Der­ma­to­lo­gie-Facts: Neu­ro­der­mi­tis kompakt

11.11.2021 | Medizin

Die wich­tigs­ten Infor­ma­tio­nen rund um das Thema Neu­ro­der­mi­tis bie­tet fol­gende Übersicht.

Neu­ro­der­mi­tis … ist mit bis zu 25 Pro­zent die häu­figste chro­nisch ent­zünd­li­che Haut­er­kran­kung im Kin­des­al­ter; die Häu­fig­keit im Erwach­se­nen­al­ter nimmt zu und liegt bei rund vier Pro­zent. Neu­ro­der­mi­tis ver­läuft in Schü­ben, bie­tet ein bun­tes Spek­trum von kli­ni­schen Erschei­nungs­for­men und ist mit einem hohen Lei­dens­druck ver­bun­den. Dar­über hin­aus lei­den die Betrof­fe­nen in unter­schied­li­chem Aus­maß an Xero­sis cutis, Ery­the­men, Erosionen/​Exkoriationen, Krus­ten­bil­dung und Liche­ni­fi­zie­rung. Die Dia­gnose erfolgt kli­nisch; Labor­tests sind wenig hilf­reich außer zum Aus­schluss von Differentialdiagnosen.

Der Juck­reiz … ist das Kar­di­nal­sym­ptom der Neu­ro­der­mi­tis; er wird durch Hist­amin-abhän­gige und Hist­ami­n­un­ab­hän­gige Mecha­nis­men ver­ur­sacht. Die stän­dige Trau­ma­ti­sie­rung der Haut durch Krat­zen ver­ur­sacht ober­fläch­li­che Ver­let­zun­gen und damit eine (Zer-)Störung der Haut­bar­riere, was wie­derum eine Ver­stär­kung der Ent­zün­dung zur Folge hat usw. Die Unter­bre­chung des „Teu­fels­krei­ses“ Juck­reiz –Krat­zen – Ent­zün­dung muss das Ziel sämt­li­cher the­ra­peu­ti­scher Inter­ven­tio­nen sein. Der Juck­reiz ist häu­fig so aus­ge­prägt, dass auch in der Nacht – unbe­wusst – gekratzt wird und durch­gän­gi­ger erhol­sa­mer Schlaf nicht mehr mög­lich ist. Die Schlaf­stö­rung stellt bei vie­len Pati­en­ten die schwer­wie­gendste Ein­schrän­kung der Lebens­qua­li­tät dar.

Typi­sche Loka­li­sa­tio­nen sind … bei der früh­kind­li­chen ato­pi­schen Der­ma­ti­tis (zwi­schen dem 3. Lebens­mo­nat und zwei Jah­ren) vor allem die Wan­gen, das Kapil­li­tium, der Rumpf und die Streck­sei­ten der Extre­mi­tä­ten. Es kommt zu hoch ent­zünd­li­chen, näs­sen­den und ver­krus­te­ten Läsio­nen. Typi­scher­weise blei­ben chro­nisch feuchte Areale wie zum Bei­spiel im Win­del­be­reich und jener unter der Ach­sel aus­ges­paart. Bei einem Groß­teil der Betrof­fe­nen wer­den die Ekzeme bis zum Schul­ein­tritt bes­ser. Im Erwach­se­nen­al­ter ist das Ekzem meist auf die klas­si­schen Loka­li­sa­tio­nen wie Beu­gen­areale, Hals, Gesicht und Hände beschränkt; sel­ten kommt es auch zur Gene­ra­li­sie­rung bis hin zur Erythrodermie.

Das gene­ti­sche Risiko … eine Neu­ro­der­mi­tis zu ent­wi­ckeln, liegt bei einem Eltern­teil mit einer ato­pi­schen Erkran­kung bei 40 Pro­zent. Sind beide Eltern­teile betrof­fen, liegt es bei 80 Prozent.

Die Bezeich­nung ato­pi­sche Der­ma­ti­tis … oder ato­pi­sches Ekzem rührt daher, dass zusätz­lich zur Neu­ro­der­mi­tis andere Erkran­kun­gen aus dem ato­pi­schen For­men­kreis auf­tre­ten kön­nen wie bei­spiels­weise all­er­gi­sche Rhi­ni­tis und/​oder Asthma bron­chiale sowie beson­ders bei Kin­dern eine Lebensmittelallergie.

Mög­li­che Dif­fe­ren­ti­al­dia­gno­sen sind … das all­er­gi­sche oder irri­ta­tive Kon­takt­ek­zem, sebor­rhoi­sche Der­ma­ti­tis, Ska­bies, kutane T‑Zell-Lym­phome, Pso­ria­sis, Ery­thro­der­mien ande­rer Ursa­che, Epi­der­mo­my­ko­sen, Icht­h­y­o­sen, Licht­der­ma­to­sen und sel­tene Syn­drome mit Immun­de­fi­zi­enz (wie zum Bei­spiel Hyper IgE-Syn­drom oder Wiskott-Aldrich-Syndrom).

Ein beson­ders frü­her Beginn … ab dem vier­ten Lebens­mo­nat stellt ein Risiko für einen chro­nisch-per­sis­tie­ren­den Ver­lauf bis ins Erwach­se­nen­al­ter dar. Der frühe Beginn im ers­ten Lebens­jahr mar­kiert meist den Beginn der soge­nann­ten All­er­gie­kar­riere („ato­pic march“).

