Porträt Manfred Tscheligi: Pionier seiner Zunft

25.04.2021 | Politik


Am Center for Human-Computer Interaction in Salzburg leitet Univ. Prof. Manfred Tscheligi ein multidisziplinäres Team aus Soziologie, Psychologie, Kommunikationswissenschaften, Design und technologischen Richtungen mit dem Ziel, die Technik dem Menschen dienstbar zu machen. Die International Federation for Information Processing hat ihn dafür kürzlich mit dem Pioneer Award geehrt.
Ursula Scholz

Über Brücken gehen und Ungewöhnliches miteinander verbinden“, rät Manfred Tscheligi all jenen, die ihre Berufsentscheidung vor sich haben. Egal in welchem Bereich. Auch er selbst wollte nicht einfach nur ein einziges Studium absolvieren und in diesem einen Fach Wissen ansammeln. Vielmehr ging es ihm darum, neuartige verbindende Elemente zu finden und zusammenzuführen, was bisher noch getrennt betrachtet wurde. Daher entschied er sich für Wirtschaftsinformatik, weil er dabei seine Vorliebe für strukturell-analytisches Denken ausleben und zumindest die technische mit der wirtschaftlichen Herangehensweise kombinieren konnte. Seine Leidenschaft für elektronische Datenverarbeitung hatte sich schon ab dem Besuch der Handelsakademie herauskristallisiert. Damals fabrizierte er noch Lochkarten, die dann zum Programmieren eingeschickt werden mussten. Als zu Beginn der 1980er-Jahre – der Zeit seines Studienbeginns – die ersten privat nutzbaren Computer auf den Markt kamen, besorgte er sich einen Apple. Und auch in seinem ersten Arbeitsverhältnis als Assistent am Institut für Statistik und Informatik der Universität Wien suchte er nach einem Betätigungsfeld, in dem er zur Avantgarde gehörte. Sich mit der Interaktion zwischen Mensch und Maschine zu beschäftigen, war noch nicht so weit verbreitet. „Ich habe alles gelesen, was es dazu an Literatur gab und bin per Brief mit den Akteuren – meist in den USA – in Verbindung getreten.“ E-Mails gehörten zu dieser Zeit noch nicht zum Kommunikationsstandard.

Im Dienste des Menschen

Seit 2004 führt der gebürtige Villacher, der in Wien studiert hat, an der Paris-Lodron-Universität Salzburg als Professor für Human-Computer Interaction & Usability und Leiter des Center for Human-Computer Interaction (HCI) ein multidisziplinäres Team, in dem Soziologie, Psychologie, Kommunikationswissenschaften und Design mit technologischen Richtungen verbunden werden. „Eigentlich würde ja jeder Programmierer eine psychologische Ausbildung brauchen, um zu klären, wie es dem Anwender Mensch mit der Technik geht.“ Deshalb gibt es die Teams der Human-Computer Interaction, die Brücken zwischen einzelnen Fachrichtungen schlagen. Nur wer über die Natur der menschlichen Wahrnehmung Bescheid wisse, könne Maschinen bauen, die dem Menschen Informationen so darbieten, dass sie optimal erfasst würden. Außerdem leitet Tscheligi das Center for Technology Experience am Austrian Institute of Technology und hat mehrere Organisationen gegründet (USECON, CURE), an deren Spitze er auch selbst steht.

Ziel der Arbeit von Tscheligi ist es, die Technik dem Menschen dienstbar zu machen, einfache Werkzeuge zu schaffen und im besten Fall die Technik erkennen zu lassen, dass der Mensch etwas braucht (und nicht umgekehrt) – im Idealfall noch bevor es dem Menschen selbst bewusst ist. „Nehmen wir das Beispiel Fehlsichtigkeit: Wenn ein Gerät, das wir bedienen, erkennt, dass wir sehr lange auf etwas schauen, könnte es uns vorschlagen, die Darstellungen zu optimieren.“

