Kurz und informativ: Medizinische Kurzmeldungen

10.06.2021 | Medizin

Nucleus reuniens nimmt Angst vor Trauma

Ein Team um den Neurowissenschafter Assoc. Prof. Johannes Gräff von der ETH Lausanne zeigte im Mäuseversuch, wie das Gehirn auf traumatische Erlebnisse, die im Langzeitgedächtnis gespeichert sind, reagiert. In einem Versuchskäfig erhielten die Tiere einen Elektroschock auf die Pfoten; danach kamen sie zurück in den Heimkäfig. Eine Gruppe erhielt nach einem Tag, eine zweite nach 30 Tagen eine Expositionstherapie im Versuchskäfig. Die Hirnströme der Mäuse zeichneten die Forscher mit einem Mikroskop auf. Das Ergebnis: Bei der ersten Gruppe war die neuronale Aktivität zwischen Frontalhirnlappen und Amygdala, wo sich das Angstzentrum befindet, besonders stark; bei der zweiten verbanden die neuronalen Schaltkreise den Frontalhirnlappen über den Nucleus reuniens mit der Amygdala. Die Neuronen im Nucleus reuniens wurden aktiv, kurz bevor sich die Mäuse entspannten. „Die Aktivität dieser Hirnregion hat also gewissermaßen das Verlernen der Furcht antizipiert“, so Gräff. APA/Nature Neuroscience

SSRIs erhöhen Neuroplastizität

SSRIs (Selective Serotonin Reuptake Inhibitoren) erhöhen die Plastizität in bestimmten Hirnregionen und verändern so die Aufnahmefähigkeit. Das fand ein Forscherteam um Assoc. Prof. Rupert Lanzenberger von der Universitätsklinik für Psychiatrie in Wien heraus. 80 gesunde Teilnehmer mussten sechs Wochen täglich unbekannte Gesichter paarweise zusammenführen; eine andere Gruppe chinesische Schriftzeichen Worten zuordnen. Die Teilnehmer erfüllten die Aufgaben drei Wochen ohne SSRI. Anschließend erhielten sie SSRI oder ein Placebo – in dieser Phase erfolgte der Umlernprozess mit neuen Gesichtspaaren und neuen Zeichen-Wort-Paaren. Dabei wurden mittels Magnetresonanzspektroskopie die Neurotransmitter gemessen. Bei Personen, die SSRI erhielten, zeigte sich eine erhöhte Neuroplastizität in Hirnarealen, die für das Lernen wichtig sind. Manche Gebiete wurden stärker gehemmt als andere; die Balance zwischen den verschiedenen Hirnarealen veränderte sich ebenso wie die Stärke der Kommunikation der einzelnen Hirnareale untereinander. Diese erhöhte Plastizität scheint „ein wesentlicher Wirkungsmechanismus von SSRIs“ zu sein, so Lanzenberger. Umgelegt auf die Depression scheine es so zu sein, dass SSRIs nicht direkt die Stimmung aufhellen, sondern die Offenheit für Lernprozesse verändern. APA/NeuroImage

7 Corona-Impfstoffe

werden derzeit eingesetzt, um die Effektivität von Auffrischungsimpfungen zu überprüfen: AstraZeneca, Biontech/Pfizer, Moderna, Novavax, Valneva, Janssen und Curavac. 2.886 Probanden sollen frühestens zehn bis zwölf Wochen nach der zweiten Impfung eine Auffrischung erhalten. Britische Forscher wollen so Klarheit, wie das ab Herbst geplante Auffrischungsprogramm optimal erfolgen kann. APA

Modifizierte Adenoviren gegen Tumorzellen

Mit Hilfe eines modifizierten Adenovirus haben Forscher um Prof. Andreas Plückthum vom Biochemischen Institut der Universität Zürich den Bauplan für einen Wirkstoff gegen das Mammakarzinom in Tumorzellen eingeschleust. Das Virus wurde im Tiermodell an Mäusen mit einer Hülle getarnt und entkam so dem Immunsystem. Der Wirkstoff selbst bildete Poren im Tumor, wodurch die Tumorzellen von innen zerstört wurden. Die auf diese Weise modifizierten Krebszellen produzierten mehr Antikörper als bei direkter Verabreichung des Wirkstoffs. APA/PNAS

C3aR und C5aR: Treiber der Hyperinflammation bei COVID-19

Ein interdisziplinäres Forscherteam der Medizinischen Universität Innsbruck um Assoc. Prof. Doris Wilflingseder und Priv. Doz. Wilfried Posch konnte die Anaphylatoxin-Komplement-Rezeptoren C3aR und C5aR als Treiber der Hyperinflammation identifizieren. Mit Hilfe von chemischen Blockern hemmten die Forscher die Anaphylatoxine C3a und C5a bei menschlichen 3D-Modellen für den oberen und unteren Respirationstrakt und konnten auf diese Weise eine Hyperinflammation verhindern. Dies stellt eine neue therapeutische Angriffsfläche dar. APA

