FSME – 2020: neuer Negativrekord

25.04.2021 | Medizin


Im Vorjahr wurden um 60 FSME-Fälle mehr als im Rekordjahr 2018 registriert. Die Hälfte der Betroffenen wies schwerste Beeinträchtigungen des ZNS auf; nur wenige erholten sich vollständig. Zwar war die Mehrzahl älter als 50 Jahre, jedoch waren 16 Prozent der Infizierten Kinder.
Manuela-C. Warscher

In den 1990er Jahren waren FSME und die Folgen überall präsent: So wurden etwa in der Fernsehwerbung mehrmals am Tag Betroffene gezeigt, die beatmet werden mussten. „Heute sind die FSME-Opfer aus der kollektiven Wahrnehmung verschwunden“, sagt Univ. Doz. Bettina Pfausler von der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Dabei musste 2020 ein neuer Negativrekord verzeichnet werden:  Bei insgesamt 216 stationär aufgenommenen Patienten wurde vergangenes Jahr eine FSME diagnostiziert; bei 209 konnte die Diagnose am Zentrum für Virologie als österreichisches Referenzzentrum für FSME verifiziert werden. „Damit wurden letztes Jahr sogar um 62 Fälle mehr als im Rekordjahr 2018 registriert“, sagt Univ. Prof. Heidemarie Holzmann vom Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität Wien. Sowohl die hohe Zahl an adulten Zecken als auch die Corona-Maßnahmen haben das FSMEV-Infektionsgeschehen beeinflusst. „Durch die Pandemie-bedingten Reisebeschränkungen haben viele ihren Urlaub in Österreich und vor allem auch im Freien verbracht“, so Holzmann. Im Vorjahr war der jüngste Patient 18 Monate alt, der älteste 86 Jahre. „Wie in den Vorjahren war mehr als die Hälfte der FSME-Patienten älter als 50 Jahre. Ungefähr 16 Prozent der Infizierten waren Kinder“, sagt Holzmann. Pfausler ergänzt: „Der jüngste in der Literatur berichtete Patient war erst drei Wochen alt.“

Andere Übertragungswege

Eine FSME-Infektion folgt einer Exposition in einer Zeckenregion. Allerdings kann sich die Hälfte der Infizierten nicht an einen Zeckenbiss erinnern, sagt Pfausler „Doch auch Haustiere können Zecken nach Hause bringen, die abfallen und dann den Haustierbesitzer stechen können.“ Selten kann eine FSME auch durch den Genuss von Rohmilchprodukten übertragen werden, wie es 2020 in vier Fällen bestätigt wurde. „Ich erinnere an die Vorarlberger-Ziege, die auch vor Jahren zu einigen Infektionen geführt hat.“ Tatsächlich erkrankten sechs ungeimpfte Personen vor 13 Jahren an FSME, nachdem sie Frischkäse aus unpasteurisierter Ziegenmilch auf einer Vorarlberger Alm gegessen hatten. Virologische Analysen bestätigten damals, dass bei einer der Ziegen FSME-Antikörper nachgewiesen werden konnten, was für eine vorangegangene Infektion sprach. „Entgegen der weitläufigen Meinung war nun auch klar, dass Zecken auch im Hochgebirge bis 2.000 Meter überleben“, erklärt Pfausler.

Lediglich ein Drittel der Infizierten sei völlig symptomfrei, so Pfausler. „Bei einem Drittel kommt es zu einer neuroinvasiven Erkrankung als Meningitis, Meningo-Enzephalitis oder Myeloradikulitis“, sagt Pfausler. Unklar sind weiterhin die Gründe für die unterschiedlich schweren Verläufe einer FSME. Wissenschaftlich validiert ist der Zusammenhang zwischen einer unterschiedlich hohen Anzahl von übertragenen Viren beim Zeckenstich und der individuellen Immunabwehr. Nach dem ersten Gipfel der Krankheitsphase mit Grippe-ähnlichen Symptomen kommt es zu einer vorübergehenden Symptomfreiheit von etwa einer Woche „Der zweite Gipfel beginnt dann mit einem erneuten Fieberanstieg und allgemeinem Krankheitsgefühl“, so Pfausler. Bei der Hälfte der Fälle kommt es im weiteren Verlauf zur neurologischen Manifestation – am häufigsten als Meningitis mit 50 Prozent, als Meningo-Enzephalitis mit 40 Prozent und als Meningo-Enzephalomyelitis bei zehn Prozent.

