Interview Michael Musalek: „Lächeln ist ein wirkungsvolles Instrument“

25.03.2021 | Medizin


Setzt der Arzt das Lächeln bewusst im richtigen Kontext ein, ist es ein wirkungsvolles Instrument, sagt Univ. Prof. Michael Musalek. Warum das Lächeln darüber hinaus die unbedingte Grundlage dafür ist, auch schwierige Zeiten zu meistern, erklärt der Psychiater im Gespräch mit Manuela-C. Warscher.

Erwachsene lächeln wesentlich seltener als Kinder. Ist Erwachsenen das Lächeln peinlich? Ja und nein. Es gibt tatsächlich Situationen, in denen uns lächeln peinlich ist und wir uns dafür schämen. Meist sind das Begebenheiten, die eine Gratwanderung verlangen. In der Medizin kommt das relativ häufig vor: Der Arzt muss dem Patienten eine schlechte Nachricht überbringen, was er mit Sicherheit nicht lächelnd tun wird. Das wäre unangebracht und peinlich, weil ich damit dem Patienten signalisiere, dass er und seine Bedürfnisse nicht ernstgenommen werden. Allerdings kann der Arzt mit einem sachten Ton sprechen und die kurativen Maßnahmen lächelnd vorstellen. Damit wird der Fokus auf das Positive gelenkt, das durch das Lächeln verstärkt wird. Da diese Gratwanderung nicht einfach ist, unterbleibt das Lächeln meist zur Gänze.

So wie in der derzeitigen Pandemie?
In einer Zeit der Bedrohung und der gereizten Atmosphäre ist lächeln die wesentlichste Waffe. Mit dem Lächeln wird eine positive Atmosphäre geschaffen, werden Vertrauen und Offenheit aufgebaut. Es ist ein Signal des Miteinanders und fördert den Gemeinschaftsgedanken. Und genau diesen Gedanken brauchen wir in einer Krise.

Allerdings bauen die meisten Krisenbewältigungsstrategien eher auf Ernsthaftigkeit auf. Das wäre eine Umkehr bekannter Muster. Kann das gelingen? Wir dürfen nicht Lächeln und Lachen als etwas ‚Unernstes‘ sehen. Dann ist es in einer Krise tatsächlich keine Alternative. Es gibt zahlreiche Personen, die die Krise nicht ernst nehmen und das ist nun mal nicht sehr hilfreich – weder für die Person selbst, noch für andere. Die Lösung ist vielmehr ‚Ernstes im Unernsten‘ und ‚Unernstes im Ernsten‘ zu sehen, wie es uns der französisch-amerikanische Maler Marcel Duchamp vorgelebt hat.

Wie sieht dieses Konzept in der Praxis aus? Nehmen wir ein Kartenspiel. Es ist ganz furchtbar, wenn jemand das Spiel nicht ernst nimmt, andererseits ist es auch mühsam, wenn jemand das Spiel zu ernst nimmt. Man braucht einen spielerischen Zugang zur Krise. Das heißt, wir müssen die Krise durchaus ernst nehmen, aber gleichzeitig nicht die Fülle an Schönem und Freudvollem, die es neben der Krise gibt, vergessen. Denn wir bestehen nun mal nicht nur aus COVID. Wir sollten uns auf das Schöne konzentrieren und hier spielt das Lächeln eine große Rolle. Durch ein vertrauensvolles Lächeln in einer ernsten Situation fühle ich mich sicherer und besser. Nicht lächerlich machen, sondern lächeln.

Ist Lächeln erst in der Pandemie sekundär geworden? Nein, wir haben schon vor COVID auf das Lächeln vergessen,weil es immer Wichtigeres gab, das uns gefangen hielt. Derzeit ist Lächeln aber aufgrund der körperlichen Distanz, die wir wahren müssen, umso bedeutsamer, weil wir damit Nähe erzeugen können, die wir körperlich nicht erleben dürfen.

Verschiedene Krisenbewältigungskonzepte setzen auf die positiven Aspekte der Selbstironie. Kann uns dieser Ansatz beziehungsweise das Lachen über uns selbst in Corona-Zeiten helfen? Grundsätzlich braucht es kein ‚Lachen‘, sondern ein ‚Lächeln‘ über uns. Denn Lachen würde sehr schnell in ein Auslachen abrutschen. Exakt das wäre nicht nur äußerst kontraproduktiv, sondern würde auch unser Selbstwertgefühl nicht stärken. Lächeln ist nur möglich, wenn ich mich in der jeweiligen Situation sicher fühle. Daher ist das ‚über sich selbst lächeln‘ nicht jedem zu empfehlen, sondern nur denjenigen, die es schaffen, über den Dingen zu stehen, da diese Personen besser mit Problemen umgehen können. Obgleich der Ansatz des ‚Über-sich-selbst-Lächelns‘ erstrebenswert ist, ist er nicht die erste Stufe.

