Stamm­ve­nen­in­suf­fi­zi­enz: Kom­pres­si­ons­strümpfe als Erfolgsindikator

10.05.2021 | Medizin


Bei Pati­en­ten ohne sicht­bare Zei­chen für eine Vari­ko­si­tas muss dif­fe­ren­ti­al­dia­gnos­tisch auch an eine ortho­pä­di­sche Genese gedacht wer­den. Dabei tre­ten die Pro­bleme jedoch in der Regel mehr unter Belas­tung auf als in Ruhe. Brin­gen Kom­pres­si­ons­strümpfe keine Bes­se­rung, blei­ben die Beschwer­den auch nach der Ope­ra­tion bestehen.
Sophie Fessl

Stamm­ve­nen­in­suf­fi­zi­enz ist eine Volks­krank­heit. „Jede fünfte erwach­sene Frau bezie­hungs­weise jeder sechste erwach­sene Mann im deutsch­spra­chi­gen Raum lei­det daran“, sagt San­dra Huber von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Gefäß­chir­ur­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck. Eine Stamm­ve­nen­in­suf­fi­zi­enz liegt dann vor, wenn die Stamm­ve­nen des ober­fläch­li­chen Bein­ve­nen­sys­tems – die Vena saphena magna und die Vena saphena parva – einen Reflux auf­wei­sen. Als Risi­ko­fak­to­ren dafür gel­ten Über­ge­wicht, Bewe­gungs­man­gel und über­wie­gend ste­hende Tätig­keit. Beson­ders gefähr­det sind Frauen nach meh­re­ren Schwan­ger­schaf­ten und mit einer posi­ti­ven Familienanamnese.

Typisch: Vari­zen und geschwol­lene Beine

Die Stamm­ve­nen­in­suf­fi­zi­enz geht mit typi­schen Beschwer­den ein­her. „Die Pati­en­tin­nen stel­len sich häu­fig mit sicht­ba­ren Krampf­adern, geschwol­le­nen, schwe­ren Bei­nen nach lan­gem Ste­hen und abend­li­chen bezie­hungs­weise nächt­li­chen Beschwer­den wie Bren­nen vor“, berich­tet Nadja Kaser von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Gefäß­chir­ur­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck. Chro­ni­sche Venen­er­kran­kun­gen wer­den in Sta­dien nach CEAP defi­niert, wobei Pati­en­ten mit C0 noch keine sicht­ba­ren Zei­chen einer Venen­er­kran­kung auf­wei­sen. „In wei­te­rer Folge tre­ten Haut­ver­än­de­run­gen auf auf­grund der Extra­va­sa­tion von Ery­thro­zy­ten und einer Abla­ge­rung von Hämo­si­de­rin, das ruft eine Hyper­pig­men­tie­rung her­vor“, erläu­tert Univ. Prof. Chris­toph Neu­mayer von der Kli­ni­schen Abtei­lung für Gefäß­chir­ur­gie an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Es kann zu einer Stau­ungs­der­ma­ti­tis kom­men, die mit ent­zünd­li­cher, schup­pen­der Haut ein­her­geht. „Schließ­lich kann ein Ulcus cru­ris veno­sum auf­tre­ten mit schmerz­haf­ten Haut­de­fek­ten am Innen­knö­chel im Falle der Vena saphena magna oder am Außen­knö­chel, wenn die Vena saphena parva betrof­fen ist.“ 

Je nach Sta­dium müs­sen andere Dif­fe­ren­ti­al­dia­gno­sen abge­klärt wer­den. „Bei Pati­en­tin­nen ohne sicht­bare Vari­ko­si­tas muss man dif­fe­ren­ti­al­dia­gnos­tisch unter ande­rem auch an eine ortho­pä­di­sche Genese der Beschwer­den den­ken“, betont Kaser. Aller­dings kann klar dif­fe­ren­ziert wer­den: Ortho­pä­di­sche Beschwer­den tre­ten in der Regel unter Belas­tung mehr als in Ruhe auf, dage­gen deu­ten Beschwer­den in Ruhe, die sich bei Bewe­gung bes­sern, auf eine Stamm­ve­nen­in­suf­fi­zi­enz hin. Bei älte­ren Pati­en­ten muss man dif­fe­ren­ti­al­dia­gnos­tisch zum Bei­spiel auch an eine Herz­in­suf­fi­zi­enz und ein Lymph­ödem als Ursa­che für geschwol­lene Beine den­ken. Wenn Pati­en­ten bei der Vor­stel­lung bereits ein offe­nes Bein auf­wei­sen, müs­sen auch der­ma­to­lo­gi­sche Ursa­chen, Vas­ku­lit­i­den sowie eine peri­phere arte­ri­elle Ver­schluss­krank­heit aus­ge­schlos­sen bezie­hungs­weise ein gleich­zei­ti­ges Auf­tre­ten erkannt werden. 

