Rücken­schmerz: Epi­so­disch und persistierend

25.05.2021 | Medizin

Eine rein sym­pto­ma­ti­sche Behand­lung bei Rücken­schmer­zen sollte dann erfol­gen, wenn keine spe­zi­fi­sche Ursa­che und keine Red Flags gefun­den wer­den kön­nen. Den­noch per­sis­tiert bei rund 15 Pro­zent aller Betrof­fe­nen die Sym­pto­ma­tik. Epi­so­dische Rücken­schmer­zen könn­ten ein Hin­weis auf eine rheu­ma­ti­sche Erkran­kung sein – vor allem bei unter 45-Jährigen.
Sophie Fessl

Bei unge­fähr 85 Pro­zent der Pati­en­ten mit aku­tem Rücken­schmerz ver­geht der Schmerz unter rela­tiv ein­fa­cher The­ra­pie“, erklärt Univ. Prof. Josef Grohs von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Ortho­pä­die der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Bei der Behand­lung von Pati­en­ten mit Rücken­schmer­zen soll­ten stets drei Punkte beach­tet wer­den, betont Grohs. „Der Pati­ent muss akut Schmerz-behan­delt wer­den. Wei­ters müs­sen eine Chro­ni­fi­zie­rung des Schmer­zes sowie ein gefähr­li­cher Ver­lauf ver­hin­dert wer­den.“ Denn obwohl ein aku­ter Rücken­schmerz mit hoher Wahr­schein­lich­keit unter adäqua­ter The­ra­pie zurück­geht, soll­ten keine Warn­hin­weise auf einen gefähr­li­chen Ver­lauf wie Spon­dy­lo­dis­zi­tis, ent­zünd­li­che Erkran­kun­gen oder Meta­sta­sen über­se­hen werden.

Eine gründ­li­che Ana­mnese bei Pati­en­ten mit Rücken­schmerz ist not­wen­dig, um diese Warn­hin­weise oder Red Flags zu erken­nen. Risi­ko­fak­to­ren für ein ent­zünd­li­ches Gesche­hen an der Wir­bel­säule sind inva­sive Behand­lun­gen wie Infil­tra­tio­nen oder Ope­ra­tio­nen, bei denen es zu einer Streu­ung von Bak­te­rien kom­men kann. „Auch im Rah­men von Ope­ra­tio­nen am Uro­ge­ni­tal­trakt, an der Gal­len­blase sowie bei Tho­rax-Ope­ra­tio­nen kann es zu einer Streu­ung von Bak­te­rien an die Wir­bel­säule kom­men.“ Risi­ko­grup­pen, die leich­ter zu Ent­zün­dun­gen nei­gen, sind immun­sup­p­ri­mierte Pati­en­ten, Pati­en­ten mit Dia­be­tes mel­li­tus sowie Per­so­nen mit Dro­genab­usus. Eine Ver­schlech­te­rung der Beschwer­den in Ruhe deu­tet auf einen ent­zünd­li­chen Schmerz hin, eine Ver­bes­se­rung in Ruhe auf einen mecha­ni­schen Schmerz.

Wei­tere Red Flags sind neu­ro­lo­gi­sche Defi­zite und Aus­fälle wie etwa Schwä­chen in der Mus­ku­la­tur oder Taub­heits­ge­fühle. Nor­ma­ler aku­ter Rücken­schmerz geht nicht mit einem neu­ro­lo­gi­schen Defi­zit ein­her. Neu­ro­lo­gi­sche Aus­fälle sind ein Hin­weis auf eine Ner­ven­wur­zel-Kom­pres­sion, die durch Abs­zesse, Band­schei­ben­vor­fall, Meta­sta­sen oder einen osteo­po­ro­ti­schen Ein­bruch her­vor­ge­ru­fen wird. Bei der Erst­vor­stel­lung sollte daher auch die Kraft in Kenn­mus­keln getes­tet wer­den. „Wenn ein Kenn­mus­kel oder eine Mus­kel­gruppe auf einer oder bei­den Sei­ten auf­fal­lend schwä­cher ist, deu­tet es auf eine radi­ku­läre Betei­li­gung hin und es sollte wei­ter nach einer Ursa­che gesucht wer­den“, erläu­tert Grohs.

Ner­ven-Pro­vo­ka­ti­ons­test durchführen

Auch ein Ner­ven-Pro­vo­ka­ti­ons­test kann durch­ge­führt wer­den. Bei einer Wur­zel­be­tei­li­gung kommt es zu einem cha­rak­te­ris­ti­schen Schmerz bei Anhe­bung des gestreck­ten Beins in Rücken­lage. Ein aus­ge­präg­ter loka­ler Druck- oder Klopf­schmerz ist wei­ters Hin­weis auf eine Frak­tur oder eine Ent­zün­dung. Berichte über epi­so­dischen Rücken­schmerz kön­nen ein Hin­weis auf eine fort­ge­schrit­tene Dege­ne­ra­tion sein, vor allem bei jün­ge­ren Pati­en­ten auch auf eine rheu­ma­ti­sche Erkran­kung. „Bei Pati­en­ten unter 45 Jah­ren kann es die Erst­ma­ni­fes­ta­tion einer rheu­ma­ti­schen Erkran­kung wie Mor­bus Bech­te­rew, Pso­ria­sis-Arthri­tis oder Spon­dy­l­ar­thri­tis sein“, warnt Grohs. Eine Betrach­tung der glo­ba­len Beweg­lich­keit der Wir­bel­säule kann eben­falls wert­volle Hin­weise geben, berich­tet Grohs aus der Pra­xis. „Ist der Pati­ent gene­rell unbe­weg­lich oder hat einen unsi­che­ren Stand? Dann muss die Hüfte unter­sucht wer­den, da auch Hüft­schmer­zen in die Wir­bel­säule aus­strah­len oder Wir­bel­säu­len­schmer­zen ver­stär­ken kön­nen.“ So kann eine höher­gra­dige Cox-Arthrose tief lum­bal loka­li­sierte Schmer­zen hervorrufen.

