Wundmanagement: Der letzte Versuch

11.10.2021 | Medizin

Das Wundmanagement per se ist letztlich oft nur noch der letzte Schritt beim Versuch, einen Weichteildefekt zu schließen. Bei der Wundheilung selbst wiederum spielt das Management des Exsudats eine wichtige Rolle.
Sophie Fessl

Grundlegend für die erfolgreiche Behandlung von Wunden ist ihr ganzheitliches Verständnis, betont der Gefäßchirurg und zertifizierte Wundmanager Christoph Zölß vom Gesundheitszentrums für Chirurgie Graz. „Wundmanagement per se ist letztlich nur mehr der letzte Schritt in dem Versuch, das Geschwür zu schließen. Vorangestellt sind die entsprechende Abklärung der Grunderkrankung, der Durchblutung und des Nervenstatus.“

Typische Ursachen von Weichteildefekten seien vor allem arterielle oder venöse Durchblutungsstörungen, Stoffwechselerkrankungen, thermale oder druckbedingte Läsionen, sowie traumatische Weichteil- und Knochendefekte, wie Elisabeth Lahnsteiner vom Ärzteteams Wundheilung an der Privatklinik Döbling in Wien erklärt. Bakterielle und virale Infektionen sind nicht selten begleitet von schwerwiegenden Co-Ätiologien wie beispielsweise einem Autoimmundefekt, Vaskulitis, einer Gerinnungsstörung, Bindegewebserkrankung oder einer hämatologischen oder malignen Erkrankung oder Malnutrition.

Voraussetzung für den Erfolg ist eine ausführliche ärztliche Anamnese, die Evaluierung der bisherigen Befunde, sowie die interdisziplinäre diagnostische Betrachtung. Zölß plädiert dafür, dass alle Patienten sowohl hinsichtlich der arteriellen als auch der venösen Durchblutung abgeklärt werden und ein neurologischer Status durchgeführt wird, um das Empfinden und die Mobilität rund um die Wunde abzuklären. Die Durchblutung der Extremität, an der die Wunde lokalisiert ist, sollte mittels Dopplermessung überprüft werden. Zusätzliche physikalische Maßnahmen wie Kompression oder eine weiterführende Abklärung sollten erfolgen, um die Durchblutung der Extremität zu verbessern.

Akute versus chronische Wunde

Eine chronische oder Therapie-refraktäre Wunde unterscheidet sich in ihrer Pathophysiologie von einer akuten Wunde, da sie sich meist durch eine fortbestehende Grunderkrankung manifestiert. „Chronische Wunden stagnieren in der Entzündungsbeziehungsweise Proliferationsphase“, erläutert Lahnsteiner. Eine übermäßige Expression der Matrixmoleküle sowie metabolische und zelluläre Dysfunktion und Dysregulation führen zur Imbalance der katabolen und anabolen Phase. Es kommt zu einer hohen Expression von neutrophilen Granulozyten und Makrophagen, was wiederum zu einem proinflammatorischen Circulus vitiosus mit perpetuierender Entzündungsreaktion zur Gewebedestruktion führt.

Verschiedene Therapieansätze haben das Ziel, den physiologischen Heilungsprozess von chronischen Wunden zu reaktivieren. Welche Methode der Wundreinigung und des Debridements angewendet wird, richtet sich nach einer Reihe von klinischen Parametern wie der Größe und Tiefe des Weichteildefekts, Lokalisation, Inflammation, den Nekrosen, der Mitbeteiligung von Sehnen oder Organstrukturen und auch nach dem Allgemeinzustand und der Grunderkrankung des Patienten.

Die primäre Säuberung der Wunde ist essentiel, um einen Keimbefall zu reduzieren und die Evaluierung der Wunde zu ermöglichen. „Die Varianten reichen von enzymatisch über mechanisch bis chirurgisch, wobei die chirurgische Säuberung die effizienteste ist, mit der auch bei einem chronischen Wundverlauf eine akute Wunde wiederhergestellt wird. Bei einer akuten Wunde können wir durchaus ein schnelles Wundheilungsergebnis erreichen“, führt Zölß aus. Oberflächliche, randständig nicht inflammierte Nekrosen und Belege können mechanisch oder autolytisch mit neutralen Hydrogelen oder Enzymsalben in Kombination mit Schaumstoffen debridiert werden, ergänzt Lahnsteiner.

