Trigeminusneuralgie: Der Schmerz entscheidet

25.11.2021 | Medizin

Entscheidendes Kriterium bei Verdacht auf eine Trigeminusneuralgie ist die Beschreibung des Schmerzes. Wird dieser mit einer Zahnextraktion, einem Trauma oder einer Entzündung in Verbindung gebracht, muss die Diagnose hinterfragt werden. Auf eine Therapie mit Carbamazepin oder Oxcarbazepin sprechen 90 Prozent der Betroffenen innerhalb von ein bis zwei Tagen an.
Sophie Fessl

Mit einer Inzidenz von zehn bis zwölf/100.000/Jahr ist die Trigeminusneuralgie „keine besonders seltene Erkrankung“, betont Univ. Prof. Thomas Kretschmer von der Abteilung für Neurochirurgie und Neurorestauration am Klinikum Klagenfurt. „Aber die typische Trigeminusneuralgie hat insgesamt eine hohe Chance auf gute Behandelbarkeit, sowohl durch die medikamentöse Behandlung als auch bei den chirurgischen Verfahren.“ Wichtig sei vor allem, eine Trigeminusneuralgie rechtzeitig als solche zu erkennen, ergänzt Priv. Doz. Stefan Leis von der Universitätsklinik für Neurologie, neurologische Intensivmedizin und Neurorehabilitation am Uniklinikum Salzburg. Leis weiter: „Bei Verdacht auf Trigeminusneuralgie sollte frühzeitig ein Spezialist hinzugezogen werden, um die Diagnose korrekt zu stellen.“

Man unterscheidet drei Formen der Trigeminusneuralgie: Bei der klassischen Trigeminusneuralgie ist die Ursache eine neurovaskuläre Kompression, bei der ein Gefäß – meist die obere Kleinhirnarterie – den Trigeminusnerv oder die Nerveneintrittszone in der hinteren Schädelgrube einengt. Durch räumliche Nähe des Gefäßes oder Ausbildung von Gefäßschlingen schädigt die Pulsation der Arterie die Nervenscheiden; es resultiert eine lokale Demyelinisierung des Trigeminus. „Es kommt zu einer Störung der Signalübertragung und dadurch zu plötzlich einschießenden, starken Schmerzen“, berichtet Leis. Rund 15 Prozent der Patienten leiden an einer sekundären Trigeminusneuralgie, die durch Meningeome, andere raumfordernde Tumore im Kleinhirnbrückenwinkel oder Multiple Sklerose ausgelöst wird. Ebenso gibt es auch eine idiopathische Trigeminusneuralgie.

Die Diagnose der Trigeminusneuralgie stützt sich auf die Anamnese. Typisch sind immer wiederkehrende einschießende Schmerzattacken im Innervationsgebiet eines Trigeminus-Astes. „Am häufigsten strahlen die Schmerzen entlang des zweiten Nervenastes oder des dritten Nervenastes aus. Der erste Nervenast, der Stirnast, ist seltener betroffen und meist mit einer schlechteren Behandelbarkeit assoziiert“, berichtet Kretschmer aus der Praxis. Der blitzartig einschießende starke Schmerz wird als elektrisierend beschrieben und ist nur von kurzer Dauer: von Sekundenbruchteilen bis maximal zwei Minuten. Die Attacken sind wiederkehrend und treten meist öfter am Tag auf. Im Gegensatz zum Cluster-Kopfschmerz gibt es keine längeren schmerzfreien Intervalle. Zwar kann auch ein Dauerschmerz vorhanden sein; charakteristisch für die Trigeminusneuralgie ist aber der Attacken-artig einschießende Schmerz.

Schmerzattacken bewusst auslösen

Für die Frage, ob Patienten eine Schmerzattacke bewusst selbst auslösen können, ist laut Leis die Anamnese aufschlussreich. „Typischerweise sind diese Trigger harmlose Reize im Versorgungsbereich des Nervs wie schlucken, kauen oder Berührung. Oft können Patienten den einschießenden Schmerz so auslö-sen.“ Da Schmerzattacken durch – sonst harmlose – Trigger ausgelöst werden können, ist die Lebensqualität von Patienten mit Trigeminusneuralgie oft stark beeinträchtigt. „Manche Patienten können aufgrund des starken Schmerzes nicht mehr essen, sich nicht mehr die Zähne putzen oder rasieren. Sie sind in ihrem Alltag und ihrer Versorgung stark eingeschränkt.“

