Porträt Alexandra Gülich: Das Unbekannte im Bekannten suchen

10.03.2021 | Politik


Die Wirkung des Transkriptionsfaktors Runx3 erforscht Immunbiologin Alexandra Gülich an der MedUni Wien. Dafür wurde sie kürzlich mit einem Stipendium für Nachwuchsforscherinnen ausgezeichnet, das es ihr ermöglicht, ihre wissenschaftliche Arbeit nun mit der Genschere CRISPR/Cas 9 fortzuführen.
Ursula Scholz

Runx3 sorgt innerhalb von CD8+ T-Zellen dafür, dass gewisse Gene nicht exprimiert werden, was sich zumindest in dieser Zellart positiv auf die Immunreaktion auswirkt. „Meine Arbeit beschäftigt sich einerseits mit einem schon recht bekannten Zelltypus des erworbenen Immunsystems, der CD8+ T-Zelle. Diese spielt sowohl in der Tumorabwehr als auch bei der Eliminierung von Viren-befallenen Zellen eine wesentliche Rolle“, erklärt Dissertantin Alexandra Gülich. „Andererseits habe ich innerhalb dieses gut erforschten Systems einen bisher noch unbekannten Einflussfaktor identifiziert, der mit Runx3 im Zusammenhang steht.“ Das Unbekannte im Bekannten zu suchen, reizt sie besonders, außerdem „kreativ zu sein und sich bei der Forschungsarbeit ausleben zu können“.

Honoriert wurde ihre Leistung kürzlich mit dem L´Oréal-Stipendium „For Women in Science“, das seit 2007 jährlich an vier bis acht Nachwuchsforscherinnen vergeben wird und das mit je 25.000 Euro dotiert ist. „Das Stipendium ermöglicht mir nun, den Umgang mit der Genschere CRISPR/Cas 9 zu trainieren und meine Experimente damit zu erweitern.“ Gülich hat sich vorgenommen, noch zu klären, wo genau sich Runx3 an die DNA bindet und was in der Immunzelle geschieht, wenn man exakt dieses Gen, dessen Expression Runx3 unterbindet, überhaupt herausschneidet. „Es ist immer ein delikates Zusammenspiel, welches Genrepertoire in welchem Zelltypus aktiviert oder deaktiviert werden soll.“

Für Nicht-Immunologen hat sich Gülich einen einprägsamen Vergleich überlegt, wie sich die Rolle eines Transkriptionsfaktors beschreiben lässt: „In der DNA stehen Gene wie Termine im Kalender. Meeting um 14 Uhr und Joggen um 18 Uhr beispielsweise. Der Transkriptionsfaktor sorgt dafür, dass das Potential der Gene auch umgesetzt wird. Er motiviert sozusagen das Gen zur Tat.“ Wie man sich selbst oder einen Laufpartner zum Joggen motiviert, wenn es 18 Uhr geworden ist, draußen aber eisiger Wind weht.

Volleyball, Fußball und Kochrezepte

Gülich selbst kann sich leicht zum Sport motivieren, spielt bevorzugt Volleyball und klettert, wurde aber auch mit 25 Jahren erstmals Mitglied einer Frauenfußballmannschaft. „Ich probiere gerne Neues aus“, erklärt sie. In Zeiten des Lockdowns verlagert sich ihre Experimentierfreude unter anderem auf ausgefallene Kochrezepte. Mittlerweile kann sie trotz Pandemie-bedingter Einschränkungen zumindest wieder relativ ungehindert ihrer Arbeit nachgehen. „Ein Experiment verlangt oft zwei Monate Vorarbeit. Da trifft es einen schon, wenn man plötzlich nicht ins Labor kann“, erzählt sie von frustrierenden Erlebnissen im Frühjahr 2020. Getroffen hat die junge Immunologin außerdem eine COVID-19-Erkrankung; ganz ohne dass sie den Ansteckungsweg rekonstruieren hätte können.