Ideales Milieu schaffen

„Die Prinzipien der feuchten Wundversorgung eröffnen innovative Wege bei der Behandlung akuter, postoperativer, traumatischer oder therapierefraktärer Wunden“, weiß Lahnsteiner. Ziel ist es, ein ideales Wundheilungsmilieu zur Zellerneuerung zu schaffen, und den Exsudationsgrad zu regulieren. Rasche Reduktion der lokalen Infektions- und Schmerzsymptomatik, atraumatische Verbandwechsel und verlängerte Intervalle beim Verbandwechsel unterstützen das Therapiekonzept.

Bei chronischen Wunden seien klassische Infektionszeichen wie Calor, Rubor, Dolor, Functio laesa nur beschränkt gültig, betont Lahnsteiner. Komplexe Anzeichen einer Infektion sind eine Änderung der Schmerzcharakteristik, zunehmendes purulentes Exsudationsvolumen, vulnerables Granulationsgewebe mit unruhiger Tektonik, entzündliches Wundrandödem und Stagnationstendenz unter Behandlung oder eine Lymphangitis. Für die laborchemische Diagnostik wird ein Wundabstrich zur quantitativen und qualitativen Identifikation der Keimlast, ein Feinnadelpunktat oder eine Biopsie aus der Wunde oder dem Fistelgang empfohlen; ein Antibiogramm unterstützt.

Zölß empfiehlt für die Prävention und Behandlung einer infizierten Wunde die möglichst kurzfristige Anwendung von lokal keimabtötenden Substanzen wie Antiseptika, Silber oder mizellaren Lösungen und Salben (Surfactantwirkung). Manchmal stellt auch – bei entsprechendem Antibiogramm – die kurzfristige Anwendung von antibiotischen Salben eine Möglichkeit dar, noch vor Verabreichung einer systemischen Antibiose zum Ziel der Keimabtötung zu gelangen. Eine gründliche Entfernung von nekrotischem Gewebe im Rahmen der Wundsäuberung sei in jedem Fall essentiel für die Vermeidung von Keimbefall. „Anfangs sollte konsequent mit einem täglichen Verbandswechsel gearbeitet werden, um zu sehen, ob die Therapie fruchtet und Keime abgetötet werden.“

Eine therapeutische Herausforderung ist das Vorhandensein von Biofilmen. Die Entwicklung von Antibiotikaresistenz erfordert kombinierte Maßnahmen. Dazu zählen die chirurgisch-mechanische Reduktion der Bakterienlast, aber auch Wundauflagen mit hoher antimikrobieller Wirksamkeit wie nanokristallines oder ionisches Silber, ein Cadexomer-Jod-Komplex oder ein antiseptisches Wundgel.

Wundauflage und Verbandstoff

In die Wahl des Verbandstoffs fließt ebenfalls das Ideal des „feuchten Wundmanagements“ ein. Hier sollte der Patient ganzheitlich betrachtet werden. Bei Patienten mit Flüssigkeitsstau und Ulcus am Fuß etwa sollten Materialien wie Zellulosestoffe verwendet werden, die Flüssigkeit aufnehmen und vertikal abtransportieren. Bei trockenen Wunden hingegen wird ein Verbandsstoff gewählt, der die Feuchtigkeit am Ort hält und wieder an die Wunde abgibt.

Die Wundauflage wird auch je nach Keimbefall gewählt. Bei infizierten Wunden werden Verbandsstoffe gewählt, die eine keimsötende Option bieten oder mit einer keimtötenden Salbe kombiniert. Ist die Wunde hingegen bland, kann ein Verbandsstoff gewählt werden, der die Wundheilung zusätzlich fördert. „Es gibt viele Optionen, die man entsprechend der aktuellen Wundsituation auswählt“, berichtet Zölß aus der Praxis. „Die Wunde sollte daher oft angesehen werden, da sich die Wundheilung rasch ändert.“

Korrektes Exsudat-Management

Das Management des Exsudats spielt eine wichtige Rolle bei der Wundheilung. „Die Exsudation ist ein wichtiger Teil der physiologischen Entzündungsphase und dabei eine balancierende Kaskade im komplexen molekularbiochemischen Prozess“, erläutert Lahnsteiner. „Das Exsudat chronischer Wunden führt zu entzündlicher Dermatitis und Wundrandmazeration, verursacht schmerzhafte Affektionen und eine Hemmung der Angiogenese und Zellproliferation und führt somit zur Stagnation der Geweberegeneration.“

Die Menge des Exsudats, aber auch Farbe, Geruch und Viskosität sind wichtige Kriterien für die Therapieentscheidung. Trockene nekrotisch-fibrinöse Beläge können mit Hydrogelen und Enzymsalben autolytisch aufgelöst werden, wodurch ein feuchtes Wundheilungsmilieu geschaffen und eine neuerliche Belagsbildung verhindert wird.

