Kindlicher Hüftschmerz: Unterscheidung notwendig

15.07.2021 | Medizin

Nur selten sind sie durch Überlastung verursacht: Hüftschmerzen bei Kindern. Während die häufig auftretende Coxitis fugax spontan heilt, stellt die septische Coxitis einen absoluten Notfall dar. Auch wenn Kinder über Knieschmerzen klagen, sollte die Hüfte untersucht werden.
Sophie Fessl

Hüftschmerzen bei Kindern werden – im Unterschied zu Knieschmerzen – nur selten durch Überlastung verursacht. „Hüftschmerz bei Kindern hat meist eine zugrundeliegende Ursache. Daher sollten über längere Zeit bestehende Hüftschmerzen unbedingt orthopädisch abgeklärt werden“, erklärt Priv. Doz. Christof Radler vom Spezial­Team für Allgemeine Kinderorthopädie am Orthopädischen Spital Speising in Wien. Da Schmerzen bei Kindern oft unklar lokalisiert sind, sollte auch die Hüfte untersucht werden, wenn Kinder über Knieschmerzen berichten.

Um die möglichen Ursachen für den Hüftschmerz einzugrenzen, sollten vor allem die Dauer der Beschwerden und ihre Belastungsabhängigkeit erfragt werden. Die klinische Untersuchung spielt eine zentrale Rolle in der Diagnosefindung. „Bei fast allen Erkrankungen der Hüfte findet man Schmerzen bei der Innenrotation der Hüfte. Wenn man die Hüfte im Liegen auf 90 Grad beugt und dann innenrotiert, rufen die meisten orthopädischen Erkrankungen der Hüfte Schmerzen hervor“, berichtet Radler. Ein weiterer diagnostischer Schritt ist das Röntgen. Hier sollte eine Beckenübersichtsaufnahme sowie beidseitige axiale Aufnahmen erstellt werden. Allerdings ist bei Hüftschmerz meist rasch eine Überweisung an die Kinderorthopädie notwendig, betont Radler. „Vor allem wenn ein Trauma ausgeschlossen werden kann und die Innenrotation starke Schmerzen hervorruft, ist eine frühe orthopädische Vorstellung sinnvoll.“

Die häufigste Ursache für einen Hüftschmerz bei Kindern über zwei Jahren ist die Coxitis fugax. Die harmlose, nicht septische Gelenksentzündung ist auch bekannt als Hüftschnupfen, erklärt Univ. Prof. Catharina Chiari von der Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Medizinischen Universität Wien. „Die Coxitis fugax ist im Kindergarten­ bis Volksschulalter sehr häufig. Bei der Coxitis fugax handelt es sich um eine vorübergehende Entzündung der Hüfte, die häufig im Rahmen oder in Folge von Infekten auftritt.“

Die Coxitis fugax fällt dadurch auf, dass Kinder plötzlich humpeln oder hinken, manche Kinder vermeiden die Belastung des Beins. Manchmal wird über Schmerzen in der Leistengegend geklagt; auch können die Schmerzen auch in die Oberschenkel­Vorderseite projiziert werden. Bei der Untersuchung ist die Drehfähigkeit der Hüfte herabgesetzt, auch eine Beuge­Schonhaltung wird manchmal eingenommen. Bei der Behandlung der Coxitis fugax wird zur Schonung geraten. Während der schmerzhaften Phase können nicht­steroidale Antirheumatika zur Entzündungshemmung eingesetzt werden. Meist ist normales Gehen nach einer Woche wieder möglich.

„Wichtig ist, die häufige, harmlose, vorübergehende Coxitis fugax von der selteneren, gefährlichen und dringend behandlungsbedürftigen septischen Coxitis zu unterscheiden“, betont Chiari. Diese eitrige Entzündung der Hüfte wird meist von eindeutigen Krankheitszeichen wie Fieber, Müdigkeit und Abgeschlagenheit begleitet; die Schmerzen sind oft stärker als bei einer Coxitis fugax. Veränderungen im Blutbild wie ein erhöhter CRP­Wert, vermehrte Leukozyten sowie manchmal eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit können auf eine septische Coxitis hinweisen.

