Latex-Frucht-Syndrom: Ähnlichkeit mit Folgen

10.03.2021 | Medizin


Bei bis zu 60 Prozent der Latex-Allergiker kommt es aufgrund von kreuzreagierenden IgE-Antikörpern zu Sensibilisierungen gegen verschiedene Nahrungsmittel. Das Latex-Frucht-Syndrom tritt etwa beim Konsum von Bananen, Avocados, Kiwis, Kartoffeln oder Paradeisern auf.
Sophie Fessl

In den späten 1980er und in den 1990er Jahren war die Latex-Allergie weit verbreitet. „Aufgrund der Hygienemaßnahmen, die wegen HIV und Hepatitis ergriffen wurden, war die Latex-Allergie ein weltweites Problem, vor allem aber in den USA und Europa“, berichtet Univ. Prof. Heimo Breiteneder vom Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung der Medizinischen Universität Wien. Besonders unter medizinischem Personal war die Latex-Allergie weit verbreitet. Dabei handelt es sich um eine Reaktion auf Proteine im Naturlatex des Kautschukbaums, der vor allem bei der Herstellung von Gummihandschuhen zum Einsatz kommt.

Um die Latex-Allergie einzudämmen, wurden Maßnahmen getroffen, wie der Einsatz von ungepuderten und synthetischen Handschuhen sowie die Verwendung von Luftfiltern in Operationssälen. Dadurch ist die Latex-Allergie wieder zu einer Seltenheit geworden. „Aber durch die Corona-Pandemie ist durchaus denkbar, dass es in Ländern, in denen diese Maßnahmen nicht getroffen wurden, wieder zu einem Anstieg der Latex-Allergie kommen kann. Erste Berichte aus China legen nahe, dass die Latex-Allergie unter dem dortigen Gesundheitspersonal wieder zunimmt.“ In Europa dagegen wird laut Breiteneder keine erhöhte Sensibilisierung gegenüber Latex beobachtet.

Sensibilisierungen: nur ein Teil klinisch relevant

Zwischen 20 und 60 Prozent der Latex-Allergiker zeigen aufgrund von kreuzreagierenden IgE-Antikörpern Sensibilisierungen gegen verschiedene Nahrungsmittel. Nur ein Teil dieser Sensibilisierungen ist klinisch relevant. Diese klinisch relevanten Kreuzreaktionen mit Proteinen in bestimmten Nahrungsmitteln sind die Ursache für das Latex-Frucht-Syndrom; in der neueren Literatur wird es auch als Latex-assoziiertes Nahrungsmittelsyndrom bezeichnet. Die Kreuzreaktion tritt vor allem beim Konsum von Banane, Avocado, Esskastanie, Kiwi, Kartoffel, Tomate oder Papaya auf. „Es werden hauptsächlich bei diesen Lebensmitteln Reaktionen beobachtet. Es gibt noch eine weitere Liste unterschiedlicher pflanzlicher Nahrungsmittel, auf die Latex-Allergiker reagieren können. Allerdings ist diese sehr umfassend: von Nüssen bis hin zu Litschi und Mango“, berichtet Breiteneder.

Beim Latex-Frucht-Syndrom ist das sensibilisierende Agens ein Allergen des Latex. Im Gegensatz dazu entwickelt sich nur bei weniger als zehn Prozent der Betroffenen mit einer Fruchtallergie auch eine Sensibilisierung gegenüber Latex. Die Reaktionen beruhen auf der strukturellen Ähnlichkeit zwischen Proteinen im Latexsaft des Kautschukbaumes und Proteinen in pflanzlichen Lebensmitteln. Bis dato sind 15 Latex-Allergene wissenschaftlich akzeptiert, weitere werden über Proteomics-Zugänge erforscht. „Von diesen 15 Allergenen ist bekannt, welche typisch für eine Kreuzreaktivität sind, während bei anderen eine Kreuzreaktivität praktisch ausgeschlossen werden kann“, erklärt Breiteneder. Und weiter: „Zur Zeit der Latex-Epidemie wurde auch genau definiert, welche Allergene bei welcher Risikogruppe auftreten.“ Während bei Personen, die häufig operiert werden müssen, vor allem eine Reaktion auf die Latex-Allergene Hev b 1 und Hev b 3 auftrat, reagierte medizinisches Personal hauptsächlich auf die Latex-Allergene Hev b 5 und Hev b 6.