Bei mäßigem oder großem Exsudationsvolumen erlauben hydroaktive Wundauflagen mit gelbildenden Polymeren oder Schaumstoffe mit integriertem Superabsorber eine rasche Absorption des zellulären und bakteriellen Exsudats. Auch unter Kompression können diese Auflagen eine hohe Flüssigkeitsmenge zurückhalten. Calciumalginate oder Hydrofaserverbände bilden bei Kontakt ein Gel, wirken außerdem blutstillend, pH-Wert regulierend und gewährleisten im Vergleich zu herkömmlichen Gazeverbänden auch einen atraumatischen Verbandwechsel.

Bei zusätzlichen vaskulären, lymphatischen, Infekt-bedingten oder reaktiv postoperativen Faktoren sind kausale Begleittherapien zum Exsudat-Management notwendig. Ein wichtiges und umstrittenes Thema ist hier die Kompression, betont Zölß. „Gerade bei älteren Menschen ist ein rein venöses, arterielles oder neuropathisches Ulcus selten. Daher müssen alle drei Komponenten beachtet und behandelt werden.“ Bei einer arteriellen

Durchblutungsstörung in Kombination mit chronisch venöser Insuffizienz sollte eine Kompression angedacht werden, um sauerstoffreiches Blut in die Kapillaren des Wundgebiets vordringen zu lassen. Allerdings sollte der Perfusionswert der Extremität bekannt sein, um einer mangelnden arteriellen Versorgung vorzubeugen.

Da ein feuchtes Mikroklima in der Wunde erwünscht ist, gilt es, die Wundumgebung entsprechend zu schützen. Schutzcremen sollten allerdings kurz angewendet werden, da es bei längerer Behandlungsdauer zu allergischen Reaktionen gegen die Inhaltsstoffe kommen kann. Im Zweifelsfall empfiehlt Zölß Vaseline, da sie nur aus Fett besteht. „Je mehr eine Salbe kann – mit Vitaminen, Rückfettung, Hydration -, um so gefährlicher wird es, weil die Wundumgebung ebenfalls eine Entzündung zeigt. Entzündete Haut reagiert rascher auf entsprechende Produkte, die wiederum eine neue Entzündung verursachen können.“

Den Heilungsverlauf selbst betrachtet Zölß in zwei Stufen: die erste bis zum Erreichen des Hautniveaus durch die Granulation, gefolgt von der Epithelialisierung der Wunde. „Da anfangs die Granulation das primäre Ziel ist, der Abschluss aber erst gelingt, wenn wir die Haut zum Wachsen anregen, ist je nach Stadium eine Änderung der Auflage und anderer Faktoren notwendig, um die Wundheilung richtig zu beeinflussen.“

Wichtige Heilungsindikatoren sind das Ausbilden von konfluierenden Epithelinseln und von zartem Narbengewebe. Bei Wunddehiszenz gelte es laut Lahnsteiner primär die kausale Ursache zu betrachten wie mechanische Irritation oder Nahtunverträglichkeit. Danach richte sich das lokale Therapieregime, das etwa die Applikation von proteasenregulierenden Kollagenauflagen, Silberverbänden oder NPWT Unterdrucktherapie umfassen kann.

Bleibt die Migration des Epidermisrandes aus, sind gezielte lokaltherapeutische Maßnahmen gefordert wie die topische Pflege des Wundrandes, Debridement von randständigen Hyperkeratosen oder hämorrhagischen Verkrustungen oder eine diagnostische Biopsie. „Das klinische Erscheinungsbild des Wundrandes repräsentiert wichtige differentialdiagnostische Hinweise wie bei Pyoderma gangränosum, leukozytoklastischer Vaskulitis oder Ulcus bei rheumatoider Arthritis“, berichtet Lahnsteiner.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 /10.10.2021