Porträt Robert Grass: Künstliche DNA als Datenspeicher

17.08.2021 | Politik

Für sein Verfahren, wie Daten in künstlicher DNA gespeichert, in winzigen Glaskügelchen versiegelt und noch nach Jahrtausenden fehlerfrei ausgelesen werden können, wurde der gebürtige Bregenzer  Robert Grass gemeinsam mit seinem Kollegen Wendelin Stark kürzlich mit dem Europäischen  Erfinderpreis 2021 ausgezeichnet.
Ursula Scholz

Feines weißes Pulver – das kann von Staubzucker bis Kokain ziemlich vieles sein. Im Labor des Chemikers Robert Grass jedoch handelt es sich dabei um getrocknete, in Glas gepackte DNA. Sie kann als Medium dienen, um Informationen über Jahrtausende zu speichern und immer wieder lesbar zu machen. Die Idee, DNA als Speicherort zu nutzen, ist nicht neu. An der ETH Zürich jedoch, wo die beiden nun kürzlich mit dem Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie „Forschung“ ausgezeichneten Chemieingenieure Robert Grass und Wendelin Stark forschen, wurde jedoch das Problem der langfristigen Stabilisierung gelöst. „Ich bin mit der Faszination für Jurassic Park aufgewachsen“, erzählt Grass, Jahrgang 1979. „Daher war das Vorbild des Fossils bei mir immer im Hinterkopf, als es darum ging, in DNA gespeicherte Informationen für lange Zeiträume zu konservieren. DNA in Knochen und Zähnen überdauert immerhin Jahrtausende.“ Und so fanden die beiden eine Methode, kurzen DNA-Strängen eine feine Glashülle zu verpassen.

Schon allein die Nominierung für den Europäischen Erfinderpreis ist eine Ehre: Lediglich 15 Teams aus der ganzen Welt wurden von der Jury für den Publikumspreis auserwählt, der heuer erstmals virtuell verliehen wurde. Der Preis wird seit 2006 vom Europäischen Patentamt gestiftet. Mit dem heuer bereits zum 15. Mail in fünf verschiedenen Kategorien vergebenen Erfinderpreis zeichnet das Europäische Patentamt Erfinder aus, die einen außergewöhnlichen Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft, zum technologischen Fortschritt und zum Wirtschaftswachstum leisten.

Robert Grass kam – wie so viele kreative Köpfe vor ihm – über einen Umweg zu seinem Spezial-Forschungsgebiet. „Chemie habe ich studiert, weil ich einen exzellenten Lehrer hatte. Und da mir die Anwendbarkeit immer wichtig war, habe ich mich für Chemie-Ingenieurswesen entschieden“, erzählt Grass, der aus Vorarlberg stammt, aber seit seiner Studienzeit in der Schweiz lebt. Sein Großvater stammt aus Zürich, von Bregenz aus war es nicht weit – und das Studium war schon damals ziemlich straff strukturiert. Drei Gründe für Grass, um sein Glück im Westen zu suchen. „Das verschulte System an der ETH ist mir zugutegekommen, sonst wäre ich leicht im Chaos versunken.“

Beim Lernen gelernt

Nach dem Ende des Studiums, einem Forschungsaufenthalt in Cleveland/Ohio und seinem Doktorat über Nanopartikel konnte Grass gleich an der ETH Zürich Fuß fassen. In einem seiner Projekte war er damit beschäftigt, für einen Kunden mittels eingebrachter Nanopartikel unterirdische Erdölvorkommen zu lokalisieren. Die Nachverfolgung der Nanopartikel gestaltete sich schwierig und Grass war gerade auf der Suche nach einer besseren Lösung.

Zur gleichen Zeit unterstützte er seine Frau – damals noch angehende Veterinärmedizinerin – beim Lernen für die Biochemieprüfung. „Im Zuge dessen bin ich erstmals mit PCR und Virusnachweisen in Kontakt gekommen und war begeistert von der hochsensiblen Nachweisbarkeit von DNA. Da reicht schon ein Partikel.“ Aus diesem neuen Wissen wurden sofort neue Ideen der Anwendbarkeit geboren und so verband Grass das neue biomedizinische Wissen mit seiner bereits vorhandenen Expertise in Materialwissenschaft. Nach und nach begann er, sich auch mit DNA als Informationsspeichermedium auseinanderzusetzen.