Notfall: septische Coxitis

Allerdings geht die septische Coxitis nicht gleich und nicht immer mit Blutbildveränderungen einher, erklärt Radler. „Möglicherweise ist ein Kind auch einfach zusätzlich zur Coxitis fugax verkühlt. Daher ist die Unterscheidung nicht so einfach. Aber eine septische Coxitis ist eine der wenigen kinderorthopädischen Notfälle. Bei Verdacht auf septische Coxitis sollte das Kind daher unverzüglich ins Spital gebracht werden.“ Mittels Ultraschall kann fallweise zwischen einer septischen Coxitis und einer Coxitis fugax unterschieden werden, betont Chiari. „Ein eitriger Hüftgelenkserguss ist manchmal etwas echogener, das hilft bei der Diagnose. Beim geringsten Verdacht auf eine septische Coxitis muss man rasch handeln, weil die Hüfte sonst bleibenden Schaden nehmen könnte.“

Um eine septische Coxitis diagnostizieren zu können, wird ein MRT durchgeführt. „Die Signalintensität der Flüssigkeit und die Umgebungsreaktion können Hinweis auf ein septisches Geschehen geben“, erläutert Radler. Außerdem können Herde lokalisiert und eine Beteiligung von Knochen und Muskulatur abgeklärt werden. Meist folgt noch am selben Tag die Operation beziehungsweise die Punktion des Gelenks zur Spülung des Gelenks; am Punktat wird ein Antibiogramm erstellt. Während Antibiotika früher sechs Wochen lang intravenös verabreicht wurden, ist mittlerweile bei gutem Ansprechen bereits nach einwöchiger intravenöser Behandlung eine Umstellung auf orale Antibiotika möglich. Ein rasches Handeln ist bei einer septischen Coxitis unbedingt notwendig, da sonst Folgeschäden auftreten können, berichtet Radler. „Je mehr die Entzündung fortschreitet, desto eher besteht die Gefahr einer Knorpelschädigung und vor allem einer Schädigung der Wachstumsfuge. Es kann so zu einer Wachstumsstörung oder einer frühen Arthrose kommen.“

Ein rheumatischer Erguss ist ebenfalls eine Differentialdiagnose bei Coxitis fugax sowie bei einer septischen Coxitis. Daher wird die bei einer etwaigen Punktion gewonnene Flüssigkeit auch für eine rheumatologische Testung herangezogen; auch die Blutwerte müssen dahingehend betrachtet werden.

Alterstypische Differentialdiagnosen

Weitere Hüftgelenkserkrankungen können bei Kindern Schmerzen verursachen; je nach Altersgruppe gibt es typische Differentialdiagnosen. Bei Klein­ und Volksschulkindern ist Morbus Perthes, eine idiopathische Hüftkopfnekrose, eine wichtige Differentialdiagnose. Diese tritt häufig zwischen dem vierten und neunten Lebensjahr auf – ähnlich dem Altersprofil der Coxitis fugax. Morbus Perthes ist eine Durchblutungsstörung des Hüftkopfs unklarer Genese, die zur Nekrose und dem Zerfall des Hüftkopfkernes führt. „Meistens zeigt Morbus Perthes einen langsamen Erkrankungsbeginn. Schmerzhafte Phasen wechseln sich ab mit schmerzfreien Phasen“, berichtet Chiari aus der Praxis. Neben den Schmerzen entwickeln die betroffenen Kinder auch ein deutliches Hinken. Durch die Formveränderung des Hüftkopfs kann in weiterer Folge eine Bewegungseinschränkung entstehen.

Morbus Perthes verläuft üblicherweise in Stadien und ist eine radiologische Diagnose; mittels Röntgen oder MRT ist der Hüftkopfzerfall feststellbar. Im Frühstadium, in dem Morbus Perthes durch ein Knochenmarködem beginnt, kann die Diagnose mittels MRT gestellt werde. Die Therapie ist stadienabhängig; primär wird konservativ behandelt. Bei Morbus Perthes kondensiert der Hüftkopf langsam und wird brüchig und es kommt zu Verformungen. Der Zerfall ist selbstlimitierend, da sich der Hüftkopf wieder aufbaut, allerdings kann die Regeneration mehrere Jahre in Anspruch nehmen. „Das Endresultat ist entscheidend für die Hüftfunktion: Im besten Fall heilt der Hüftkopf in normaler Form aus, im schlechtesten ist er stark deformiert, so dass das Risiko für eine frühe Arthrose hoch ist“, berichtet Chiari.

Obwohl es sich bei Morbus Perthes um keinen Notfall handelt, sollten Kinder bei Verdacht auf Morbus Perthes an einen Facharzt überwiesen werden, rät Chiari. „Die rechtzeitige fachärztliche Observanz ist bezüglich der Wahl eines eventuellen Operationszeitpunkts essentiell.“ Solange die Beweglichkeit gut und das Kind jung ist, können Physiotherapie und ein Verbot von Sprungsport ausreichen. „Wenn die Hüfte lateralisiert, ist es ein Warnzeichen, dass der Hüftkopf kondensiert. Im Sinne eines Containments kann es notwendig sein, zu operieren und die Überdachung zu maximieren“, erläutert Radler.

