Interview Josef Penninger: „Toll, aber irrelevant“

10.04.2021 | Medizin


Toll, aber komplett irrelevant – mit dieser Reaktion sah sich Univ. Prof. Josef Penninger konfrontiert, als er seine Forschungsergebnisse zum ACE2-Rezeptor präsentierte. Heute ist es das weltweit meist beforschte Protein, wie der an der University of British Columbia in Vancouver tätige Wissenschafter im Exklusiv-Interview mit der ÖÄZ erklärt. Das Gespräch führte Manuela-C. Warscher.

Wie wurden Sie zum Entdecker des berühmten ACE2-Rezeptors? Vor 23 Jahren konnten wir erstmals ACE2 aus Fruchtfliegenherzen extrahieren. Was wir zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten: Einerseits schützt dieses Protein vor akutem Lungenversagen und andererseits ermöglicht es dem SARS-Virus den Eintritt ins Zellinnere. Das konnten wir durch Versuche mit Knock-out-Mäusen beweisen. Konkret haben zwei Post-Docs fünf Jahre lang gebraucht, um ein standardisiertes Modell einer Intensivstation für Mäuse zu bauen. In dieser Intensivstation haben wir dann Gene analysiert, die für das Lungenversagen verantwortlich sind. Als 2002 SARS in China ausbrach, haben wir unsere ACE2-Knockout-Maus – die einzige, die existierte – nach Peking geschickt, um sie mit SARS zu infizieren. Das Ergebnis war erstaunlich: Ohne ACE2 war keine Infektion möglich. Somit war der Beweis erbracht, dass ACE2 der potentielle Rezeptor für das SARS-Virus ist.

Wie wurde diese Erkenntnis von der Wissenschaft aufgenommen? Uns wurde gesagt, dass die Erklärung zwar toll, aber komplett irrelevant sei, weil es SARS nicht mehr gibt. Als aber 2019 sein Bruder auftauchte, wurde ACE2 ins Zentrum der Pandemie und seiner Forschung katapultiert. Heute ist es das meist beforschte Protein auf unserem Planeten.

Ihre Arbeit mündete in APN01. Was ist das Besondere daran? APN01 ist lösliches ACE2, das das Virus abfängt und sein Eindringen in die Zellen verhindert. In anderen Worten: Es funktioniert wie ein Schwamm, der das Virus aufsaugt. Die wesentlichste Eigenschaft von ACE2 ist aber, dass es nicht mutieren kann. Anders gesagt: Das Virus wird sich immer an ACE2 binden. Das ist der erste große Vorteil von APN01. Der zweite positive Aspekt ist, dass ACE2 auch organschützende Eigenschaften besitzt, die besondere Relevanz hinsichtlich des Multiorganversagens, an dem viele Patienten am Ende der COVID-Erkrankung leiden, hat. In welcher Form diese am besten genützt werden können, also in welcher Dosis und Darreichungsform, muss allerdings noch sorgfältig getestet werden.

Die Phase II-Studie zu APN01 wurde kürzlich abgeschlossen. Was zeigen die Daten beziehungsweise welche Optimierungen sind bekannt? In die Studie waren 180 Probanden mit Stadium 4, 5 und 6 der WHO-Skala. Wir konnten bei den sekundären Endpunkten erfolgreich nachweisen, dass APN01 sowohl die virale RNA-Last als auch die Tage mit mechanischer Beatmung signifikant reduziert. Es wurden auch keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse beobachtet. Allerdings konnte leider aufgrund der geringen Patientenzahl und folglich Ereigniszahl keine statistische Signifikanz für den primären Endpunkt, also Gesamt-Mortalität und invasive Beatmung bis Tag 28, gezeigt werden. Wir sehen zwar klinische Tendenzen, müssen aber noch Subgruppen analysieren.

In welcher Form? Beispielsweise der Frage nachgehen, ob beziehungsweise wie sich bei einem hohen Renin-Angiotensin-Level das Risiko erhöht oder ob ACE2 bei einem geringen Renin-Angiotensin-Level besser funktioniert. Wir haben jedenfalls erkannt, dass wir das Arzneimittel in einem wesentlich früheren Krankheitsstadium als ursprünglich angenommen einsetzen müssen. Eine frühere Gabe ist sinnvoll, weil die Blockade des Virus in den ersten sieben Tagen nach der Infektion am besten gelingt. Danach ist es meist schon zu spät.

Sind weitere Studien geplant? Ja, konkret sind zwei Studien geplant. Zunächst eine Phase IIb oder Phase III mit der i.v.-Applikation, die wir nachreichen. Dafür brauchen wir einerseits ein wesentlich größeres Kollektiv und andererseits werden wir das Arzneimittel in einem früheren Krankheitsstadium testen. Zudem arbeiten wir an Toxizitäts-Studien für eine Inhalations-Variante des Arzneimittels, die bei Kindern oder Front Line Workers eingesetzt werden kann. Hier stehen wir am absoluten Beginn der Arzneimittelentwicklung und prüfen derzeit erst die Stabilität des Proteins. Zu einem späteren Zeitpunkt ist auch ein pädiatrischer Studienplan angedacht.

Welche nächsten Schritte sind nun geplant? Wann ist mit einer Zulassung zu rechnen? Aufgrund der zusätzlichen Studien und der diversen Anforderungen kann ich den Zulassungszeitpunkt derzeit seriöserweise nicht abschätzen. Jedenfalls brauchen wir für die nächsten Schritte Partner aus der Big Pharma, die uns bei der weiteren Entwicklung und Produktion unterstützen, die äußerst kostenintensiv werden. Es muss uns nämlich allen klar sein, dass zur erfolgreichen Eindämmung der Pandemie und zur Kontrolle des Virus und seiner Varianten zusätzlich zu den Impfstoffen die Arzneimittel-Entwicklung essentiell ist. COVID wird nicht verschwinden. Im Gegenteil, es wird endemisch mit jährlich mehr als 100 Millionen Infektionen in den nächsten Jahrzehnten.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie als Grundlagenforscher aus der Pandemie mit? Hinter APN01 stecken viele, viele Jahre an fundamentaler Forschung. Daher kann auf seinen Wirkmechanismus vertraut werden. Wir haben zwar einen guten Anfang gesetzt, kennen die Richtung, müssen aber noch einige zusätzliche Wege ins Ziel gehen. Ich bin davon überzeugt, dass am Ende APN01 ein essentieller Bestandteil der COVID-Therapie und Prävention sein wird.

 

Zur Person

Der 1964 in Oberösterreich geborene Genetiker Josef Penninger leitet seit 2018 das Life Sciences Institute an der University of British Columbia in Vancouver/Kanada.

Zuvor war Penninger von 2003 bis 2018 wissenschaftlicher Direktor am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.

Penninger erforscht genetische Ursachen verschiedener Erkrankungen und hat unter anderem das Protein RANKL (Receptor Activator of NF-κB Ligand) entdeckt. RANKL fungiert als Ligand für den Transmembranrezeptor RANK und reguliert die Bildung und Aktivität von Osteoklasten sowie die Resorption von Knochen. Auf Grundlage dieser Entdeckung wurde ein monoklonaler Antikörper zur Therapie von Osteoporose und Knochenmetasen entwickelt.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2021