Sportmedizin: Sport nur mit Check

25.10.2021 | Medizin

Eine Ausweitung des Tiroler Erfolgsmodells der sportmedizinischen Untersuchung zwischen sechs und 19 Jahren auf ganz Österreich fordern Experten. Sportmediziner müssen sich bei der Betreuung von Spitzensportlern für ein Spezialfach entscheiden, um eine optimale Betreuung zu gewährleisten.
Manuela-C. Warscher

Rund 200.000 Österreicher verletzen sich jährlich beim Sport. Die Statistik führt mit 50.000 Unfällen der Fußball vor dem alpinen Schilauf (23.000), den Mannschaftssportarten mit Ball (21.000) sowie Radfahr- und Mountainbike-Unfällen (19.500) an. Prellungen, Knochenbrüche, Verrenkungen sowie Sehnen-, Bänder- und Muskelverletzungen zählen dabei zu den häufigsten Sportverletzungen. Das geänderte Freizeitverhalten aufgrund der Corona-Maßnahmen hat im Breitensport zu einem Anstieg an Sportverletzungen geführt, sagt Univ. Prof. Karl Benedetto von der Privatklinik Hochrum in Tirol. „Vor allem bei den Radunfällen haben die eBikes die Zahl nach oben getrieben, weil sie jenen, die es früher nicht auf den Berg geschafft haben, die Auffahrt ermöglichen.“ Dabei würden viele das Gewicht und die breiteren Lenkstangen von eBikes unterschätzen. Daher empfiehlt der Experte, Rad und Fahrer vor dem Radkauf zu vermessen und das eigene Fitness-Level zu kennen.

Verpflichtendes Screening in Italien

Nicht nur die eigene Fitness, sondern auch Verletzungen und sogar Todesfälle lassen sich mit einer Sporttauglichkeitsuntersuchung eruieren und verhindern. Dabei werden der Gesundheitszustand und die individuelle Belastbarkeit von sportlich aktiven Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen durch den Sportmediziner festgestellt. Diese Sporttauglichkeitsuntersuchung ist in Italien seit 1982 gesetzlich vorgeschrieben und umfasst unter anderem ein EKG für Wettkampfsportler aller Leistungsklassen und Wettbewerbe. Mit Einführung dieses Screening-Systems in Italien konnte die jährliche Rate des plötzlichen Herztodes beim Sport von 3,6 auf 0,4 pro 100.000 Personen-Jahre gesenkt werden. „Das ist eine beeindruckende Zahl, die zeigt, welchen Effekt eine gezielte Voruntersuchung bei Hobbysportlern vor einem Wettkampf bringen kann“, so Erwin Zanier, ÖÄK-Referent für Sportmedizin und Ärztesport. Eine ähnliche gesetzliche Verpflichtung für eine Tauglichkeitsuntersuchung gibt es in Österreich mit Ausnahme des Berufssports und der obersten Leistungsklassen und Leistungskader derzeit noch nicht. Der Vorschlag der ÖÄK – so Zanier – lautet daher: eine entsprechende gesetzliche Regelung, die eine sportmedizinische Tauglichkeitsuntersuchung vor Ausübung einer Sportart zwingend vorschreibt und ein Jahr gültig ist, einzuführen. In Tirol werden übrigens bereits seit mehr als 15 Jahren Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 19 Jahren sportmedizinisch untersucht – „erfolgreich“, wie Benedetto betont.

Heute: individuellere Vorgangsweise

Die Indikationen und auch die Therapien werden heutzutage individueller gestellt als noch vor 30 Jahren, weil Fragen nach dem biologischen Alter des Patienten, seinen Lebenszielen und Freizeitverhalten stärker berücksichtigt werden. „Vor 30 Jahren bekam kaum ein Patient über 60 Jahren eine Hüftprothese und auch das Kreuzband des 50-Jährigen wurde nicht mehr repariert“, so Benedetto. Heute werden Meniskus-Verletzungen entweder teilreseziert oder genäht. „Während die Teilresektion kurzzeitig bessere Erfolge bringt, bevorzugt man das Nähen bei Längsrissen.“ Aufgrund der im Anschluss notwendigen Pause vom Sport für sechs Monate haben Meniskus-Verletzungen für Profisportler enorme wirtschaftliche Folgen. „Bei einem 18-jährigen Sportler am Beginn der Karriere ist das weniger das Problem. Aber ein 30-Jähriger am Ende der Karriere wird lieber weitere zwei, drei Jahre Geld verdienen wollen und ungeachtet der Langzeitschäden für die Resektion optieren.“ Wie schwer diese Langzeitfolgen letztlich sind, hängt vom Ausmaß des entfernten Knorpels ab und kann von der einseitigen Belastung, Bein-Fehlstellungen (O-Beine) bis zu posttraumatischen Knorpelschäden führen.

