Corona in den USA: Delta-Variante verbreitet sich rasant

10.09.2021 | Coronavirus, Politik

In einigen Regionen der USA ist die Corona-Situation so dramatisch wie noch nie zuvor. Vor allem in den südlichen Bundesstaaten steigt die Zahl der Neuinfektionen dramatisch. Ende Juli hat das Center for Disease Control dazu aufgerufen, in Innenräumen wieder Masken zu tragen – unabhängig vom Impfstatus.
Nora Schmitt-Sausen

In den USA ist die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von wenigen Wochen nahezu explosionsartig gestiegen: Ende Juni dieses Jahres lag der Sieben-Tage-Durchschnitt der gemeldeten Fälle bei etwa 12.000 täglich. Ende Juli waren es mehr als 60.000. In der zweiten Augusthälfte lag die Zahl bereits bei mehr als 135.000. Auf 100.000 Einwohner kommen 276,1 Neuinfektionen. (Quelle: Centers for Disease Control and Prevention – CDC; Stand: 20. August 2021)

Die Zahl der Krankenhauseinweisungen stieg in Amerikas Haupt-Ferienmonat um 20 bis 30 Prozent – von Woche zu Woche. Die Kapazitäten an Intensivbetten haben sich innerhalb von kürzester Zeit halbiert. „Wir stehen kurz davor, dass die Krankenhäuser, insbesondere die Intensivstationen, tatsächlich überlaufen“, sagte Anthony S. Fauci, der leitende Berater der Biden-Regierung für die Pandemie, Mitte August im US-amerikanischen Fernsehen.

Süden der USA besonders betroffen

Fast alle 50 US-Bundesstaaten vermelden wieder steigende Zahlen. Doch das Gros der Neuinfektionen ereignet sich im Süden von Amerika. Besonders hart betroffen sind die Bundesstaaten Florida, Louisiana, Mississippi, Alabama, Arkansas und Missouri. Hier liegen in manchen Krankenhäusern so viele COVID-19-Patienten wie noch nie zuvor in der Pandemie – nahezu ausschließlich Ungeimpfte. Viele der südlichen Bundesstaaten haben niedrige Impfquoten.

Die Szenen in diesen Landesteilen gleichen sich – und erinnern an die schlimmen Anfangszeiten der Pandemie: Krankenhäuser verfügen – wenn überhaupt – nur noch über eine einstellige Zahl an freien Intensivbetten. Operationen werden verschoben. Aus weniger betroffenen Regionen wird Pflegepersonal zur Hilfe geholt. Krankenwagen müssen lange vor Kliniken warten, bis sie Patienten hineinbringen können. Es werden Feldkrankenhäuser errichtet, um die große Zahl der Erkrankten versorgen zu können. Eine dramatische, neue Entwicklung der vierten Corona-Welle: Es sind so viele Kinder betroffen wie noch nie, teils mit schweren Verläufen.

Die CDC sah sich ob der rasanten Verschlechterung der Lage veranlasst, umzuschwenken. Seit Ende Juli ruft die Behörde wieder zum Tragen von Masken in Innenräumen auf – ungeachtet des Impfstatus. Die Behörde begründet den Schritt mit dem „raschen und alarmierenden Anstieg der COVID-Fälle und Raten der Krankenhauseinweisungen“. Hintergrund für diesen Richtungswechsel ist, dass in US-amerikanischen Studien zunehmend belegt wird, dass sich auch Geimpfte mit dem Corona-Virus infizieren können – und das Virus weiterverbreiten. Mitte Mai dieses Jahres war die Maskenpflicht für Geimpfte in den USA gefallen. Präsident Joe Biden feierte dies damals als „Meilenstein“ und „großen Tag für Amerika“.

Auffallend ist: Die stark betroffenen Bundesstaaten gehören allesamt zum Wahlgebiet des ehemaligen Präsidenten Donald Trump und werden fast alle republikanisch regiert. In diesen Regionen sind Impfskepsis und Corona-Verleugnung innerhalb der Bevölkerung weiterhin stark ausgeprägt, teils gefördert durch Falschinformationen über Social Media-Kanäle und Verharmlosung in TV und Radio von konservativen Medien. Der Mangel an Sensibilität für die Gefahren des Corona-Virus herrscht bis in die obersten Regierungsstellen hinein. Mehrere republikanische Gouverneure haben für ihre Bundesstaaten ein Verbot zur Verpflichtung vom Tragen von Masken ausgesprochen – etwa an Schulen. Sie liefern sich nun juristische Auseinandersetzungen mit der Biden-Regierung. Das Corona-Virus ist in den USA zum Politikum geworden.

Aber nicht nur das. Erkennbare Unterschiede im Umgang mit dem Virus und insbesondere der Impfbereitschaft der Bevölkerung gibt es auch innerhalb der verschiedenen ethnischen Gruppen der USA. Vor allem unter Latinos und Afro-Amerikanern ist die Impfskepsis weit verbreitet. Besonders in der afroamerikanischen Bevölkerung der USA herrscht tiefes Misstrauen gegenüber dem US-amerikanischen Gesundheitswesen. Sie sehen sich darin seit Jahrzehnten konsequent benachteiligt. Gleichzeitig haben viele Nicht-Weiße in den USA keine oder lediglich eine schlechte Krankenversicherung, leiden verstärkt unter Vorerkrankungen, leben in beengten Wohnverhältnissen und haben nicht immer den nötigen Zugang zu Informationen.

Die Zentralregierung in Washington und Regierungen auf lokaler Ebene versuchen verschiedene Strategien, um besonders diese Bevölkerungsgruppen von der Wichtigkeit der Impfung zu überzeugen. Sie reichen von niedrigschwelligen Impfangeboten in Apotheken um die Ecke über verstärkte Aufklärungskampagnen bis hin zu Tür-zu-Tür-Ansprachen, Verlosungen und Geld-Gewinnen.

Die Überzeugungsarbeit tut not: Studien zeigen übereinstimmend, dass die weniger privilegierte Bevölkerung von Amerika einem besonderen Risiko ausgesetzt ist, schwer an COVID-19 zu erkranken. Auch ist die Wahrscheinlichkeit, dass erkrankte Afro-Amerikaner an COVID-19 sterben, mehr als zwei Mal höher als im Durchschnitt.


Impfkampagne in den USA

Die Impfkampagne in den USA, die so vielversprechend gestartet hat, hat sich über den Sommer deutlich verlangsamt. Im April dieses Jahres wurden in Spitzenzeiten 3,38 Millionen Impfungen am Tag verabreicht. Derzeit sind es 837.000 Dosen. Im Zuge der rasanten Verbreitung der Delta-Variante entscheiden sich nun wieder mehr US-Amerikaner für eine Impfung. Besonders in den stark betroffenen südlichen Bundesstaaten ist die Impfbereitschaft so hoch wie schon lange nicht.

62 Prozent der erwachsenen Amerikaner sind vollständig geimpft, 73 Prozent haben die Erstimpfung erhalten. Um die vierte Corona-Welle einzudämmen, hat sich die US-amerikanische Regierung dazu entschieden, der Bevölkerung acht Monate nach der zweiten Impfung den Zugang zur dritten Corona-Impfung zu ermöglichen. Bereits ab Mitte September sollen die ersten Booster-Shots verabreicht werden.
Quelle: CDC; Stand: 20. August 2021


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 /10.09.2021