Transparenz im Vordergrund

Bei all dem steht für Tscheligi auch die Transparenz im Vordergrund: „Der Mensch will verstehen, was die Maschine tut. Überlässt er alle Entscheidungen der Maschine, macht ihn der daraus resultierende Kontrollverlust nervös.“ Eine Thematik, die vor allem für die Entwicklung des Autos der Zukunft von Belang ist. Dabei muss beim Designen dieses Autos schon entschieden werden, welche Vorgänge dem Nutzer ersichtlich sein sollen und welche Information nur zu unnötiger Ablenkung führen würde. Nach diesem Prinzip sollten nach Ansicht von Tscheligi auch optimale Tools für Ärztinnen und Ärzte funktionieren: „Ärzte sind im Dauerstress. Sie wollen nur die Information erhalten, die sie in diesem Moment gerade brauchen.“ Situativ fokussierte Information aus einem großen Datenpool sei daher das Ziel. Von allen erhobenen Daten würden im Optimalfall beispielsweise auf dem Endgerät zur Visite andere angezeigt als im medizinischen Notfall.

Mensch-Maschine-Schnittstellen biete die moderne Medizin bereits reichlich – und Erweiterungen seien in vielerlei Hinsicht denkbar: von der Roboter-Assistenz während einer Operation bis hin zur medizinischen Simulation mittels Augmented Reality – personalisiert dosiert als „Mixed Reality“. Dabei sollen die Trainingsszenarien auch übliche Stressoren einfließen lassen, um ausreichend auf den Ernstfall vorzubereiten. Zu jedem Roboter – auch jenem im Operationssaal –müsse man sich so Tscheligi genau die Rolle überlegen, die dieser zu erfüllen hat. Assistiert er nur? Übernimmt er in heiklen Situationen auch? Und wie läuft die Kommunikation, wenn von einem Modus in den anderen geschaltet wird?

Aber auch intelligente Gebäude sind im beruflichen Fokus von Tscheligi. Wie kann man Räume – beispielsweise in Krankenhäusern – gestalten? Wie können die unterschiedlichen Flächen und Bereiche auch als Interface zum Menschen interpretiert werden? „Wir wissen, dass jene Patienten, deren Bett beim Fenster steht, im Schnitt früher entlassen werden. Daraus sollten wir für das Lichtdesign lernen.“

Fokus auf Prävention

Könnte Tscheligi ohne finanzielle oder organisatorische Einschränkung selbst ein medizinisches Forschungsthema wählen, würde er sich umfassender mit „behaviour change“ befassen und die Grund-Awareness der Bevölkerung für die Auswirkungen ihres individuellen Lebensstils erhöhen. Krankmachendes Verhalten sollte ins Bewusstsein gerückt und gleich eine Alternative dazu vorgeschlagen werden. „Noch bevor sich daraus ein gesundheitliches Problem ergibt, mit dem man dann zum Arzt muss.“ Mittels Gamification und Selbsterfahrung sollten Menschen motiviert werden, besser auf sich zu achten. „Vorschläge zur Verhaltensänderung könnten an die aktuellen Aktivitäten angepasst werden. Denn was bringt die Anregung, nach stundenlangem Sitzen doch wieder einmal laufen zu gehen, wenn ich mich gerade in einem wichtigen Meeting befinde?“ Der Mensch sei zwar komplex, aber ihm immer wieder motivierend einen Spiegel vorzuhalten, könne langfristig sein Verhalten positiv beeinflussen.

Neues denken, Neues tun

Für sich selbst reserviert Tscheligi bewusst auch Zeiten des Digital Detox in der Natur oder zu Hause. Da entspannt er sich „beim absoluten Nichtstun, was gar nicht so leicht ist“. Oder auch beim nichtberuflichen Lesen. Müsste er heute eine berufliche Alternative zu seinem Traumjob finden, könnte er sich allenfalls vorstellen, Philosoph zu werden. „Aber ich bin neugierig auf so vielen Gebieten.“ Neben der Neugier kennzeichnen ihn Perfektionismus, aber auch Zielorientierung. „Wichtig ist mir immer, etwas Neues zu denken. Und die Freiheit des Tuns in meiner beruflichen Entwicklung. Ich wollte nie eingefahrene Wege gehen, sondern immer etwas anpacken, das noch niemand vor mir machen wollte.“

Wie passend, dass der Preis, der ihm kürzlich vom für Human-Computer Interaction zuständigen Technical Committee 13 der International Federation for Information Processing zugesprochen wurde, ihn als Pionier seiner Zunft würdigt. Die Verleihung erfolgt erst.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2021