Während seine Karriere an der ETH kontinuierlich voranschritt – im Jahr 2017 wurde er ebendort zum Titular-Professor ernannt –, profilierte er sich nebenbei auch als Unternehmer: 2007 gründete er die TurboBeads GmbH, später beteiligte er sich auch an der Haelixa AG und der Hemotune AG. Turbo-Beads stellt magnetische Nanopartikel für die Biomolekültrennung her; unter anderem ein Extraktions-Kit für Viren-DNA, das für PCR verwendet wird und sich im Moment besonders gut verkauft. „Aber wir sind nur ein ganz kleiner Player am Markt“, betont Grass. Haelixa nutzt bereits DNA als Speichermedium – allerdings lediglich zur Herkunftsbezeichnung von Produkten und Rohstoffen, und Hemotune beschäftigt sich mit Blutreinigung.

Information im Produkt

Auch für die Speicher-DNA im Glaskügelchen fallen Grass sofort medizinische Anwendungsmöglichkeiten ein: „Wir haben aus Spaß in ein Plastikhäschen aus dem 3D-Drucker die Druckanleitung in DNA codiert mit hineingegeben“, erzählt er. „Dasselbe Prinzip ließe sich auch bei Implantaten anwenden, um die Spezifikation des Produkts im Gegenstand selbst zu speichern.“ Bei einem Gewährleistungsfall müsste nicht im Unternehmen nach 20 Jahren in irgendwelchen Ordnern nach den Informationen gesucht werden. Sie wären im Implantat selbst vorhanden. Aber auch in Medikamenten könnten alle wichtigen Informationen dazu per DNA abgespeichert werden. „DNA lässt sich einfach millionenfach kopieren und braucht so gut wie keinen Platz.“ Allerdings müsste das Auslesen der Basenpaar-Stränge noch vereinfacht werden. „Prinzipiell wird die DNA zur Decodierung wie üblich sequenziert, um die Kombination der Basenpaare zu erhalten, die dann wieder in einen digitalen Code umgewandelt werden, den der Rechner in den Originaltext rückübersetzt.“ Ein aufwendiges Verfahren, das sich nicht gerade für die tägliche Nutzung eignet.

Über Jahrhunderte konserviert werden sollen ohnehin nur wichtige Informationen, an denen auch noch in fernen Zeiten Bedarf bestehen wird. „Wir gehen ja davon aus, dass es an so etwas Elementarem wie der DNA immer Interesse geben wird und daher auch in ferner Zukunft Sequenzierungsmöglichkeiten bestehen werden.“ Da enorm viel Information auf kleinem Raum gespeichert werden kann, hält es Grass für sinnvoll, gleich die Decodierungsanleitung mit auf den DNA-Strang zu bringen. „So wie bei den Schallplatten, die die Raumsonde Voyager an Bord hat – mit Informationen über die Menschheit. Auch bei diesen Platten findet sich eine schematische Anleitung, wie die Schallwellen zu produzieren sind.“ Natürlich bleibt es ungewiss, ob neben dem codierten Material auch das Wissen um die Decodierungsmöglichkeit langfristig erhalten bleibt.

Die künstlich synthetisierte DNA zur Informationskonservierung wird nur in kleinen Strängen zu je 150 Basenpaaren „abgepackt“. Diese werden nummeriert – und mit einer gewissen Redundanz versehen. Damit die Reihenfolge klar ist und – wenn ein Körnchen herunterfällt – nicht wichtige Informationen verloren gehen.

Austausch beim Rudern

Den Umfang der nötigen Redundanz hat ein Ruderkollege von Grass errechnet. Auch wenn Grass nicht mehr wie in seiner Jugend am Bodensee regelmäßig rudert, trainiert er alljährlich für ein ganz spezielles Event: „Jedes Jahr findet in Zürich eine universitäre Ruderregatta statt“, so Grass. „Vor zehn Jahren wurde dann eine spezielle Regatta der ETH-Professoren ins Leben gerufen. Und die verbindet die Kollegen eben auch interdisziplinär.“

Sport spielt ganz generell eine große Rolle im Leben von Robert Grass, sofern bei drei kleinen Kindern die Zeit dafür bleibt. „Im Sommer bin ich oft mit dem Rennrad unterwegs. Für den Winter habe ich eine Fahrradrolle im Keller.“ Damit das Radeln im Keller nicht fad wird, nutzt Grass dort Computerspiele, die eine Fahrt durch imaginäre Landschaften vorgaukeln.

Aber die besten Ideen kommen ihm nicht während der Anstrengung beim Sport, gesteht er. Grass lässt seinen Gedanken besonders dann freien Lauf, wenn er mit seinem Hund spazieren geht.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2021