Und Galgenhumor? Viele setzen darauf, um mit Krisen fertig zu werden. Galgenhumor ist der Überbegriff von ironischem, sarkastischem und zynischem Lächeln. Diese drei Kategorien haben fließende Übergänge. Während ironisches Lächeln durchaus noch positive Wirkung haben kann, verliert sarkastisches und zynisches Lächeln jeglichen positiven Aspekt. Anders gesagt: Selbstironie kann die Basis für Positives sein, zynischer Galgenhumor nicht mehr. Er ist primär gegen andere gerichtet und daher weder für mich als Absender noch für mein Umfeld gut.

Lächeln hat also ausschließlich positive Aspekte? Nein, im Gegenteil. Wir verfügen über ein Repertoire von zumindest 50 Arten des Lächelns. Diese reichen – grob kategorisiert – von echtem zu unechtem beziehungsweise von ehrlichem zu gespieltem Lächeln. Ein Kind kann diese Unterschiede im Lächeln eines Anderen sehr leicht ausmachen, der Erwachsene tut sich damit schwerer. Diese Arten des Lächelns wirken aber nicht nur auf andere, sondern auch auf mich selbst und können, wenn sie erzwungen und unecht sind, krankmachend sein. So führt das Lächeln-Müssen in bestimmten Berufen im schlimmsten Fall zum Burnout.

Welche therapeutische Kraft liegt im Lachen, im Lächeln, im Humor? Es gibt tatsächlich eigene Richtungen der Psychotherapie, die Lächeln und Lachen als therapeutische Intervention anwenden. Ganz generell schafft das Lächeln eine Atmosphäre, die nicht nur in der Psychotherapie, sondern in jedem therapeutischen Gespräch wichtig sind. Vor allem wenn mit dem Patienten Dinge zu besprechen sind, die schambesetzt sind oder sehr intime Aspekte betreffen. Ein Lächeln als Einstieg vor einem solchen Gespräch hilft hier dem Patienten, weil es eine öffnende Eigenschaft hat. Nonverbale Kontakte werden in der medizinischen Therapie noch zu wenig gepflegt und angewendet.

Humor sollte demnach in der Medizin Pflicht werden und nicht mehr Kür sein? Nun, Lächeln hat zwar mit Humor zu tun, aber es muss nicht Humor dahinterstehen. Lächeln ist viel facettenreicher als Lachen und Humor. Es muss nicht jeder Hausarzt humorvoller werden, um tatsächlich mehr zu lächeln. Bei bestimmten Themen und in bestimmten Situationen ist Lächeln ein wirkungsvolles Instrument, das der Arzt bewusst im richtigen Kontext einsetzen muss.

Ist es also eine Frage des richtigen Zeitpunkts? Korrekt. Leider hat der richtige Zeitpunkt noch eine zu geringe Rolle in der Medizin, aber auch in der Gesellschaft. Die Dichotomie der Zeit wird in der griechischen Mythologie durch Chronos und Kairos dargestellt. Steht Chronos für den tickenden Sekundenzeiger der Lebenszeit, ist Kairos der Gott des rechten Augenblicks. Kairos war immer schon der Zeitgott, dem leider weniger Bedeutung zugemessen wurde. Lächeln ist also nicht nur Frage des ‚Tuns‘, sondern vor allem des ‚Tuns zur rechten Zeit‘.

Was konkret kann der Arzt mit Lächeln nun erreichen? Was kann man damit grundsätzlich zur rechten Zeit erreichen? Anlächeln ist ein Signal des Miteinanders, Lächeln ist ansteckend. Es erzeugt Gemeinschaft. Das bedeutet: Lächelt eine Mutter ihr Kind an, signalisiert sie ihm damit, dass sie etwas gemeinsam machen werden. Auch der Arzt kann in seiner Beziehung zum Patienten durch das Lächeln ein Zeichen setzen, dass Arzt und Patient gemeinsam die Krankheit bewältigen werden. Beide transportieren mit dem Lächeln den Gemeinschaftsgedanken. Und exakt diesen Gemeinschaftsgedanken brauchen wir in Krisen beziehungsweise der Corona-Pandemie. Damit transportieren wir: Wir schaffen diese Krise, diese Pandemie, die harten Zeiten gemeinsam. Lächeln ist daher für ein positives Gemeinschaftsgefühl die unbedingte Grundlage.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2021