Heilung mit Folgeschäden

Zwar heilt das zweite neuroinvasive Krankheitsstadium bei Patienten mit einer Meningitis „meist“ vollständig aus. Allerdings müssen Patienten speziell mit einer Meningo-Enzephalomyelitis über einen längeren Zeitraum künstlich beatmet werden. „Es ist auch ein bleibendes Versagen der Eigenatmung möglich, wodurch eine Beatmung zu Hause erforderlich wird“, sagt Pfausler. Lediglich ein Fünftel dieser Patienten, die einen enzephalomyelitischen Verlauf haben, erholt sich vollständig; die Mortalitätsrate liegt bei 30 Prozent. Aktuelle Zahlen belegen, dass bei 20 Prozent der Patienten mit einer Meningo-Enzephalitis auch nach der Rehabilitation dauerhafte Behinderungen wie Lähmungen, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen bestehen bleiben Dies trifft auch auf Kinder und Jugendliche zu, obgleich sie im Allgemeinen bessere Verlaufsformen haben. Dennoch: „Ein Drittel leidet weiterhin an Beeinträchtigungen.“ Darüber hinaus liegt die Mortalitätsrate bei der Enzephalo-Myelitis laut FSME-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie 2020 bei knapp 30 Prozent. So erholten sich von 57 Patienten, die mehr als zehn Jahre nachbeobachtet wurden, nur 20 Prozent vollständig. 50 Prozent hatten dauerhafte Defizite; 30 Prozent starben an den Folgen der Erkrankung.

Keine kausale Therapie

Für die Behandlung der FSME steht weiterhin keine kausale Therapie zur Verfügung. Pfausler dazu: „Die postexpositionelle Gabe von spezifischem Hyperimmunglobulin ist bereits seit Jahren obsolet und auch nicht mehr erhältlich.“ Daher wird in Österreich allen Personen nach Vollendung des ersten Lebensjahres eine Impfprophylaxe empfohlen. „Die Impfung ist der einzige Schutz gegen schwerste Erkrankungen. Doch es scheint, dass sie das Opfer ihres eigenen Erfolges geworden ist“, sagt Pfausler. Nach einem Zeckenstich muss bei einem Umgeimpften ein Abstand von vier Wochen bis zur Impfung eingehalten werden. Bei korrekter Anwendung des Impfschemas liegen Impfdurchbrüche bei unter einem Prozent. „Vor zwei Jahren wurde ein Fall eines 22-jährigen Patienten bekannt, der einen Impfdurchbruch erlitt und mittels einer antiviralen Therapie vollständig genesen ist“, sagt Holzmann. Ein möglicher Einsatz von Favipiravir, einem RNA-Polymerase-Inhibitor, bei der Behandlung der FSME wird im Labor und in der klinischen Praxis weiterhin evaluiert.


FSME: wer soll geimpft werden?

Folgende Personengruppen sollten 2021 geimpft werden:

  • Ungeimpfte Personen;
  • Personen, die 2020 die ersten beiden Teilimpfungen erhalten haben.
  • Personen, die 2018 die dritte Teilimpfung der Grundimmunisierung erhalten haben.
  • Unter 60-Jährige, die 2016 das letzte Mal geimpft wurden.
  • Über 60-Jährige, die 2018 das letzte Mal geimpft wurden.
  • Personen, die nicht wissen, wann die letzte Impfung durchgeführt wurde.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2021