Wenn Patienten allerdings den Schmerz mit einem konkreten auslösenden Ereignis in Verbindung setzen können – etwa einer Zahnextraktion – müsse die Diagnose hinterfragt werden. Leis dazu: „Wenn der Schmerz mit Zahnextraktion, Trauma oder Entzündung in Verbindung gebracht wird, ist das ein Hinweis, dass es sich nicht um eine klassische Trigeminusneuralgie handelt.“ Als Differentialdiagnose sollte eine Trigeminusneuropathie in Betracht gezogen werden. Weitere Differentialdiagnosen der Trigeminusneuralgie sind der anhaltende idiopathische Gesichtsschmerz sowie faziale Kopfschmerzen. Allerdings beschreiben die Patienten diese Schmerzen anders. Neuropathische Gesichtsschmerzen, die etwa nach einer Infektion mit Herpes zoster auftreten können, werden meist als brennend beschrieben. Anhaltende idiopathische Gesichtsschmerzen sind charakterisiert durch diffuse, schwer zu lokalisierende Schmerzen, die nicht eindeutig das Trigeminus-Versorgungsgebiet betreffen. Faziale Kopfschmerzen wiederum sind Migräne-Kopfschmerzen, Cluster-Kopfschmerzen oder andere trigemino-autonome Kopfschmerzen, die auch das Gesicht betreffen oder bis ins Gesicht ausstrahlen. „Die Beschreibung des Schmerzes ist somit das entscheidende Kriterium bei Verdacht auf Trigeminusneuralgie“, fasst Leis zusammen.

Körperliche Untersuchung unauffällig

Bei der folgenden körperlichen und neurologischen Untersuchung sind Patienten mit klassischer Trigeminusneuralgie meist unauffällig. Auffälligkeiten in der körperlichen Untersuchung wie zum Beispiel Sensibilitätsstörungen können ein Hinweis auf Vorliegen einer sekundären Trigeminusneuralgie sein. Mittel der Wahl, um einen Gefäß-Nerven-Konflikt nachzuweisen, ist die Kernspintomographie, erläutert Leis. „Spätestens hier sollte ein Spezialist involviert werden, da die Kernspinaufnahme bestimmte Sequenzen enthalten muss, damit eine Gefäß-Nerven-Kompression feststellbar wird.“ Sowohl 3D-T2-gewichtete Hirnstammfeinschichtungen als auch 3D-TOF-MRA seien obligat, um einen Gefäß-Nerven-Konflikt zu zeigen beziehungsweise auszuschließen. Zum Ausschluss von sekundären Ursachen einer Trigeminusneuralgie wie Tumor oder Multipler Sklerose sollten laut Leis auch die üblichen Kernspinparameter gewählt werden. Schließlich können auch elektrophysiologische Untersuchungen durchgeführt werden wie Trigeminus-SEP, Blinkreflex und Masseter-Reflex.

Für die medikamentöse Behandlung der Trigeminusneuralgie sind Carbamazepin oder Oxcarbazepin Mittel der Wahl. Die meisten Betroffenen – laut Leis rund 90 Prozent – sprechen innerhalb von ein bis zwei Tagen auf eine Behandlung mit den Natriumkanal-Blockern an. Allerdings kann die Wirkung vor allem bei Carbamazepin aufgrund der Autoinduktion im Verlauf nachlassen. „Ein größeres Problem sind die Nebenwirkungen wie Schwindelgefühl, Gleichgewichtsstörungen, erhöhte Leberwerte und Hyponaträmie. Bis zu 30 Prozent der Patienten nehmen die Medikamente deswegen nicht weiter ein“, führt Leis aus. Medikamente der zweiten Wahl „mit geringerer Evidenz“ (Leis) sind Antiepileptika wie Gabapentin, Pregabalin und Lamotrigin. „Auch weitere Medikamente mit geringer Evidenz können versucht werden oder in Kombination mit Carbamazepin beziehungsweise Oxcarbazepin eingesetzt werden.“

Sprechen die Betroffenen nicht oder nicht mehr auf die medikamentöse Behandlung an oder sind die Nebenwirkungen nicht tolerabel, können auch chirurgische Maßnahmen eingesetzt werden. Nach wie vor ist der Goldstandard der chirurgischen Therapie von Trigeminusneuralgie die Jannetta-Operation oder mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta. Kretschmer weiter: „Obwohl diese Operation bereits in den 1960er Jahren eingeführt wurde, ist sie immer noch der Goldstandard und eine sehr sichere Methode. Die chirurgische Behandlung der Trigeminusneuralgie ist eine Erfolgsgeschichte.“

