Porträt Andreas Bergthaler: Ein Veterinär in der biomedizinischen Forschung

16.08.2021 | Politik

Eigentlich ist Andreas Bergthaler Veterinärmediziner. Ein Praktikum in einem Genetik-Labor führte ihn schließlich ans Forschungszentrum für Molekulare Medizin mit Schwerpunkt Virusinfektionen. Dieses Wissen bei der Sequenzierung von Viren wurde in adaptierter Form bei SARS-CoV-2 eingesetzt.
Ursula Scholz

Wir haben uns die Fragegestellt: Was können wir als Grundlagenforschungsinstitut in Zeiten der Pandemie beitragen?“, erzählt Andreas Bergthaler. Er leitet eine Forschungsgruppe am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Sein Labor ist darauf spezialisiert, antivirale Immunantworten und den Immunmetabolismus zu erforschen. Schon vor der Pandemie hatte seine Gruppe auch Viren sequenziert, um zu klären, wie sie sich in der jeweiligen Umgebung eines Organs verändern – beispielsweise je nachdem, ob sie sich im Gehirn oder in der Milz einer Maus vermehren. Binnen weniger Wochen wurde die vorhandene Erfahrung genutzt und das institutseigene Instrumentarium so adaptiert, dass nun Wissen darüber generiert wird, wie sich das SARS-CoV-2-Virusgenom verändert. 400 Sequenzierungen pro Woche werden am CeMM mittlerweile regelmäßig im Auftrag der AGES durchgeführt.

Exot in der biomedizinischen Forschung

Viren und deren Veränderung im Laufe der Zeit beschäftigen den 43-jährigen Forscher Bergthaler bereits seit seiner Studienzeit. Was nur Wenigen bekannt sein dürfte: Er ist eigentlich Veterinärmediziner. „In der biomedizinischen Forschung bin ich ein Exot“, erklärt er amüsiert. „Eine Zeitlang hatte ich auch damit gehadert, ob ich nicht doch besser Biologie studiert hätte. Aber mittlerweile finde ich, dass mein Zugang die Expertise im Bereich der Biomedizin gut ergänzt.“ Rinderbesamung und Katzenschnupfen waren ohnehin nie primäres Karriereziel des gebürtigen Salzbur-gers, der in Oberösterreich aufgewachsen ist. „Eine herkömmliche kurative Tierarzt-Karriere habe ich nie geplant. Während eines Praktikums im Genetik-Labor wurde mir dann schlagartig klar, dass meine Zukunft in der Wissenschaft liegt.“

Tokyo, Zürich, Seattle – und retour

Bergthaler sammelte schon als Student berufliche Erfahrung in Labors in Wien und Tokyo, wo er bei Tadatsugu Taniguchi erstmals in den Bereich der Immunologie vordrang. Seine nächste Station für ein Praktikum war Zürich, wohin Bergthaler nach Studienabschluss für seine Doktorarbeit zurückkehrte. Einer seiner Mentoren: Nobelpreisträger und Viren-Spezialist Prof. Rolf Zinkernagel. Nach Aufenthalten in Genf und Seattle kam Bergthaler wieder nach Wien, wo er nun seit zehn Jahren am CeMM seine Forschungsgruppe leitet. Daneben hat er im Jahr 2011 auch die Hookipa Biotech GmbH mitbegründet, ein in Wien ansässiges biopharmazeutisches Unternehmen zur Entwicklung von Immunotherapeutika, das seit 2019 an der US-amerikanischen Börse Nasdaq gelistet ist. Die übrigen Gründer waren seine Mentoren aus Zürich und Genf, Rolf Zinkernagel und Daniel Pinschewer; außerdem der Tübinger Dermatologie-Professor Lukas Flatz.

In ruhigeren Zeiten erforschte Bergthaler, der bereits 2019 als „Österreicher des Jahres“ nominiert worden war, Virusinfektionen am Mausmodell, insbesondere die inflammatorische Reaktion der Kachexie und den Einfluss des Leberstoffwechsels auf systemische Immunantworten. Außerdem beschäftigte er sich mit dem Beuteltier „Tasmanischer Teufel“, das beim Beißen seine Artgenossen mit Krebs infizieren kann. Das war vor COVID-19.

