ma­nage­ments SKKM rasch ins Tun und Han­deln zu kommen.

Anpa­cken, was kommt

Der Wunsch von Spe­ran­dio, Ärz­tin zu wer­den, ent­stand als Kind so früh, dass sie selbst nicht sagen kann, woher er kam – aber er war immer klar. Weni­ger klar war der Weg zur Offi­zie­rin und Lei­te­rin des mili­tä­ri­schen Gesund­heits­we­sens, erschien dies in den 1970er-Jah­ren vor der Inte­gra­tion von Frauen in das Bun­des­heer noch undenk­bar. Nach ihrer Tur­nus­aus­bil­dung im Kran­ken­haus St. Pöl­ten und der Öff­nung des Bun­des­hee­res für Frauen rückte die gebür­tige Ober­ös­ter­rei­che­rin im Juni 1998 als eine der ers­ten Sol­da­tin­nen ein. Inner­halb der Hee­res­me­di­zin führte sie die Fach­am­bu­lanz im Mili­tär­spi­tal Inns­bruck, als erste weib­li­che Kom­man­dan­tin die Sani­täts­an­stalt Ober­ös­ter­reich und fun­gierte als Refe­ren­tin für Mili­tä­ri­sche Luft­fahrt­me­di­zin und ABC-Abwehr­me­di­zin im Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium, bevor sie im Jahr 2017 im Gene­rals­rang Bri­ga­dier die Lei­tung des mili­tä­ri­schen Gesund­heits­we­sens übernahm.

An der Spitze zu ste­hen, sei nie erklär­tes Ziel gewe­sen, „ist aber grund­sätz­lich ten­den­ti­ell Teil mei­ner Per­sön­lich­keit“. Ziele setze sie sich ohne­hin keine, so Spe­ran­dio. „Ziele und Her­aus­for­de­run­gen kom­men auf mich zu und dann packe ich sie an.“ Sie selbst beschreibt sich als humor­voll, viel­sei­tig, gestal­tungs- und lösungs­ori­en­tiert und ehr­lich. „Dis­zi­pli­niert, kon­se­quent und for­dernd, wür­den die ande­ren wohl sagen …“, ergänzt sie.

Ihre Nei­gung zu dao­is­ti­scher Phi­lo­so­phie, den asia­ti­schen Kampf­küns­ten Tai Chi und Qi Gong sowie zur Tra­di­tio­nel­len Chi­ne­si­schen Medi­zin, aber auch ihr Stu­dium der Psy­cho­the­ra­pie­wis­sen­schaft an der Sig­mund Freud Pri­vat­uni­ver­si­tät in Wien schei­nen auf den ers­ten Blick einen Kon­trast zu ihrer mili­tä­ri­schen Tätig­keit zu bil­den. Sie selbst sieht darin durch­aus eine har­mo­ni­sche Ergän­zung. „Gerade in Füh­rungs­po­si­tio­nen sind Soft Skills gefragt. Und in der Kampf­kunst geht es darum, seine Per­son so zu for­men, dass gar kein Kampf ent­steht und nur dann zu kämp­fen, wenn Leib und Leben in Gefahr sind“, erklärt sie. Spe­ran­dio hat als Mili­tär­ärz­tin die Aku­punk­tur­na­deln stets bei der Hand gehabt, um auch im Ein­satz und bei Übun­gen vor allem Beschwer­den des Bewe­gungs­ap­pa­ra­tes aber auch Migräne und der­ar­ti­ges „im Felde“ zu behan­deln. Noch immer führt sie eine ärzt­li­che Pra­xis mit TCM-Schwer­punkt im Amstetten.

Ein­sätze in Zypern, Nami­bia und Peru

In zahl­rei­chen Aus­lands­ein­sät­zen stand Spe­ran­dio auch exis­ten­ti­el­len Bedro­hun­gen gegen­über. Sie war im Rah­men eines UNO-Ein­sat­zes auf Zypern, erhielt eine Spe­zi­al­aus­bil­dung der United Nati­ons Dis­as­ter Assess­ment and Coor­di­na­tion (UNDAC) und war im Auf­trag der EU-Civil Pro­tec­tion unter­wegs. Über­flu­tun­gen in Nami­bia, Angola und dem dama­li­gen Zaire, Erd­be­ben in Peru und der Tür­kei waren der Grund für ihre Ent­sen­dung. Aber auch nach dem Lawi­nen­un­glück in Gal­tür half Spe­ran­dio vor Ort. „Sol­che Ein­sätze hin­ter­las­sen sub­ku­tane Spu­ren“, ist sie über­zeugt. „Aus die­sem Sam­mel­be­cken von Erfah­run­gen ent­steht eine spe­zi­elle Hal­tung dem Leben gegen­über. Man sieht, wie schlimm es ist, wenn Men­schen das Wesent­lichste fehlt.“