Zusätz­lich zur Ana­mnese und zum kli­ni­schen Erschei­nungs­bild ist der Venen­ul­tra­schall Gold­stan­dard für die Dar­stel­lung der Venen und der Strö­mungs­ver­hält­nisse. „Hier beur­tei­len wir, ob die Mün­dungs­klappe in das tiefe Venen­sys­tem in Ord­nung ist. Eben­falls ent­schei­dend ist, dass keine Throm­bose in den tie­fen Bein­ve­nen vor­liegt“, betont Neu­mayer. Bei einer tie­fen Bein­ve­nen­throm­bose dür­fen die ober­fläch­li­chen Venen nicht ent­fernt wer­den. In die­sem Fall sollte der Pati­ent gemäß den Leit­li­nien und abhän­gig von den Risi­ko­fak­to­ren und der Aus­prä­gung der Throm­bose anti­ko­agu­liert wer­den. Beson­ders bei Rau­chern sei es wich­tig, eine mög­li­cher­weise vor­lie­gende pAVK nicht zu über­se­hen und den arte­ri­el­len Puls­sta­tus zu erhe­ben. „Bei einer Erst­un­ter­su­chung im nie­der­ge­las­se­nen Bereich reicht es in der Regel aus, den Fuß­puls zu über­prü­fen“, fügt Huber hinzu. „Ist ein Fuß­puls tast­bar, kann eine Kom­pres­si­ons­the­ra­pie ver­schrie­ben werden.“

In Aus­nah­me­fäl­len kann auch eine Phle­bo­gra­phie für die Dar­stel­lung der Bein­ve­nen durch­ge­führt wer­den. Die nicht­in­va­sive Licht­re­flex­r­heo­gra­phie wird ein­ge­setzt, um das Lee­ren und Fül­len der Venen bei Betä­ti­gung der Mus­kel­pumpe durch Dor­sal­fle­xion im Sprung­ge­lenk zu mes­sen. „So kön­nen wir beur­tei­len, wie fähig das ober­fläch­li­che und auch das tiefe Venen­sys­tem ist“, erläu­tert Huber. Wich­tig sei es jeden­falls, eine Dia­gnose mög­lichst früh zu stel­len. Denn je höher die CEAP­Stufe, desto schwie­ri­ger, kom­ple­xer und Therapie­resistenter werde die Erkrankung.

Die kon­ser­va­tive Behand­lung erfolgt mit­tels Kom­pres­si­ons­strumpf. Durch die Kom­pres­sion wer­den die Venen­wände ein­an­der ange­nä­hert, wodurch die Venen­klap­pen wie­der dich­ter schlie­ßen, was zu einer Mil­de­rung der Schwel­lung führt. „Sym­ptome, die beim Tra­gen des Kom­pres­si­ons­strumpfs ver­schwin­den, sind auch nach einer Ope­ra­tion weg“, berich­tet Huber. Und Kaser wie­derum warnt: „Man­che Pati­en­ten kla­gen, dass die Strümpfe ihnen nicht hel­fen wür­den. Wenn aller­dings die Kom­pres­si­ons­strümpfe keine Erleich­te­rung brin­gen, ist die Vari­zen­ope­ra­tion der fal­sche Weg. Die Beschwer­den blei­ben auch nach der Ope­ra­tion.“ Wich­tig sei, dass ein Strumpf der Klasse KKL II ver­schrie­ben wird, der nicht nur bis zur Wade, son­dern bis zur Leiste reicht.

Ope­ra­tiv ste­hen pri­mär die klas­si­sche Vari­zen­ope­ra­tion sowie die endo­ve­nöse The­ra­pie zur Ver­fü­gung. Bei der klas­si­schen Vari­zen­ope­ra­tion nach Bab­cock wird eine Cros­sek­to­mie durch­ge­führt: eine Durch­tren­nung der Ein­mün­dung der ober­fläch­li­chen Vene in das tiefe Venen­sys­tem sowie Unter­bin­dung aller in die­ser Region ein­mün­den­den Sei­ten­äste. Am dista­len Insuf­fi­zi­enz­punkt der Vene wird diese abli­giert. Außer­dem wird eine Liga­tur der insuf­fi­zi­en­ten Per­forans­ve­nen und eine Exhai­rese der vari­kös ver­än­der­ten Sei­ten­äste vor­ge­nom­men. Anschlie­ßend sollte das Strip­ping der Stamm­vene von pro­xi­mal nach distal inva­gi­nie­rend erfol­gen, da dies für den beglei­ten­den sen­si­blen Nerv scho­nen­der ist. „In sel­te­nen Fäl­len kann es zur Ver­let­zung des par­al­lel zur Vene ver­lau­fen­den Ner­vus saphenus bei Strip­ping der Vena saphena magna und zu einer Pero­neus­lä­sion nach Par­va­strip­ping kom­men“, berich­tet Kaser.

