Inter­view Heinz Fuch­sig: „Kli­ma­wan­del ist größte Gefahr“

10.02.2021 | Medizin


Jähr­lich gibt es auf­grund von Luft­ver­schmut­zung immer noch bis zu 8.000 Todes­fälle. Über die Aus­wir­kun­gen von Lärm, Wind­kraft, 5G und über die wich­tigs­ten Umwelt­ und Gesund­heits­maß­nah­men, die jeder ein­zelne ergrei­fen kann, infor­miert Heinz Fuch­sig, ÖÄK-­Re­fe­rent für Umwelt­me­di­zin, im Gespräch mit Sophie Fessl.

Wel­che Umwelt­fak­to­ren bedro­hen unsere Gesund­heit? Glo­bal gese­hen ist der Kli­ma­wan­del die größte Gesund­heits­be­dro­hung, in Öster­reich lang­fris­tig gese­hen auch. Vor allem durch die Hitze wer­den wir mas­siv beein­träch­tigt wer­den. In 50 Jah­ren könn­ten bis zu drei Mil­li­ar­den Men­schen in Hit­ze­ge­bie­ten leben, wo es pha­sen­weise durch Hitze und Luft­feuch­tig­keit unmög­lich wird, den Kör­per aus­rei­chend zu küh­len. Nach weni­gen Stun­den ist ein Über­schrei­ten die­ser Kühl­grenz­tem­pe­ra­tur töd­lich, wenn man keine Innen­räume auf­su­chen kann. 

Wel­che ande­ren Gefah­ren sehen Sie unmit­tel­bar für unsere Gesund­heit? Luft­ver­schmut­zung kos­tet noch immer die meis­ten Lebens­jahre. Wir haben pro Jahr immer noch 2.000 bis 8.000 Todes­fälle auf­grund der Luft­ver­schmut­zung. Diese Schät­zung inte­griert sehr viele vor­ge­zo­gene Todes­fälle, bei denen Per­so­nen auf­grund der schlech­ten Luft nur Wochen oder Monate frü­her ver­ster­ben, wich­ti­ger sind ein­ge­schränkte Lebens­qua­li­tät und Pro­duk­ti­vi­tät. Am bedeut­sams­ten ist die Luft­ver­schmut­zung auf­grund des Ver­kehrs, mit einer sin­ken­den Ten­denz. Dafür ist nicht die Elek­tro­mo­bi­li­tät ver­ant­wort­lich, son­dern die Umset­zung der Die­sel­russ­par­ti­kel­fil­ter­-Vor­schrift der EU. Zwei Drit­tel der Par­ti­kel stam­men aus immer noch unge­fil­ter­ten Die­sel­mo­to­ren. Die Schweiz hat inzwi­schen 50.000 Schwer­fahr­zeuge mit Fil­tern nach­ge­rüs­tet. Ultra­feine Die­sel­par­ti­kel pas­sie­ren mit 100 Nano­me­tern sogar Alveo­len, wäh­rend zum Bei­spiel Rei­fen abrieb auf­grund ihrer Größe in Nase und Bron­chien gefil­tert wird. 

Sind andere Schad­stoffe in der Luft eben­falls ein Pro­blem? Hier haben wir enorme Ver­bes­se­run­gen erzielt. Der Zuge­winn an Lebens­qua­li­tät seit den 1970-er Jah­ren ist auch auf die Ver­bes­se­rung der Luft im Freien und an Arbeits­plät­zen zurück­zu­füh­ren. Blei und Schwe­fel­di­oxid ver­ur­sa­chen bei uns keine Gesund­heits­schä­den mehr, auch bei den Stick­oxi­den wird die Lage besser.

Ver­kehr erzeugt ja nicht nur Schad­stoffe, son­dern auch Lärm. Was bedeu­tet Lärm für unsere Gesund­heit? Lärm ist ein ver­dräng­ter Räu­ber an Lebens­qua­li­tät. Zwar hat sich bei den Betrie­ben eini­ges getan, es gibt hohe Auf­la­gen. Im Stra­ßen­ver­kehr aber ent­steht immer noch viel Lärm, es gibt zu wenig Sen­si­bi­li­tät für die­ses Thema. Selbst bei Leu­ten, die jah­re­lang an der Straße gelebt haben, ver­zeich­nen wir bei Lärm einen Anstieg des Blut­drucks – eine kör­per­li­che Gewöh­nung ist nicht mög­lich, nur eine ‚Habi­tu­ie­rung‘: Man regt sich nicht mehr auf. Umwelt­un­ge­rech­tig­keit bedeu­tet auch: Ärmere Kin­der woh­nen an lau­ten Stra­ßen, in hei­ßen Städ­ten. Die in Zukunft noch hei­ßer wer­den, wo in der Nacht nicht gelüf­tet wer­den kann. Wie sol­len sie unaus­ge­schla­fen eine gute Schul­leis­tung brin­gen? Frü­her war es nicht so ein Pro­blem, aber wenn es wochen­lang heiß wird, wird es schwierig. 