Bei der mikrovaskulären Dekompression nach Jannetta wird der Schädel über einen retrosigmoidalen Zugang sehr klein eröffnet und das Gefäß identifiziert, das Druck auf den Trigeminusnerv ausübt. „Manchmal sehen wir auch, dass sich das Gefäß um den Nerv windet oder Druckstellen am Nerv sichtbar sind, was die Ursache der Neuralgie bestätigt“, berichtet Kretschmer aus der Praxis. Nach Ablösen des komprimierenden Gefäßes vom Nerv wird ein Interponat zwischen Nerv und Gefäß platziert – meist ein Schwämmchen aus Ivalon, wodurch der Trigeminusnerv entlastet wird. Statistiken zeigten den Aussagen von Kretschmer zufolge eine hohe Erfolgsrate der Operation von mehr als 75 Prozent: Meist sind die Schmerzen sofort nach der Operation behoben.

Die Morbidität der mikrovaskulären Dekompression ist mit circa drei bis fünf Prozent gering, erläutert Kretschmer. Und weiter: „Damit ist die mikrovaskuläre Dekompression ein sicherer Eingriff, wenn man bedenkt, dass hier ein Eingriff am Hirnstamm durchgeführt wird.“ Eine schwere langfristige Komplikation, der ipsilaterale Hörverlust, hat eine Inzidenz von 1,8 Prozent; auch die Rate an neuen Sensibilitätsstörungen in Folge des Eingriffs sei „gering“.

Voraussetzung: korrekte Indikation

„Wichtig ist die richtige Auswahl der Patienten und die korrekte Indikationsstellung. Doch generell wurde die Indikation ausgeweitet. Wir behandeln tendentiell mehr und auch ältere Patienten mit dem operativen Verfahren als früher“, betont Kretschmer. Bei Patienten, bei denen ein Gefäß-Nerven-Kontakt in der Bildgebung nicht festgestellt werden kann, sind die Erfolgschancen der mikrovaskulären Dekompression geringer. Risiken und Nutzen der Operation müssen daher mit dem Patienten individuell abgewogen werden. Auch bei Patienten mit Multipler Sklerose, bei denen eine Trigeminusneuralgie häufiger auftritt aber gleichzeitig schwerer behandelbar ist als in der Vergleichsbevölkerung, kann eine mikrovaskuläre Dekompression durchgeführt werden, wenn dies der Zustand des Patienten zulässt.

Für Risikopatienten oder wenn andere Gründe gegen ein operatives Verfahren sprechen, stehen alternative Verfahren zur Verfügung. Bei diesen ablativen Verfahren werden die Schmerzfasern des Trigeminusnervs im Ganglion Gasseri geschädigt, nachdem eine spezielle Kanüle durch das Foramen ovale im Cavum Meckeli platziert wurde. Bei der Glyzerinrhizolyse wird Glyzerin in das Cavum Meckeli injiziert, bei der Radiofrequenz Thermokoagulation der Trigeminusnerv durch Hitze verödet. Durch gezieltes Setzen der an ihrem Ende geraden oder gebogenen Koagulationssonden können einzelne Äste des Trigeminusnervs behandelt werden. „Allerdings treten bei diesen ablativen Verfahren häufiger neue Sensibilitätsstörungen infolge des Eingriffs auf, bei rund zehn bis 15 Prozent der Patienten, was aber viele aufgrund der Schmerzintensität in Kauf nehmen“, erklärt Kretschmer. Die Dauer des Ansprechens sei jedoch meist kürzer als bei der Jannetta-Operation. Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung des Gamma-Knifes, mit dem die Nerveneintrittszone bestrahlt wird. Auch hier können häufiger Sensibilitätsstörungen auftreten; die Rezidivrate ist höher und die Erfolgsrate deutlich geringer als bei der Jannetta-Operation. „Trotzdem ist es eine Alternative, wenn wir bei einem Patienten weder eine Operation noch eines der alternativen Verfahren einsetzen können“, berichtet Kretschmer. Die perkutane Ballonkompression des Ganglion Gasseri wird – so Kretschmer – kaum mehr als Therapie der Trigeminusneuralgie eingesetzt. „Das eigentlich aufwändigste Verfahren der mikrovaskulären Dekompression ist, wenn sonst nichts dagegen spricht und die medikamentöse Behandlung nicht zum Erfolg führt, nach wie vor das chirurgische Mittel der Wahl“, fasst Kretschmer zusammen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2021