Endo­ve­nöse Vari­zen­ab­la­tion: zwei Varianten

Die endo­ve­nöse Vari­zen­ab­la­tion kann mit­tels Laser oder durch Radio­fre­quenz­ab­la­tion durch­ge­führt wer­den. Bei bei­den Vari­an­ten wird ein Kathe­ter Ultraschall­gesteuert in die betrof­fene Vene ein­ge­führt. Dabei wird des­sen kor­rekte Posi­tio­nie­rung kon­trol­liert; auf kei­nen Fall darf die Son­den­spitze extra­va­sal bezie­hungs­weise im tie­fen Sys­tem akti­viert wer­den. Danach wird die Vene mit­tels Laser oder Radio­fre­quenz von innen „ver­kocht“. „Diese Methode ist weni­ger inva­siv, da kein Leis­ten­schnitt erfolgt, was gerade bei adi­pö­sen Pati­en­ten von Vor­teil ist. Außer­dem erho­len sich die Pati­en­ten in der Regel rascher als nach einer klas­si­schen Vari­zen­ope­ra­tion“, erläu­tert Huber. 

Bei der endo­ve­nö­sen Vari­zen­ab­la­tion kann sich ein Throm­bus in der Crosse bil­den. Durch die Hitze kön­nen außer­dem par­al­lel ver­lau­fende Ner­ven und die Haut geschä­digt wer­den. „Gerade für die Radio­fre­quenz­ab­la­tion sind gute Lang­zeit-Ergeb­nisse publi­ziert“, berich­tet Neu­mayer. Für die Laser­the­ra­pie lie­gen jedoch keine Lang­zeit­da­ten vor.

Bei der Skle­ro­sie­rung wer­den Sub­stan­zen inji­ziert, die eine Fibro­sie­rung der Vene indu­zie­ren. „Je grö­ßer die Vene, desto schlech­ter funk­tio­niert die Ver­ödung. Sie ist daher nicht Mit­tel der Wahl und sollte nur in Aus­nah­me­fäl­len ein­ge­setzt wer­den, etwa wenn im hohen Alter keine Ope­ra­tion durch­ge­führt wer­den kann“, erklärt Neu­mayer. Einen gro­ßen Stel­len­wert hat die Ver­wen­dung von Skle­ro­sie­rungs­mit­teln bei der Ver­ödung von Besen­rei­sern und fei­nen reti­ku­lä­ren Vari­ko­sen. Hier führt das Skle­ro­sie­rungs­mit­tel zur Rei­zung der Venen­wände und einer gewünsch­ten Ent­zün­dung. Die Venen­wände kle­ben zusam­men und der Kör­per resor­biert im Anschluss die skle­ro­sier­ten Venen. Neben­wir­kun­gen wie Flim­mer­s­ko­tom, Migräne-artige Kopf­schmer­zen durch die Rei­zung des Gefäß­sys­tems sowie Embo­lien sind extrem selten. 

Die Ver­wen­dung von Vari­zen­kle­ber ist eine wei­tere Methode, die nur in Ein­zel­fäl­len bei der Behand­lung von Stamm­ve­nen­in­suf­fi­zi­enz zum Ein­satz kommt. Dabei wird ein Kunst­harz mit­tels Sonde in die betrof­fene Vene inji­ziert. „Aller­dings kann die ver­klebte Vene vor allem bei sehr schlan­ken Pati­en­ten durch die Haut tast­bar sein“, erläu­tert Neumayer. 

Bei jun­gen Pati­en­ten sollte die Indi­ka­tion für eine ope­ra­tive Behand­lung der Stamm­ve­nen­in­suf­fi­zi­enz streng gestellt wer­den. „Die Vena saphena magna und parva sind die Venen, die für einen Koro­nar­by­pass genutzt wer­den. Auch für die peri­phere Bypass-Chir­ur­gie ist die Vena saphena magna die erste Option“, erläu­tert Huber. „Gerade bei jun­gen Pati­en­ten sollte daher gut über­legt wer­den, ob im Hin­blick auf einen all­fäl­lig spä­ter benö­tig­ten Bypass eine grenz­wer­tig insuf­fi­zi­ente Vene ent­fernt wird.“ Umge­kehrt sollte man laut Neu­mayer nicht zögern, bei aus­ge­präg­ten Vari­zen eine adäquate chir­ur­gi­sche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Für die medi­ka­men­töse Behand­lung der Stamm­ve­nen­in­suf­fi­zi­enz steht unter ande­rem gerei­nigte, mikro­ni­sierte Fla­vo­noid­frak­tion zur Ver­fü­gung. Auch für stan­dar­di­sierte Rotes­Weinlaub­ oder Ross­kas­ta­ni­en­ex­trakte ist laut Leit­li­nien eine Sym­ptom­ver­bes­se­rung belegt. Diese Wirk­stoffe kön­nen ergän­zend zur kon­ser­va­ti­ven Behand­lung mit Kom­pres­si­ons­strümp­fen ver­ab­reicht wer­den. „Wich­tig ist jedoch, dass diese Wirk­stoffe wie in stan­dar­di­sier­ter Zube­rei­tung ein­ge­nom­men wer­den. Für alle ande­ren Mit­tel gibt es keine Evi­denz für eine Wirk­sam­keit bei der Behand­lung der chro­nisch venö­sen Insuf­fi­zenz“, stellt Huber klar. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2021