Schlafstörungen im Alter: Teil des Alterungsprozesses

10.05.2021 | Medizin

Schlaf kann man nicht erzwingen – und noch dazu kommt es mit dem Alter zu einer Veränderung der Schlafstrukur: Man wird früher wach oder wacht in der Nacht häufiger auf. Auch können alterstypische Komorbiditäten mit der damit verbundenen Polypharmazie den Schlaf beeinflussen.
Laura Scherber

Mit dem Alter verändert sich der Schlaf. „Tiefschlafstadien nehmen ab, Aufwachereignisse nehmen zu, wobei das prinzipiell ein völlig normaler Ablauf in der Entwicklung des Schlafes über das Lebensalter ist“, erklärt Univ. Doz. Gerda Saletu­-Zyhlarz, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Schlafmedizinerin in Wien. Neben den Veränderungen in der Schlafstruktur werden mit zunehmendem Alter vermehrt auch tagsüber kürzere „Schläfchen“ abgehalten, welche die Gesamtschlafzeit in der Nacht reduzieren. Je später solche Schlaf­Events stattfinden, desto mehr verzögert sich dann das Wiedereinschlafen­Können am Abend, weil ein gewisser Schlafdruck erst wieder aufgebaut werden muss. Die Gesamtschlafzeit per se kann mit dem Alter zwar auch abnehmen, ist jedoch keine zwingende altersbedingte Veränderung. Dafür kommt es aber relativ häufig zu einer Verschiebung des Schlaf-Wach­-Rhythmus. „Biologisch ist die Tendenz eher zu einem früheren Schlafengehen, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass sich mit zunehmendem Alter häufig die sozialen Zeitgeber verändern“, weiß die Expertin. Besonders bei Menschen, die in Institutionen leben, sei das frühere Schlafengehen im Tagesablauf auch so vorgesehen. Gleichzeitig gäbe es aber andere, bei denen sich der Schlaf­Wach­Rhythmus nach hinten verschiebt, da sie wissen, dass sie am nächsten Tag nicht aufstehen müssen.

Der Alterungsprozess ist mit vielfältigen biologischen Veränderungen verbunden – was nachvollziehbar mache, dass sich auch der Schlaf verändert. Neben den physiologischen Veränderungen in der Schlafstruktur und der Tendenz hin zu einem biphasischen Schlaf können die für das höhere Alter typischen Komorbiditäten und die damit verbundene Polypharmazie den Schlaf wesentlich beeinflussen. „Man kann davon ausgehen, dass ein Viertel der Menschen zwischen 65 und 80 Jahren mehr als vier zusätzliche Diagnosen hat und 46 Prozent mindestens vier Medikamente täglich einnehmen müssen“, berichtet Anna Heidbreder von der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck. Viele Komorbiditäten sind verbunden mit Schmerzen, während bei der Prostatahyperplasie oder Harninkontinenz vor allem die Nykturie schlafunterbrechend wirkt. Neben Schmerzen und der Notwendigkeit des nächtlichen Toilettengangs nimmt im Laufe des Lebens die Häufigkeit von Adipositas zu, das Bindegewebe wird instabiler und die damit assoziierten verschiedensten Erkrankungen kommen öfter vor. „Eine der häufigsten Erkrankungen ist wahrscheinlich das obstruktive Schlafapnoesyndrom, das mit dem Alter an Prävalenz zunimmt und in der Altersgruppe der über 60­Jährigen bei bis zu 30 Prozent vorliegt“, weiß Heidbreder. Das vor allem durch den Bettpartner wahrgenommene Schnarchen mit Atempausen geht einher mit fehlender Erholung durch den Nachtschlaf und resultierender Tagesschläfrigkeit. Als unabhängiger Risikofaktor beeinflusst das obstruktive Schlafapnoesyndrom zusätzlich das mit dem Alter per se gehäufte Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen. Auch die Insomnie tritt als chronische Ein­ und Durchschlafstörung im vorangeschrittenen Alter häufiger auf. Der Expertin zufolge sind fast 50 Prozent der über 65­Jährigen davon betroffen, wobei nicht selten eine sekundäre Insomnie in Verbindung mit entsprechenden Komorbiditäten vorliegt. Auch das Restless­-Legs­-Syndrom komme mit zehn bis 35 Prozent im höheren Alter gehäuft vor, während die per se seltene REM-­Schlaf­-Verhaltensstörung auch mit dem Alter zunehme. Die REM-­Schlaf­-Verhaltensstörung ist ein Marker für eine sich in Zukunft möglicherweise entwickelnde neurodegenerative Erkrankung wie das Parkinson-­Syndrom, die Multisystematrophie oder die Lewy­Körperchen­-Demenz.