Durch die Pandemie eingeschränkt ist auch das Engagement von Gülich in der YSA, der Young Scientists Association der MedUni Wien, deren Vizepräsidentin sie schon gewesen ist und für deren Nachhaltigkeitskonzept sie im vergangenen Jahr zuständig war. Große Symposien, deren Catering und Druckwerke ökologisch optimiert werden können, müssen derzeit Webinaren weichen. „Die Vorträge der Webinare sind durchaus spannend. Was allerdings fehlt, ist die Präsentationsmöglichkeit für die Arbeiten des wissenschaftlichen Nachwuchses vor einem großen Publikum.“

Lehren und Lernen auf Distanz, wie es derzeit allerorten stattfindet, ist das genaue Gegenteil dessen, was Alexandra Gülich in ihrem Studium in den Niederlanden erlebt hat. Aus privaten Gründen zog die in Tirol Geborene und in Salzburg Aufgewachsene sofort nach der Matura im Jahr 2009 nach Nijmegen. In die Niederlande wollte sie unbedingt; Nijmegen wurde es eher aus praktischen Gründen. Der dortige Niederländisch-Crashkurs für ausländische Studierende war einer der wenigen, der sich noch mit ihrem Matura-Datum ausging. Sie inskribierte Biologie an der Radboud Universiteit und konzentrierte sich zunächst auf Neurobiologie und Verhaltensforschung. Dass sie nicht gleich im ersten Studienjahr das Handtuch geworfen hat – die kulturelle Umstellung, die unbekannte Universität und die neue Sprache verursachten eine Menge Stress – verdankt sie einerseits der individuellen Betreuung durch ihren Studienbegleiter, wie ihn alle in den Niederlanden Studierenden zur Seite gestellt bekommen. Und andererseits ihrer entspannten Einstellung: „Es tut gut zu wissen, dass man ja notfalls aufhören kann, wenn es gar nicht mehr geht. Das fördert das Durchhaltevermögen.“ Und so schloss sie an das Bachelor-Studium gleich einen Master an, in dessen Rahmen sie sich erstmals auf Immunologie und Genetik spezialisierte. Den praktischen Teil der Masterarbeit absolvierte sie in Wien – paradoxerweise als Österreicherin mit einem Reisestipendium der holländischen Universität.

Von der Pike auf gelernt

Gülich, die sich selbst als optimistisch, offen und neugierig beschreibt, setzt in ihrer Forschungsarbeit auch auf ihr Bauchgefühl. Selbstverständlich hat sie ihr Handwerk in den diversen Laboren von der Pike auf gelernt – in Holland bei Judith Homberg, Reinderd Nijland und Geert Wanten; in Wien bei Wilfried Ellmeier und aktuell bei Shinya Sakaguchi. Aber sie genießt auch gerne forscherische Freiheiten und lässt sich von der reinen Freude am Ausprobieren leiten. „Trial and Error gehören einfach dazu …“

Ihre eigene Forschungsfrage hat sie im Austausch mit ihrem Chef gefunden. „Er hatte schon eine gewisse Vorstellung, in welche Richtung es gehen sollte. Aber ich konnte meinem Arbeitsgebiet einen eigenen Dreh geben.“ Auf die Dissertation – die Doktorarbeit ist fertig, das Rigorosum fehlt noch – soll nun noch eine wissenschaftliche Publikation folgen, danach ist die berufliche Zukunft von Gülich ungewiss. Interessieren würde sie sowohl die Impfstoff-Entwicklung bei einem Pharmakonzern als auch eine Kombination von Immunologie und Neurobiologie. „Das Immunsystem des Gehirns ist noch weitgehend unbekannt – da findet man viele verschiedene Immunzellen, deren Funktion an genau diesem Ort noch zu erforschen ist.“

Mut für die Zukunft

Ihre derzeitige Rolle im Labor von Sakaguchi hat sich durch das L´Oréal-Stipendium, das gemeinsam mit der Österreichischen UNESCO-Kommission sowie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vergeben und vom Bildungsministerium finanziell unterstützt wird, nicht wesentlich geändert. „In unserem Labor gibt es eine flache Hierarchie und wir teilen uns die Arbeit auf.“ Diese kollegiale Atmosphäre weiß sie sehr zu schätzen, denn am liebsten arbeitet sie sowieso im Team, wo man einander beisteht, wenn es einmal nicht so rund läuft.

Vielmehr geändert hat sich das Selbstbild von Gülich: „Ich bin erleichtert und auch stolz, dass es mir gelungen ist, selbst Forschungsgelder zu beschaffen. Selbst wenn damit nur ein halbes Jahr Arbeit finanziert ist, macht mir das Mut für die Zukunft.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2021