Dass er als Veterinärmediziner Basiswissen für human-relevante biomedizinische Forschung beisteuert, findet er nicht ungewöhnlich, da „die Humanmedizin stark auf molekularmechanistische Erkenntnisse aus Tiermodellen aufbaut“. In der Pandemie seine Expertise in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, war für ihn ein klares Bedürfnis. Zu Beginn ohne zusätzliches Budget, aber unterstützt durch den Institutsdirektor Prof. Giulio Superti-Furga. Schon Anfang April 2020 veröffentlichte Bergthaler gemeinsam mit einem großen Team am CeMM die ersten 21 SARS-CoV-2-Virusgenome von Österreich. Kurz darauf zuerkannte Forschungsmittel vom Wiener Wissenschafts- und Technologie-Fonds deckten einen Teil der angefallenen Kosten und waren für Bergthalers Team ein wichtiges frühes Zeichen der Anerkennung. Während des Sommers 2020 etablierte die AGES dann eine tragende Finanzierungsstruktur für die laufenden Sequenzierungen und im März 2021 vergab der FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) einen Grant in der Höhe von 500.000 Euro an das Labor von Bergthaler, um den Ursprung der Mutationen und deren Übertragung zu erforschen. „Wir fahren zweigleisig. Einerseits nehmen wir die wöchentlichen Sequenzierungen vor, um den Behörden zu helfen, das Pandemiegeschehen zu verstehen. Andererseits widmen wir uns gezielt wissenschaftlichen Fragestellungen, die relevant sind für ein besseres grundlegendes Verständnis des Mutationsverhaltens von SARS-CoV-2. Das tun wir in Kooperation mit zahlreichen Forschungspartnern, zu denen auch die Medizinischen Universitäten Wien, Innsbruck und Graz gehören.“

„Seit Anfang der Pandemie beobachten wir durchschnittlich ein bis zwei Mutationen pro Monat – in einem 30.000-Buchstaben-Genom. Seit Ende 2020 sind wir alle mit dem Auftreten neuer Varianten mit teilweise über 20 neuen Mutationen konfrontiert, die wie im Fall der britischen Variante B.1.1.7 auch mit deutlich gestiegener Infektiosität assoziiert sind.“ Baut sich in einer Bevölkerung erst langsam eine Immunantwort auf – beispielsweise durch eine Impfkampagne – bei gleichzeitig hohen Infektionszahlen, könnten dadurch Fluchtmutationen auftreten. Aber auch dabei schafft die Impfung langfristig Abhilfe. An der Impfung führt für Bergthaler kein Weg vorbei. Er bezeichnet sie als „Schlüssel im Kampf gegen die Pandemie“ und „unglaubliche Erfolgsstory“. Regionale Ausbrüche von Fluchtmutationen müssten allerdings konsequent und frühzeitig eingedämmt werden. „Das Virus wird sich verändern. Das dürfen wir nicht ignorieren, aber auch nicht überbewerten. Es wird wahrscheinlich adaptierte Booster-Impfungen ähnlich wie bei der Influenza-Impfung geben. Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass wir beim Impfen auf das Feld Null zurückgeworfen werden.“

Hohe Erwartungen

Bergthaler selbst wurde durch die Pandemie in ein anderes Leben katapultiert. Neben seiner eigentlichen Forschung zum Immunmetabolismus bei Virusinfektionen ist er intensiv mit Coronavirus-Mutationen beschäftigt. Als Spezialist stand er auf einmal im Rampenlicht. „Die Erwartungen an die Wissenschaft sind hoch. Sie soll sofort Antworten parat haben – und das in sehr dynamischen Zeiten.“ Seine mediale Exponiertheit sieht Bergthaler durchaus ambivalent und freut sich darauf, sich wieder zurückziehen zu können. „Aber wenn nach 20 Jahren quasi Trockentraining im Labor eine Pandemie kommt und alle Gesellschaftsbereiche vor große Herausforderungen stellt, ist es auch befriedigend, einen Beitrag liefern zu dürfen.“

Trotz seiner Arbeitsspitzen ist Bergthaler Ende 2020 in Elternkarenz gegangen und übernimmt weiterhin an einem Nachmittag pro Woche die Kinderbetreuung. Denn das Zusammensein mit der Familie spendet ihm Kraft – besonders die Zeiten am Bauernhof seiner Schwiegereltern. Auch beim Laufen kann er gut abschalten – wenn er die Zeit dafür findet.

Und es gelingt ihm sogar, das Positive an der Krise wahrzunehmen: die verstärkte nationale und internationale Zusammenarbeit der wissenschaftlichen Community. Er arbeitet gerne im Team und sieht den größten Impact eines Forschenden nicht nur in den eigenen Ergebnissen, sondern ebenso darin, was er die Nachkommenden lehrt. In der Pandemie versucht er, auch andere Perspektiven einzunehmen – und dadurch auch jene politischen Entscheidungen zu verstehen, die aus rein virologischer Sicht nicht immer begründbar waren. Sein Tipp für junge Menschen: „Do what you love!“ Bei ihm hat sich die Strategie jedenfalls bewährt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2021