Insultprävention: Trias der Risikofaktoren

25.01.2021 | Medizin


Die Trias Hypertonie, Cholesterinwert und Blutzucker erhöht – sofern sich die Werte nicht im Normbereich befinden – das Risiko für ein kardiovaskuläres oder zerebrovaskuläres Ereignis. Die medikamentöse Einstellung gestaltet sich relativ einfach – aber die Säule der Primärprävention ist die Lebensstilmodifikation.
Sophie Fessl

Weltweit erleiden pro Jahr 20 Millionen Menschen einen Schlaganfall. Wenn es uns nicht gelingt, die Präventivmaßnahmen massiv zu verstärken, wird diese Zahl bis zum Jahr 2050 auf 30 Millionen steigen“, warnt Univ. Prof. Stefan Kiechl von der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Bei der Primärprävention von Insulten liegt das Hauptaugenmerk auf der Beeinflussung der klassischen Risikofaktoren, erklärt Christoph Waiß von der Klinischen Abteilung für Neurologie des Universitätsklinikums St. Pölten. „Bluthochdruck, Cholesterinwert, Blutzucker: Diese Werte bilden die Trias an Risikofaktoren, die jedes Risiko eines kardiovaskulären oder zerebrovaskulären Insults erhöhen, wenn sie sich nicht im Normalbereich befinden.“ Kiechl ergänzt: „Relativ einfach ist hierbei die medikamentöse Einstellung durch gute Aufklärung, Betreuung und Kontrolle.“ In der Praxis wesentlich schwerer zu erreichen seien hingegen Lebensstilmodifikationen, die ein wichtiger Baustein der Prävention seien. Faktoren, die die Betroffenen selbst beeinflussen können und sollen, sind Nikotinabusus, Ernährung, Gewicht sowie Bewegung. „Es sind klassische Risikofaktoren, die essentiell sind und deren Bedeutung mehr hervorgehoben werden sollte“, betont auch Waiß.

„Voraussetzung für eine gute Behandlung ist natürlich, dass man Risikopatienten überhaupt erkennt und identifiziert. Eine regelmäßige Bestimmung der Risikofaktoren sollte daher noch besser zugänglich sein, idealerweise regelmäßig ab dem Jugendalter“, erklärt Kiechl. Mithilfe des SCORE-Risk Chart der European Society of Cardiology kann das individuelle Risiko eines asymptomatischen Patienten, in den nächsten zehn Jahren ein fatales kardiovaskuläres Event zu erleiden, berechnet werden. Neben einer regionalen Unterscheidung in Hochrisiko- und Niedrigrisiko-Regionen werden Geschlecht, Alter, systolischer Blutdruck, Gesamtcholesterin sowie Raucherstatus in die Berechnung aufgenommen. Eine elektronische interaktive Version dieses Instruments zur Risikoberechnung ist auf der Webseite heartscore.org abrufbar; die Daten können anonym eingegeben werden. Mit diesem Tool erhält man rasch und einfach eine numerische Einschätzung des individuellen Risikos.

Auch wenn das berechnete oder geschätzte individuelle Insultrisiko nicht im Hochrisiko-Bereich liegt, sollten die Empfehlungen zur Prävention befolgt werden. „Patienten mit mittlerem oder niedrigem Risiko sollten sich nicht in falscher Sicherheit wiegen: Wenn auf sie auch nur ein Risikofaktor zutrifft, sollte hier eine gute Einstellung erfolgen“, betont Kiechl.

Der individuelle Risk-Score des Patienten beeinflusst auch die weitere Behandlung und Zielwerte bei der Prävention, denn er findet zum Beispiel in den Empfehlungen der ESC zur Lipidtherapie Anwendung. Laut Empfehlung der ESC sollte bei Patienten mit einem Risiko von fünf bis zehn Prozent in den nächsten 10 Jahren ein fatales kardiovaskuläres Event zu erleiden, der LDL-C Wert auf unter 70 mg/dl gesenkt werden. Liegt das Risiko über zehn Prozent, so sollte der Wert sogar auf unter 55 mg/dl gesenkt werden.

Trend zu niedrigem Grenzwert

„Generell geht der Trend in Richtung immer niedrigerer Grenzwerte. Denn mithilfe der PCSK9-Inhibitoren, die seit 2015 für Hochrisikopatienten zugelassen sind, ist das Erreichen niedriger Cholesterinwerte möglich geworden“, erläutert Waiß. Laut Empfehlungen der ESC liegt der LDL-C Zielwert bei gesunden Patienten bei unter 116 mg/dl. Patienten, bei denen erst kürzlich ein Diabetes mellitus diagnostiziert wurde, haben einen LDL-C Zielwert von unter 100 mg/dl; zehn Jahre nach der Diagnose sollte der LDL-C Wert laut ESC-Empfehlung bereits bei unter 70 mg/dl liegen. Für Patienten mit sehr hohem Risiko – etwa bei eingeschränkter Nierenfunktion – und in der Sekundärprävention liegt der Zielwert bei unter 55 mg/dl. Diese starke Reduktion der Lipidwerte habe einen protektiven Effekt auf zerebrovaskuläre und kardiovaskuläre Events, fügt Waiß hinzu. „Früher fürchtete man, eine starke Senkung der Lipidwerte könnte Nebenwirkungen hervorrufen. Die aktuellen Daten entschärfen aber diese Befürchtung.“ Derzeit sind PCSK9-Hemmer nur für die Behandlung von Hochrisiko-Patienten zugelassen. Laut Kiechl könnten aber auch Patienten mit nicht so stark erhöhten Cholesterinwerten oder solche, die noch keinen Insult erlitten haben, von einer Behandlung profitieren.