Heute gleicht ihr Arbeits­all­tag als Hee­res­sa­ni­täts-Che­fin einer Mana­ge­rin der obers­ten Füh­rungs­ebene eines „eigen­stän­di­gen mili­tä­ri­schen Gesund­heits­sys­tems“, wie sie es selbst beschreibt. Sie reprä­sen­tiert als Ver­ant­wort­li­che das gesamte mili­tä­ri­sche Gesund­heits­we­sen nicht nur offi­zi­ell den Rechts­trä­ger der mili­tä­ri­schen Kran­ken­an­stal­ten, son­dern ist unter ande­rem auch für das Stel­lungs­we­sen, die Hee­res­apo­theke, den vete­ri­när­me­di­zi­ni­schen Dienst, die kli­ni­sche Psy­cho­lo­gie, die Sani­täts­lo­gis­tik, die Beschaf­fung von medi­zi­ni­schen Sys­te­men, die Aus­bil­dung des Gesund­heits­per­so­nals sowie für die Pla­nung und Füh­rung des Sani­täts­per­so­nals im Ein­satz zustän­dig. Ein wesent­li­cher Fokus ihrer Arbeit liegt auch auf der Prä­ven­tion im Rah­men der gesamt­me­di­zi­ni­schen Ver­sor­gung und Gesund­heits­för­de­rung aller Militärangehörigen.

Kar­riere durch Eifer und Einsatz

Als Frau beim Bun­des­heer tue sie, so die eigene Per­spek­tive, ein­fach ihren Dienst. „Ich merke viel­leicht, dass meine Her­an­ge­hens­weise empa­thi­scher, kom­mu­ni­ka­ti­ons­ori­en­tier­ter und viel­fäl­ti­ger ist. Alle Sol­da­tin­nen beim Bun­des­heer geben mehr als 100 Pro­zent. Kar­riere machen aber Män­ner wie Frauen grund­sätz­lich nur dann, wenn sie gro­ßen Eifer und über­durch­schnitt­li­chen Ein­satz zeigen.“

Zur Ruhe kommt Syl­via Spe­ran­dio bevor­zugt in der Natur – und auch da zieht es sie hoch hin­auf. „Ich war schon im Stu­dium gerne Berg­stei­gen und Klet­tern, das ist wohl die (epi)genetische Prä­gung mei­ner Süd­ti­ro­ler Vor­fah­ren“, scherzt sie. Außer­dem hört sie gerne klas­si­sche Musik „in Pha­sen“: ein­mal sind es „die Rus­sen“ Dimi­tri Schost­a­ko­witsch und Ser­gej Rach­ma­nin­off, dann Jean Sibe­l­ius und Johan­nes Brahms, und schließ­lich wie­der mehr Wolf­gang Ama­deus Mozart. Ent­span­nung fin­det sie wei­ter­hin im Qi Gong, denn das lässt sich auch unter­wegs gut prak­ti­zie­ren. „Ich habe kei­nen spe­zi­el­len Kraft­platz dafür“, ant­wor­tet sie auf die Nach­frage. „Mein Kraft­platz soll dort sein, wo ich bin.“

Vor­be­rei­tung statt Krise

Das mili­tä­ri­sche Gesund­heits­we­sen sieht Spe­ran­dio aktu­ell in einer wich­ti­gen Phase der Rol­len­ver­än­de­rung. Nicht zuletzt die Pan­de­mie habe wie­der ver­deut­licht, wie wich­tig der mili­tä­ri­sche Berufs­sa­ni­täts­dienst im Kri­sen- und Kata­stro­phen­schutz­ma­nage­ment sei. „Wir ver­fü­gen zusätz­lich zu den zivi­len sani­täts­dienst­li­chen und medi­zi­ni­schen auch über mili­tä­ri­sche Qua­li­fi­ka­tio­nen. Das erleich­tert das Vor­ge­hen in her­aus­for­dern­den Situa­tio­nen.“ Das Bun­des­heer ist mehr als nur ein „One Health Sys­tem“, da es ein­ma­lig neben dem Sani­täts­dienst auch wesent­li­che Assets wie Logis­tik­kräfte, ABC-Abwehr und Land-und Luft­streit­kräfte ver­fügt, die im Ein­satz alle zusam­men­wir­ken kön­nen. „Wir sind zwar kein gro­ßes Heer, aber wir haben viel Exper­tise in der Bewäl­ti­gung von Katastrophen.“

Eine ste­tig aktua­li­sierte natio­nale wie inter­na­tio­nale Vor­be­rei­tung auf die Her­aus­for­de­run­gen einer Pan­de­mie hätte die Hand­lungs­fä­hig­keit in der Extrem­si­tua­tion ver­bes­sern kön­nen. „Wenn wir best­mög­lich vor­be­rei­tet sind, ist eine Krise keine Krise mehr“, ist Spe­ran­dio überzeugt.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2021