Kommentar Heinz Fuchsig: Die Welt hat Fieber

15.07.2021 | Medizin

Heinz Fuchsig*

Mehr als 80  Prozent der Opfer von Naturkatastrophen in den vergangenen 100 Jahren in Europa starben an Hitze; 90 Prozent davon seit dem Jahr 2000. Die Welt hat Fieber, und es wird absehbar ärger. Müssen deswegen immer mehr Menschen leiden und sterben?

Die Antwort ist eindeutig: Nein. In Frankreich hat man nach dem Katastrophensommer 2003 mit 19.000 Toten allein in Paris – die Sterblichkeit lag am heißesten Tag bei 300 Prozent, die Leichen wurden in Kühl­LKWs zwischengelagert – gehandelt. Es gibt keine ungekühlten Spitäler und Altenheime mehr. Nahezu alle Frauen über 75 – drei Viertel der Hitzetoten stammten aus dieser Gruppe – werden von Hitze­Buddys betreut.

Bei uns in Österreich warten Hitze­Aktionspläne auf die Aktivierung durch die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Jeder Arzt, jede Ärztin kann sich selbst und sein/ihr Team vorbereiten. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte etwa können Morgen­Ordinationen anbieten – ist doch ein Abendtermin bei 32 Grad Celsius im Schatten keine Alternative.

Gekühlte Räume anbieten: Gut gewartete Split­Klimaanlagen verkeimen zwar nicht (Bakterien, Schimmel), verwirbeln aber unter anderem Virus­haltiges Aerosol in Wartezimmern. Einige Modelle sind dagegen mit HEPA­Filtern ausgestattet. Andernfalls sollten Räume nur vorgekühlt und die Wände in Pausen erneut abgekühlt werden. Danach ist kurzes Querlüften auch bei heißen Temperaturen für die notwendige Frischluftzufuhr wichtig. Nicht dauernd unter 24 Grad Celsius kühlen, da es sonst meist zur Abtrocknung der Luft unter 20 Prozent kommt, was Schleimhäuten zusetzt und Infektionsraten hebt.

Luftfeuchtigkeit unter 40 Prozent halten: Aquarien, Luftbefeuchter, die mit Vernebelung kühlen und Grünpflanzen können die Luftfeuchte unangenehm tropisch feucht machen. Räume mit 29 Grad Celsius und 60 Prozent relativer Feuchte fühlen sich an wie 32 Grad Celsius und 40 Prozent relativer Feuchte, weil das Schwitzen nur mehr schlecht funktioniert. Grünpflanzen in den Schatten stellen und wenig gießen, Klimaanlagen vor der Anwesenheit von Patienten und Mitarbeitern kurz auf Maximum cold schalten – zum Entfeuchten.

Kühles Wasser anbieten: Wenn Patienten schon zum Trinken geraten wird, bieten Sie das auch im Wartezimmer und in der Ambulanz an. Besonders erschöpft wirkende Patienten kommen teilweise schon dehydriert; schwer Arbeitende können mehr als fünf Liter Wasser täglich benötigen.

Gönnen Sie sich und Ihren Mitarbeitern Pausen und lockern Sie Bekleidungsvorschriften! Ventilatoren im Sozialraum und die Möglichkeit, die Beine in kaltes Wasser zu stellen, sind besonders für Menschen mit stehenden Berufen eine wunderbare Entlastung.

Beachten Sie die Medikation: Hitze schränkt die Abbaufähigkeit der Niere und der Leber (!) ein; die Haut nimmt transdermale Anwendungen rascher auf. Psychopharmaka können die Schweißbildung verringern; Blutdruck­Medikamente wiederum die Hautdurchblutung.

Besonders gefährdet sind Kleinkinder und Hochbetagte – aber auch Herzkranke, da das Herzminutenvolumen in Tropennächten, in denen die Temperatur in Schlafräumen 24 Grad Celsius meist überschreitet, bis auf das Zweieinhalbfache steigt – 80 Prozent des Blutes gehen dann über die Haut.

Planen Sie das vermehrte Vorkommen von Notfällen bei Hitze ein: Mitten in der Urlaubszeit kann es plötzlich zu einem starken Ansturm von Patienten kommen.

In dieser Zeit sollten bei jedem Gespräch auch die wohnlichen Gegebenheiten und Gewohnheiten der Patienten thematisiert werden: Eine Entlassung aus dem Spital in eine in der Zwischenzeit in der Hitzeinsel aufgeheizte Wohnung kann ins Verderben führen.

Viele Informationen inklusive 100 Minuten Webinar für Ärzte gibt es unter https://www.klimawandel-­gesundheit.de/hitze-schutz/ sowie unter https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMp1906035

Schließlich können wir Ärzte dieses Bewusstseinsfenster nutzen, dafür zu werben, dass Klimaschutz Gesundheitsschutz bedeutet. Die Diagnose wird mit der Veröffentlichung des 6. Reports des Weltklimarates IPCC Anfang August dieses Jahres sicher noch genauer werden – aber kaum optimistischer.

*Fußnote: Dr. Heinz Fuchsig ist Umweltreferent der ÖÄK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2021