Da Rücken­schmer­zen oft schwer loka­li­sier­bar sind, soll­ten auch Beschwer­den, die in den Rücken­be­reich aus­strah­len, aus­ge­schlos­sen wer­den. Dazu gehö­ren Beschwer­den an Niere, Pan­kreas, Magen und Darm sowie Aor­ten-Erkran­kun­gen oder ein Myo­kard­in­farkt. „Erge­ben sich kon­krete Ver­dachts­mo­mente auf eine spe­zi­fi­sche Ursa­che oder wer­den Red Flags ent­deckt, so sollte eine Über­wei­sung an einen ope­ra­tiv täti­gen Fach­arzt oder eine Spi­tals­am­bu­lanz getä­tigt wer­den“, betont Grohs.

Wer­den keine spe­zi­fi­sche Ursa­che und keine Red Flags gefun­den, soll­ten die Pati­en­ten rein sym­pto­ma­tisch behan­delt wer­den. „Aku­ter unspe­zi­fi­scher Rücken­schmerz sollte daher zunächst mit einer rein Sym­ptom-ori­en­tier­ten The­ra­pie behan­delt wer­den.“ Pati­en­ten mit einem aku­ten nicht-spe­zi­fi­schen Rücken­schmerz sollte nicht zur Ruhe gera­ten wer­den, sie soll­ten aktiv blei­ben und den täg­li­chen Akti­vi­tä­ten des All­tags wei­ter nach­ge­hen. Unter­stüt­zend kön­nen die Schmer­zen mit Analge­tika behan­delt werden.

Bes­sert sich der akute nicht-spe­zi­fi­sche Schmerz trotz Analge­tika-The­ra­pie nicht inner­halb von drei bis sechs Wochen oder sind Red Flags vor­han­den, soll­ten wei­tere dia­gnos­ti­sche Maß­nah­men fol­gen. „Mit­tels MR oder Rönt­gen kann fest­ge­stellt wer­den, ob nicht doch eine spe­zi­fi­sche Ursa­che vor­liegt, die mit dem Schmerz kor­re­liert und die spe­zi­fisch behan­delt wer­den kann. So fin­den wir die 15 Pro­zent, die nicht mit ein­fa­cher The­ra­pie ver­ge­hen“, berich­tet Grohs. Hier hät­ten sich die dia­gnos­ti­schen Mög­lich­kei­ten in den letz­ten Jah­ren ver­bes­sert, sodass einige dege­ne­ra­tive Ver­än­de­run­gen an der Band­scheibe oder am Wir­bel­bo­gen­ge­lenk mit Schmer­zen kor­re­liert wer­den kön­nen. „Inso­fern wird der unspe­zi­fi­sche Rücken­schmerz sel­te­ner, da wir mehr spe­zi­fi­sche Schmerz­ur­sa­chen fin­den.“ Daher sind diese Unter­su­chun­gen auch bei einem schein­bar unspe­zi­fi­schen Rücken­schmerz ohne Red Flags nach einer mehr­wö­chi­gen erfolg­lo­sen Behand­lung indiziert.

Spe­zi­fi­sche Ursachen

Zu den spe­zi­fi­schen Ursa­chen für Rücken­schmerz zäh­len neben Ver­än­de­run­gen an der Band­scheibe auch Ver­än­de­run­gen an den Wir­bel­bo­gen­ge­len­ken, schwere dege­ne­ra­tive Ver­än­de­run­gen um die Band­scheibe mit Kno­chen­be­tei­li­gung, Fehl­stel­lun­gen von Wir­bel­säu­len­ab­schnit­ten, Hyper­be­weg­lich­keit sowie Wir­bel­glei­ten in einem Bewe­gungs­seg­ment. Hier gilt es, einen gefähr­li­chen Ver­lauf zu ver­hin­dern – etwa ein Zer­rei­ben des Wir­bel­kör­pers bei einem ent­zünd­li­chen Gesche­hen oder Läh­mun­gen auf­grund eines Abs­zes­ses, der auf das Rücken­mark drückt. Auch bei einer Meta­stase im Wir­bel­kör­per kann die Sta­bi­li­tät der Wir­bel­säule nicht mehr gege­ben sein. Häu­fig kann bei spe­zi­fi­schen Ursa­chen auch eine spe­zi­fi­sche Behand­lung ein­ge­lei­tet wer­den. Zum Teil wer­den inva­si­vere Metho­den ein­ge­setzt wie gezielte Infil­tra­tio­nen oder Dener­vie­rung der Facet­ten­ge­lenke. Bei Insta­bi­li­tä­ten kön­nen auch ope­ra­tive Sta­bi­li­sie­run­gen erfor­der­lich sein etwa bei Spon­dy­lo­dis­zit­i­den oder Meta­sta­sen, die einen Groß­teil des Wir­bel­kör­pers zersetzen.

Kann auch in der bild­ge­ben­den Dia­gnos­tik keine spe­zi­fi­sche Ursa­che für einen län­ger bestehen­den Rücken­schmerz gefun­den wer­den, muss wei­ter medi­ka­men­tös behan­delt wer­den. „In die­sem Fall ver­su­chen wir, eine Chro­ni­fi­zie­rung des Schmer­zes zu ver­mei­den“, erläu­tert Grohs.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2021