Die Behandlung von Knorpelschäden ist in den vergangenen Jahren stärker ins Zentrum der orthopädischen und Traumaforschung gerückt. Die besten Langzeitergebnisse werden mit der Knorpelzelltransplantation erzielt, bei der eigenes Knorpelgewebe im Labor vermehrt und wiedereingesetzt wird. Kommt diese Therapie primär für jüngere Patienten bis 45 Jahren zum Einsatz, wird für ältere Patienten verstärkt Knorpel aus zellfreien Biomaterialien ohne Anzüchtung körpereigener Knorpelzellen im Labor angewendet; kleinere Defekte werden mit osteochondraler Transplantation versorgt. „Dieser Forschung kommt besonderer Stellenwert zu, da Knorpelschäden ein wesentlicher Faktor dafür sind, dass Betroffene den Sport nicht mehr ausüben können“, so Benedetto. Generell gehe man heutzutage sowohl bei Knie- als auch Schulterverletzungen „wo immer möglich, minimal-invasiv und arthroskopisch“ vor. Im Zentrum steht die Menikus-erhaltende, Knorpel-schonende oder wiederherstellende Operation. „Da die Beinachse bei Knieverletzungen eine zentrale Rolle spielt, werden O-Beine immer gleich mit korrigiert“, so Benedetto. Ähnlich ist die Vorgangsweise bei Schulterverletzungen: Bei sportlich Aktiven wird der konservativen Therapie über einen langen Zeitraum inweg der Vorzug gegenüber einer Operation gegeben. „Erst wenn auch nach drei Monaten keine Erholung beim Patienten erkennbar ist, wird eine Operation in Erwägung gezogen“, erklärt Benedetto.

Sowohl die Sporttauglichkeitsuntersuchung als auch die ärztliche Betreuung von Profi- und Amateursportlern obliegt Sportmedizinern. „Essentiell ist die gezielte Schulung der einzelnen Sportarten und die spezielle orthopädische und traumatologische Ausbildung ebenso wie das Wissen, dass beispielsweise das EKG eines Sportlers anders ist als das einen normalen Patienten“, erläutert Zanier. Im Zuge der Ausbildung für das ÖÄK-Diplom Sportmedizin werden die Grundlagen der sportmedizinischen ärztlichen Tätigkeit in 180 Unterrichtseinheiten, davon 60 Praxisstunden, vermittelt. Grundvoraussetzung für die dreijährige Ausbildung ist „das medizinische und sportliche Interesse“, so Benedetto. Die vielschichtige Ausbildung umfasst von der Inneren Medizin über Massagen bis hin zu Traumatologie und Orthopädie alles, was für die sportmedizinische Begleitung notwendig ist. „Vor allem beim Spitzensport muss man sich für ein Spezialfach entscheiden, denn es ist unmöglich, dass man alle Sportarten auf gleichermaßen hohem Niveau betreuen kann“, betont Benedetto. Auch die eigene sportliche Aktivität kommt beim Erwerb des ÖÄK-Diploms Sportmedizin nicht zu kurz. „Die Ärzte in Ausbildung können aus mehreren Sportarten auswählen, die sie dann in 20 Unterrichtseinheiten absolvieren“, sagt ÖÄK-Sportreferent Zanier.

Was alle Experten unisono betonen: Der Allgemeinmediziner mit einer sportmedizinischen Ausbildung weiß, was der Hobbysportler braucht und kann ihn gezielter beraten. Insgesamt 1.931 Ärztinnen und Ärzte in Österreich haben das ÖÄK-Diplom Sportmedizin.


ÖÄK-Diplom Sportmedizin

Das Diplom richtet sich an Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner sowie Fachärztinnen und Fachärzte aller Sonderfächer. Innerhalb von drei Jahren müssen 180 Unterrichtseinheiten absolviert werden. Die 120 Theoriestunden beinhalten jeweils 40 Stunden leistungspsychologisch-internistische-pädiatrische Aspekte; orthopädisch-traumatologisch-physikalische Kurse (40 Stunden) und allgemeine Sportmedizin auf Kongressen und bei Veranstaltungen. Die 60 Praxiseinheiten beinhalten 40 Stunden sportmedizinische Praxisseminare und 20 Stunden Ärztesport.

Details und weitere Informationen stehen unter www.arztakademie.at zur Verfügung.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2021