Zusammenhänge erheben

Im Vordergrund steht die gezielte Anamnese, um die Entstehung und den Verlauf der Schlafstörung genau zu erheben. „Es ist wichtig, Schlafstörungen ernst zu nehmen und alleine durch das Anamnesegespräch bekommt man wichtige Anhaltspunkte, in welchem Zusammenhang die Schlafstörungen zu sehen sind“, hebt Saletu­-Zyhlarz hervor. Zu beachten sei aber, dass die subjektive Einschätzung von der objektiven Schlafaufzeichnung oft ziemlich stark abweiche und man daher den eigenen Schlaf nur relativ schlecht beurteilen könne. Bei der Anamnese sollte erfragt werden, wann derjenige schlafen geht, wann er aufsteht, ob und wie lange er tagsüber schläft und ob zum Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens der Schlafstörung eine Veränderung eingetreten ist im Sinne von Life­Events, neuen Erkrankungen oder hinzu gekommenen Medikamenten. Wichtig ist auch, wie ein Patient reagiert, wenn er in der Nacht aufwacht. „Aufwachen in der Nacht ist prinzipiell völlig normal und üblicherweise ist es so, dass man dann kurz wach ist, sich umdreht und weiterschläft“, führt Saletu­-Zyhlarz aus. Steht man hingegen auf und schaltet das Licht ein, ist das eine massive Schlafunterbrechung, die auch das Wiedereinschlafen erschweren kann, da Licht das Melatonin unterdrückt und damit die Schlafkontinuität verschlechtert. Auf der anderen Seite hänge es auch davon ab, welche Medikamente die Patienten einnähmen – das nächtliche Aufstehen kann hier die Sturzgefahr erhöhen. Jemandem zu empfehlen, in der Nacht ohne Licht aufzustehen, stelle bei alten Menschen eine zwiespältige Gefährdung dar. Bei der Anamnese ist zudem das Vorliegen von psychiatrischen Erkrankungen zu bedenken. „Mit dem Alterungsprozess nehmen die eingeschränkte Beweglichkeit, die soziale Isolation und der Verlust der Selbstständigkeit häufig an Bedeutung zu und das sollte man im Gespräch auch adressieren“, fügt Heidbreder hinzu.

Ein wichtiger altersunabhängiger Aspekt in Zusammenhang mit der Schlafqualität ist die Schlafedukation. „Das Einhalten der Schlafhygiene und die Anwendung von Entspannungstechniken sind sicherlich in jedem Fall wichtige und sinnvolle Begleitmaßnahmen und es ist wichtig, dass sich Menschen damit auseinandersetzen“, betont Saletu­-Zyhlarz. Tritt eine Schlafstörung häufiger als drei­ bis viermal pro Woche über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten auf, sollte eine entsprechende Abklärung im Schlaflabor erfolgen. „Leider“ (Saletu­Zyhlarz) seien hier die Wartezeiten meist sehr lang. Im Vordergrund der Behandlung steht Heidbreder zufolge die Verhaltensmodifikation. Wenn überhaupt notwendig, sollten Medikamente nur unterstützend und vorübergehend eingesetzt werden, nicht jedoch als Dauermedikation. Gemäß den aktuellen Leitlinien werden die klassischen Z­Substanzen und Benzodiazepine eingesetzt oder alternativ auch schlafanstoßende Antidepressiva. Viel wichtiger seien aber die schlafhygienischen Maßnahmen: ein gesunder Zeitabstand zur letzten Nahrungsaufnahme, keine schweren Mahlzeiten oder große Flüssigkeitsmengen bevor man zu Bett geht, das Vermeiden von Kaffee und schwarzem Tee sowie regelmäßige Mahlzeiten, um den inneren Rhythmus stabil zu halten. Regelmäßige Bewegung ist auch im Alter ein wesentlicher Faktor und sollte im Licht stattfinden, da Licht als wichtiger Taktgeber dem Gehirn signalisiert, dass Tag und damit Wachzeit ist. Am späten Nachmittag sollte die körperliche Aktivität allerdings eingeschränkt werden, weil diese zu einer Sympathikus­Aktivierung führt. Sehr wichtig im Rahmen der Schlafhygiene ist außerdem die Einhaltung fester, regelmäßiger Bettliegezeiten. Aus Erfahrung weiß Heidbreder, dass immer wieder versucht wird, durch langes Liegen im Bett Schlaf zu produzieren. „Das funktioniert aber nicht und in diesen Fällen sollte man wirklich die Bettliegezeit auf sieben Stunden beschränken und dann aufstehen“, erklärt die Expertin. Gegen das Abhalten eines Mittagsschlafes spreche prinzipiell nichts. Allerdings sollte dieser nicht länger als 30 Minuten andauern und im besten Fall vor 15 Uhr stattfinden, um einen ausreichenden Abstand zum Nachtschlaf zu gewährleisten. Das Bett sollte nur zum Schlafen verwendet werden und nicht zum Fernsehen oder zur Smartphone­Nutzung, was aber eher ein Problem der jüngeren Altersgruppen darstelle. Grundsätzlich sei es wichtig, grelle Lichtquellen am Abend zu vermeiden. „Bei älteren Menschen ist die Melatoninproduktion sowieso schon eingeschränkt und wenn sie sich dann noch hellem Licht aussetzen, ist das zusätzlich ungünstig“, betont Heidbreder. Eine angenehme, ruhige und sichere Schlafumgebung ohne jegliche Elektrogeräte im Zimmer sollte angestrebt werden. Besonders bei Insomnie ist es sinnvoll, keine Uhr neben dem Bett stehen zu haben, um Stressreaktionen zu vermeiden. Bestimmte tägliche Rituale vor dem Schlafengehen wie Musik, Entspannungsübungen oder ein favorisiertes Heißgetränk können individuell unterstützend wirken. Letztendlich kann man den Schlaf nicht erzwingen. „Daher ist vor allem die Aufklärung wichtig, dass es zum normalen Alterungsprozess dazugehört, dass sich der Schlaf verändert und man früher wach wird oder häufiger aufwacht“, resümiert Heidbreder.
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2021