Eine weitere typische Diagnose ist die Epiphysiolysis capitis femoris oder „Slipped Capital Femoral Epiphysis“. Diese tritt meist rund um die Pubertät, zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr, auf. Bei dieser Epiphysenlösung, die Buben häufiger betrifft als Mädchen, kann es zum Abgleiten des Hüftkopfs kommen. Die Epiphysiolysis capitis femoris tritt als akute, ‚acute on chronic‘ und chronische Form auf. „Die akute traumatische Form ist relativ selten, sie kann auftreten, wenn ein Kind stürzt und die Epiphyse wie bei einer Fraktur akut verrutscht“, berichtet Radler.

Häufiger sind die chronische Form bzw. die „acute on chronic“ Form der Epiphysiolysis capitis femoris. Beide Formen schreiten langsam voran, in der chronischen Form können Schmerzen in der Hüfte auftreten und sich mit schmerzfreien Phasen abwechseln. Es kommt zu einem langsamen Abrutschen der Epiphysen­Fuge, die im Röntgen sichtbar ist. „Bei acute on chronic wird die gelockerte Epiphyse einer plötzlichen Mehrbelastung ausgesetzt, die Epiphyse rutscht ab. Die Hüftschmerzen werden stärker und die Beweglichkeit eingeschränkt“, berichtet Radler aus der Praxis. Eine akute Epiphysiolysis capitis femoris ist ein orthopädischer Notfall, da der Hüftkopf gefährdet ist abzusterben, erläutert Chiari. „Eine Operation ist notwendig, je nach Schweregrad des Abrutschens wird der Hüftkopf mit Drähten fixiert oder – bei schwerem Abrutschen – offen reponiert.“

Eine Hüftdysplasie ist zwar eine Erkrankung des Neugeborenen, die üblicherweise durch den Neugeborenen­Hüftultraschall detektiert wird. „Bei langanhaltenden Hüftschmerzen sollte die Hüftdysplasie aber als Differentialdiagnose bedacht werden. Vor allem wenn Patienten nicht im Screening­Programm waren, können auch Kinder und Jugendliche manifeste Hüftdysplasien haben“, betont Chiari. Auch bei einer deutlichen Dysplasie können bereits im Kindes­ und Jugendalter Probleme auftreten.

Auch eine frakturierte Knochenzyste kann Hüftschmerzen verursachen. Die Zyste ist schmerzlos, bis akut ein Sprung oder eine Stressfraktur auftritt. „Es kommt zu plötzlichen Schmerzen, Hinken und Gehunfähigkeit“, beschreibt Chiari die Symptome. „Solche Zysten treten im Schulalter auf und sind häufig im Hüftbereich lokalisiert. Auch das ist eine radiologische Diagnose.“

Weitere Differentialdiagnosen

Weitere Differentialdiagnosen sind Leistenbruch, Blinddarmentzündung und ähnliche Beschwerden im Bauchraum, da die Schmerzlokalisation gerade von jungen Kindern häufig nicht gut eingegrenzt werden kann. Auch Knochentumore und Leukämien können in seltenen Fällen die Ursache eines Hüftschmerz sein. „Das ist sehr selten, aber sollte sich die Hüfte als unauffällig herausstellen, gehört das Blutbild abgeklärt – bei Kindern mit Knochenschmerzen jedenfalls“, betont Chiari.

Kindlicher Hüftschmerz ist von einem Wachstumsschmerz gut abgrenzbar. Dieser tritt meist nicht in der Hüfte auf, sondern ist um das Knie bzw. Sprunggelenk lokalisiert. Während Wachstumsschmerzen meist beidseits auftreten, belastungsunabhängig sind und die Schmerzlokalisation wandern kann, sind Hüftschmerzen meist einseitig und belastungsabhängig. Gerade um gefährliche Differentialdiagnosen auszuschließen, rät Chiari dazu, bei Hüftschmerzen lieber einmal mehr ein Röntgen durchzuführen. „Im Zweifelsfall sollte ein Beckenübersichtsröntgen und eine axiale Aufnahme gemacht werden, damit können zumindest eine Hüftdysplasie, Morbus Perthes und eine Epiphysiolysis capitis femoris ausgeschlossen werden.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2021