Zu den Latex-Allergenen, die für das Latex-Frucht-Syndrom verantwortlich sind, zählen Hev b 5, Hev b 6, Hev b 7, Hev b 11 und Hev b 12. Hev b 7 ist ähnlich dem Speicherprotein Patatin, das zu einem hohen Prozentsatz in Kartoffeln vorkommt und daher für eine Kreuzreaktion mit Kartoffeln verantwortlich ist. Die Endochitinase Hev b 11 dagegen ist einem Enzym ähnlich, das in Avocado oder Banane vorkommt. Das Latex-Allergen Hev b 8, Profilin, ist zwar klinisch von geringer Bedeutung, da es oft fälschlicherweise eine Allergie anzeigt. Aufgrund der hohen Kreuzreaktivität zwischen den Profilinen von Latex und Mais kann es aber eine Reaktion auf Mais verursachen.

Kreuzreaktion bei Erstkontakt

Die Kreuzreaktion kann bereits beim Erstkontakt mit dem Nahrungsmittel Beschwerden verursachen, da die Sensibilisierung bereits beim Kontakt mit Latex erfolgt ist. Das Latex-Frucht-Syndrom äußert sich durch klassische Allergie-Symptomatik mit Urtikaria, Angioödem, Konjunktivitis, Rhinitis bis hin zum anaphylaktischen Schock. Die Symptome werden durch Typ I-Reaktionen hervorgerufen. Der Schweregrad der Reaktion ist nicht vorhersehbar und konnte noch nicht mit bestimmten sensibilisierenden Allergenen in Zusammenhang gebracht werden.

Für die Diagnose einer Latexallergie ist der Prick-Test der Haut nicht aussagekräftig; es sind auch keine Extrakte für einen Prick-Test mehr erhältlich. Stattdessen wird die Latex-Allergie mit der Component-Resolved Diagnostic diagnostiziert, also mit gereinigten Einzelallergenen. Die auf den Allergen-Panels vorhandenen Einzelallergene unterscheiden sich je nach Hersteller. Allerdings sind meist die für Hochrisiko-Patienten wichtigen Allergene Hev b 1 und Hev b 3 vorhanden sowie die für medizinisches Personal wichtigen Allergene Hev b 5 und Hev b 6. „Wenn man weiß, gegen welches Allergen ein Patient sensibilisiert ist, können Rückschlüsse auf das Vorhandensein eines Latex-Frucht-Syndroms gezogen werden. Daher ist die Einzelkomponenten-Analyse ein wichtiges Instrument“, berichtet Breiteneder.

Seinen Aussagen zufolge spielt die Latex-Allergie in Österreich allerdings eine stark untergeordnete Rolle. Ein Grund dafür ist, dass man auf gepuderte Handschuhe verzichtet, bei denen das Puder die aus dem Gummi herausgelösten Allergene transportiert. „Durch stundenlanges Tragen von Latex-haltigen Handschuhen kommt es zur Sensibilisierung. Allerdings setzt man in Europa mittlerweile auf synthetische Handschuhe.“ Wo das bessere taktile Gefühl von Naturlatex-Handschuhen benötigt wird, können teurere, Allergen-freie Naturlatex-Handschuhe eingesetzt werden. Weiters wird an Alternativen zum Latexsaft aus dem Kautschukbaum geforscht. Eine der auch in EU-Programmen intensiv beforschten Alternativen ist Latexsaft des russischen Löwenzahns, Taraxacum kok-saghyz. „Allergologen aus den USA haben mittlerweile allerdings gezeigt, dass eine Kreuzreaktion zwischen dem russischen Löwenzahn und dem Kautschukbaum besteht. Daher ist der russische Löwenzahn nicht als Alternative für Allergiker geeignet“, berichtet Breiteneder. Daher könne er für die Produktion von nicht-allergenen Handschuhen nicht verwendet werden; an einem Einsatz für Autoreifen werde gearbeitet, denn „über Autoreifen wird niemand sensibilisiert.“

Eine weitere Alternative ist der Latexsaft des Guayule, Parthenium argentatum, eines in Südamerika und Mexiko vorkommenden kleinen Buschs. „Diese Pflanze produziert hochqualitativen Latex, der als nicht-allergen bestätigt wurde. Aus diesem Strauch erzeugte Handschuhe wären daher als hypo- oder nicht-allergen zu bezeichnen“, konstatiert Breiteneder. „Wir werden sehen, ob in weiteren Regionen im Lauf der Corona-Pandemie eine vermehrte Sensibilisierung gegenüber Latex auftreten wird.“

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2021