Hand 1-Gen verursacht schwere Ventrikulumdefekte

Während man bisher versuchte, vorgefertigte Mini-Gerüste mit verschiedenen Herzzellen zu besiedeln, haben Forscher um Sasha Mendjan vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien nun Herz-Organoide aus pluripotenten Stammzellen induziert. Über biochemische Signale, nach denen man seit mehr als 50 Jahren sucht, kommunizieren die Zellen im heranwachsenden Herzen. Dabei stellte sich nun ein Gen namens „Hand 1“ als wesentlich dafür heraus, dass sich Herzkammern ausbilden. Bei einer Mutation kommt es zu schweren angeborenen Defekten der linken Herzkammer. Durch das Einfrieren konnten die Herz-Organoide geschädigt und Myokardinfarkte simuliert werden. Dabei konnten die Wissenschafter die Anhäufung von extrazellulären Matrixproteinen beobachten. Aktuell wird erforscht, wie SARS-CoV-2 das Herz infizieren und schädigen kann. APA/Cell

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Haupt-Todesursache bei Frauen

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind mit 35 Prozent Hauptursache der Mortalität bei Frauen. Zu diesem Schluss kommen 17 internationale Experten im ersten globalen Bericht „Frauen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen“.  Demnach wurden 2019 weltweit rund 275 Millionen Fälle von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen registriert; 8,94 Millionen starben daran. Zum Vergleich: 1990 waren es 6,1 Millionen Frauen. Im pazifischen Raum (minus 19,2 Prozent), in Westeuropa (minus 18,2 Prozent) und Nordamerika (minus 14,6 Prozent) ist die Zahl der Herz-Kreislauferkrankungen zurückgegangen. Steigerungen gab es hingegen in China (plus 7,5 Prozent), Indonesien (plus 4,8 Prozent) und in Indien (2,4 Prozent). Wenn auch die Herz-Kreislauf-Mortalität seit 1990 weltweit um rund 35 Prozent auf 204 Todesfälle pro 100.000/Jahr gesunken ist, zeigt sich in Osteuropa, Nordafrika, dem Nahen Osten, dem südlichen Afrika und Zentralasien eine zum Teil mehr als doppelt so hohe Mortalität mit 486 auf 100.000/Jahr. APA/The Lancet

Basen-Austausch senkt LDL-Cholesterin

Mittels Geneditierung gelang es einem Team um den Stammzellbiologen Prof. Gerald Schwank von der Universität Zürich, hohe LDL-Cholesterin-Werte im Blut von Mäusen und Makaken stabil zu senken. Dabei wird die Nukleinsäure Adenin (A) durch Guanin (G) getauscht. Diese Punktmutation zielt auf das Gen ab, das für das Enzym PCSK9 kodiert und an der Cholesterinaufnahme beteiligt ist. Der Adenin-Basen-Editor wurde in Form einer RNA-Sequenz in Fettkügelchen eingehüllt und den Tieren intravenös verabreicht, um PCSK9 zu blockieren. Das Ergebnis: Bis zu zwei Drittel der PCSK9-Gene konnten bei den Mäusen verändert werden; bei Makaken ein Drittel. „In beiden Fällen führte dies zu einer deutlichen Senkung des LDL-Cholesterinspiegels“, so Schwank. APA/Nature Biotechnology

Ovarialkarzinom-Screening: kein Einfluss auf Mortalität

Die jährliche Sonographie inclusive Laboruntersuchung führt zu keiner Reduktion der Mortalität bei Ovarialkarzinomen – das ist das Ergebnis einer britischen Studie des University College London (UCL). „Die Reduktion der Stadium III- und IV-Erkrankungen war nicht groß genug, um sich lebensrettend auszuwirken“, so Prof. Usha Menon vom Institut für Klinische Prüfungen und Methodologie des UCL. Im Rahmen der Screening-Studie wurden zwischen April 2001 und Oktober 2005 die Daten von 203.000 Frauen zwischen 50 und 74 Jahren ausgewertet. 51.000 Frauen wurden nur mittels Ultraschall untersucht; bei 51.000 wurde zusätzlich ein CA 125-Test durchgeführt. Bei den 101.000 Frauen in der Kontrollgruppe erfolgte kein Screening. Das Ergebnis: 2.055 Neudiagnosen, wobei die Häufigkeit mit je einem Prozent in allen drei Gruppen gleich groß war. Keinen Effekt auf die Gesamtmortalität hatten die Neudiagnosen im Stadium I (plus 47 Prozent) und die Abnahme von Stadium IV-Erkrankungen (minus 24 Prozent). Mit einer Mortalität von je 0,6 Prozent in den drei Gruppen und zahlenmäßig identen Todesfällen werde die Etablierung eines Screening-Programms für die gesamte weibliche Bevölkerung daher nicht empfohlen, so Menon. APA/Lancet

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2021