Weitere Zielwerte bei Risikofaktoren sind ein HbA1c-Wert unter sieben Prozent – dieser kann jedoch individuell abweichen –, um zerebrovaskulären Komplikationen entgegenzuwirken, ein Blutdruck von unter 140/90 sowie ein BMI im Bereich des Normalgewichtes. „Jegliche Besserung ist gut. Trotzdem sollte man gemeinsam mit dem Patienten weiterarbeiten, um die Normwerte zu erreichen. Eine Senkung des Blutdrucks auf 160/100 mag zwar ein individueller Fortschritt sein, aber damit sollte man sich nicht zufriedengeben“, betont Waiß.

Doch selbst wenn eine Senkung in den Normbereich beziehungsweise eine Lebensstilmodifikation gelingt, stellt sich der protektive Effekt nicht sofort ein. Das kardiovaskuläre Risiko bleibt auch nach einem Rauchstopp erhöht: Erst zehn Jahre nach Ende des Nikotinabusus hat sich das Risiko an das eines Menschen, der sein Leben lang nicht geraucht hat, angeglichen. „Entzündungen und Lungenveränderung mit Inflammation brauchen Zeit, um auszuheilen. Das gilt für alle Risikofaktoren“, gibt Kiechl zu bedenken. Denn die Gefäßschädigung sei kumulativ und zum Teil nicht rückbildungsfähig, weshalb Screening und Intervention schon im frühen Erwachsenenalter beginnen sollten.

Screening auf Risikofaktoren

Vorhofflimmern ist im höheren Alter kardiometabolisch wichtig und ein Risikofaktor für Insulte; ab dem 65. Lebensjahr steigt die Inzidenz von Vorhofflimmern rapide an. Die ESC empfiehlt daher, ab dem 65. Lebensjahr ein Screening auf Vorhofflimmern durchzuführen mit regelmäßiger Pulsmessung beziehungsweise mit einem EKG. „Wird ein arrhythmischer Puls gemessen, sollte zur Kontrolle ein EKG durchgeführt werden. Eventuell wird in Zukunft das Screening und Detektieren von Vorhofflimmern durch das Tragen von Smart Watches erleichtert“, hofft Waiß.

Karotisstenosen sind ebenfalls eine der Hauptursachen für einen Insult. Laut den 2020 erschienenen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) kann bei Vorliegen von kardiovaskulären oder zerebrovaskulären Risikofaktoren mittels Ultraschall auf eine Karotisstenose gescreent werden. „Patienten mit Risikofaktoren sollten ab dem 50. Lebensjahr alle fünf Jahre per Ultraschall auf eine Karotisstenose gescreent werden“, erklärt Waiß. „Die Behandlung ist allerdings von Fall zu Fall unterschiedlich.“

Asymptomatische Patienten mit einer 70-prozentigen Karotisstenose nach ECST-Definition (50 Prozent nach NASCET-Definition) sollten 100 mg Acetylsalicylsäure pro Tag sowie ein Statin einnehmen, berichtet Waiß. „Auch eine 80-prozentige asymptomatische Karotisstenose stellt nicht automatisch eine OP-Indikation dar: Grundsätzlich würde ich auch hier konservativ therapieren und individuell agieren.“ Faktoren, die die Entscheidung für oder gegen eine operative Therapie beeinflussen, sind zum Beispiel die Plaque-Morphologie oder eine Progredienz der Stenose. Anders verhält es sich bei Patienten, die einen rezenten Insult im Stromgebiet der Karotisstenose erlitten haben. Hier ist grundsätzlich eine operative Sanierung ab einem Stenosegrad von 70 Prozent (ECST-Definition) indiziert.

Bei einem persistierenden Foramen ovale ist in der Primärprävention keine medikamentöse oder interventionelle Therapie indiziert. „Ein persistierendes Foramen ovale findet sich bei Schlaganfallpatienten häufig. Das Problem ist allerdings, dass wir nicht sagen können, ob ein persistierendes Foramen ovale eine direkte Ursache für den Schlaganfall ist“, erklärt Kiechl. Nach einem vorangegangenen Schlaganfall und nach einer genauen Abklärung anderer möglicher Ursachen kann ein Verschluss angedacht werden, ergänzt Waiß. „Bei einem embolischen Infarktmuster kann man bis zum 60. Lebensjahr, wenn ein persistierendes Foramen ovale detektiert und keine andere Ursache gefunden wird, an einen Verschluss denken. Dies stellt aber stets eine individuelle Entscheidung dar und kann pauschal nicht beantwortet werden.“

Aspirin zur Primärprophylaxe bleibt weiterhin ein viel diskutiertes Thema. Laut den Empfehlungen der American Heart Association (2019) könne bei Personen zwischen dem 40. und dem 70. Lebensjahr mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko, aber niedrigem Blutungsrisiko, Aspirin in einer Dosis von 100 mg/Tag angedacht werden. „Das ist eine sehr offene Empfehlung. Wir geben grundsätzlich kein Aspirin in der Primärprophylaxe. Stattdessen konzentrieren wir uns auf eine Verbesserung der Risikofaktoren“, führt Waiß aus. Ausnahmen dabei seien die Primärprophylaxe bei Patienten ab einer 70-prozentigen Karotisstenose nach ECST-Kriterien oder Patienten, bei denen alte Schlaganfälle als Zufallsbefund detektiert werden. Wobei bei letzterem dann nicht mehr von Primärprophylaxe ausgegangen werden könne.  Auch Kiechl betont: „Hoher Blutdruck und Cholesterinwerte sind medikamentös zu behandeln. Wichtige Säulen der Primärprävention sind die Lebensstilmodifikationen: Rauchstopp, Umstellung auf gesunde Ernährung und die Vermeidung von Übergewicht.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2021