Was muss getan wer­den? Die Ener­gie­wende ist das größte Gesund­heits­pro­jekt Öster­reichs. Im Geset­zes­vor­schlag zum Aus­bau der erneu­er­ba­ren Ener­gie stand, dass der Aus­bau keine Aus­wir­kun­gen auf die Gesund­heit hat. Aber wenn wir neu­este Daten her­an­zie­hen, sehen wir, dass durch das Umstel­len auf elek­tri­sche Ener­gie für Bewe­gung und Wärme zwei gesunde Lebens­jahre dazu­ge­won­nen wer­den. Die Ener­gie­wende hat damit die glei­che Aus­wir­kung wie die Errei­chung aller zehn natio­na­ler Gesund­heits­ziele. Die­ser Geset­zes­vor­schlag wirkt sich nicht neu­tral auf die Gesund­heit aus, son­dern enorm positiv! 

In puncto Ener­gie­wende gibt es immer wie­der Kri­tik an Wind­kraft. Kommt es durch Wind­kraft­werke zu gesund­heit­li­chen Schä­den? Natür­lich kann Lärm durch Wind­kraft krank­ma­chen. Daher ist es wich­tig, 600 Meter Abstand zu dem Wind­kraft­werk zu hal­ten. Je nach Wind­rich­tung und Ortho­gra­phie der Gelän­de­form kann es auch sein, dass man das Wind­kraft­werk in 1.000 Meter Ent­fer­nung noch hört. Aber zum Ver­gleich muss man auch fra­gen: Wie weit ent­fernt ist die nächste Straße und wie viel Lärm erzeugt diese? Das­selbe gilt für den Infra­schall. Im PKW habe ich bis zu 1.000­-mal mehr Infra­schall als der Infra­schall-Grenz­wert eines Windkraftwerks. 

Wie ist Ihre Posi­tion zum Thema 5G? Hier müs­sen wir zwei Aspekte betrach­ten: Bei den bis­her genutz­ten Fre­quen­zen bis 4 GHz kommt es durch 5G-­Tech­no­lo­gie nur zu einer ande­ren Funk­dichte. Daher ist es unwahr­schein­lich, dass es zu Sym­pto­men kommt, die nicht schon bis­her auf­ge­tre­ten sind. Diese müs­sen aber erforscht wer­den mit Metho­den, die sub­tile Effekte wie Ände­rung der Herz­ra­ten­va­ria­bi­li­tät auf­spü­ren kön­nen. Anders die neue Hoch­fre­quenz bis 100 GHz: Diese Wel­len drin­gen nicht durch die Haut. Aber was machen sie mit der Haut, mit der Horn­haut? Mehr For­schung ist hier notwendig. 

Was wären die wich­tigs­ten Umwelt- und Gesund­heits­maß­nah­men, die jeder ein­zelne ergrei­fen kann? Das wich­tigste wäre eine fleisch­arme Ernäh­rung und mehr All­tags­be­we­gung. Die Lebens­mit­tel­pro­duk­tion erzeugt 25 Pro­zent der Treib­haus­gase der Erde. 75 Pro­zent davon stam­men aus der Fleisch-­ und Milch­in­dus­trie. Die pla­ne­tare Diät ist fle­xi­ta­risch, mit mög­lichst wenig und bio­lo­gisch gezüch­te­tem Fleisch und viel regio­na­lem Gemüse und Getreide. Die größte Quelle an Gesund­heit wäre es, im All­tag das Fahr­rad zu ver­wen­den. Ins­ge­samt muss man an vie­len Sys­tem­schrau­ben dre­hen. Es braucht vor allem eine öko­so­zi­al­-vitale Steu­er­re­form, die gesund­heits­schäd­li­che Akti­vi­tä­ten nicht mehr sub­ven­tio­niert und Gesund­heits­för­der­li­ches vergünstigt.

Wie sehen Sie die Rolle von Ärz­tin­nen und Ärz­ten? Wir soll­ten den Men­schen als Teil der Natur sehen, dass wir mit jedem Atem­zug abhän­gig von der Sau­ber­keit der Luft, der Rege­ne­ra­ti­ons­fä­hig­keit des Was­sers und der Böden sind. Bei der Ver­än­de­rung der Wirt­schaft hin zu einer kli­ma­- und umwelt­ge­rech­ten Wirt­schaft, die für den Men­schen Gesund­heits­ge­winne bringt, soll­ten wir Ärzte ganz vorne ste­hen – bei Bera­tun­gen, bei Ent­schei­dun­gen und im Gespräch, unsere Worte haben Gewicht. Das Jahr 2100 mag zwar fern klin­gen. Aber die Ent­schei­dung, wie es unse­ren Enkel­kin­dern geht, tref­fen wir heute. 2040 sind sonst bereits viele tip­ping points irrever­si­bel überschritten. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2021