Exo­ge­ner Trig­ger … ist bei­spiels­weise emo­tio­na­ler Stress, der wesent­lich zur Exazer­ba­tion eines aku­ten Schubs bei­tra­gen kann. Wei­tere unspe­zi­fi­sche Trig­ger bezie­hungs­weise Pro­vo­ka­ti­ons­fak­to­ren sind Luft­ver­schmut­zung, Schaf­wolle auf der Haut und Schwit­zen. Spe­zi­fi­sche Immun­re­ak­tio­nen füh­ren eben­falls zur Exazer­ba­tion einer Neu­ro­der­mi­tis. Neben Aero-All­er­ge­nen kön­nen bei sen­si­bi­li­sier­ten Säug­lin­gen und Klein­kin­dern Lebens­mit­tel­all­er­gene wie Milch, Wei­zen, Soja oder Erd­nüsse sowohl Typ 1‑Reaktionen als auch Ekzem-Läsio­nen auslösen.

Grund­lage der Lokal­the­ra­pie … ist die soge­nannte Basis­the­ra­pie mit rück­fet­ten­den Pfle­ge­pro­duk­ten. Stu­dien zufolge kann die mehr­fach täg­li­che Basis­the­ra­pie bei Neu­ge­bo­re­nen sogar das Auf­tre­ten einer Neu­ro­der­mi­tis verhindern/​verzögern. Hin­ge­gen gibt es für Bäder (etwa im Hin­blick auf die rich­tige Fre­quenz) oder für Bade-/Dusch-Zusätze keine aus­rei­chend beleg­ten Wirksamkeitsnachweise.

Bei einem aku­ten Neu­ro­der­mi­tis-Schub … kom­men topi­sche Kor­ti­kos­te­ro­ide wie zum Bei­spiel Methyl­predn­iso­lo­nace­po­nat oder Mome­ta­son zum Ein­satz. Die ein­mal täg­li­che Anwen­dung zusätz­lich zur Basis­the­ra­pie kann Stu­dien zufolge aus­rei­chend wirk­sam sein auf­grund der Spei­cher­funk­tion der Hornschicht.

Rezi­di­ven … kann man in vie­len Fäl­len vor­beu­gen durch die pro­lon­gierte Anwen­dung mit redu­zier­ter Fre­quenz: zwei Tage pro Woche topi­sche Kor­ti­kos­te­ro­ide zusätz­lich zur Basistherapie.

Neben­wir­kun­gen der Kor­ti­son­the­ra­pie … umfas­sen bei häu­fi­ge­rer (und unspe­zi­fi­scher) Anwen­dung als dar­ge­stellt Atro­phie der Haut, Ery­theme, Pur­pura, Akne sowie bei groß­flä­chi­ger unkon­trol­lier­ter Anwen­dung auch Mor­bus Cushing.

Eine wei­tere Mög­lich­keit der Lokal­the­ra­pie … stellt die Behand­lung mit topi­schen Cal­ci­neu­rin-Inhi­bi­to­ren dar: Pime­cro­lis­mus für mode­rate Krank­heits­ak­ti­vi­tät sowie Tacro­lis­mus für mode­rat-schwere Krank­heits­ak­ti­vi­tät). Tacro­lis­mus ist bei zwei­mal täg­li­cher Anwen­dung mit der Wir­kung von Hydro­cor­ti­son­bu­ty­rat ver­gleich­bar; Pime­cro­lis­mus ist schwä­cher wirk­sam. Diese bei­den Sub­stan­zen sind beson­ders bei Neben­wir­kun­gen von topi­schen Kor­ti­kos­te­ro­iden und bei emp­find­li­chen Kör­per­lo­ka­li­sa­tio­nen (Beu­gen, Gesicht, anoge­ni­tal) von Vor­teil. Cal­ci­neu­rin-Inhi­bi­to­ren kön­nen über die Akut­phase hin­aus durch pro­lon­gierte Anwen­dung in redu­zier­ter Fre­quenz (zwei Tage pro Woche) ein­ge­setzt wer­den, um Rezi­di­ven vor­zu­beu­gen. Poten­ti­elle Neben­wir­kun­gen sind lokal in Form von Bren­nen, Rötung.

Jeg­li­chen Diät­maß­nah­men … ist – beson­ders bei Kin­dern – eine detail­lierte all­er­go­lo­gi­sche Dia­gnos­tik vor­zu­schal­ten. Es gibt keine „Neu­ro­der­mi­tis-Diät“.

Eine sys­te­mi­sche The­ra­pie … ist dann not­wen­dig, wenn fol­gende sechs Vor­aus­set­zun­gen erfüllt sind: 1) Aus­schluss von Dif­fe­ren­ti­al­dia­gno­sen; 2) Ver­mei­dung von Trig­ger­fak­to­ren; 3) Opti­mierte Lokal­the­ra­pie; 4) adäquate Pati­en­ten­schu­lung; 5) Behand­lung von Begleit­in­fek­tio­nen; 6) Berück­sich­ti­gung der Lebens­qua­li­tät und Berück­sich­ti­gung von Optio­nen der Lichttherapie.

Bei der Sys­tem­the­ra­pie … haben sich meh­rere The­ra­pien als wirk­sam erwiesen.

  • Mit der Kom­bi­na­tion von Schmal­spek­trum UV-B-Licht­the­ra­pie und die UVA1-Licht­the­ra­pie in Kom­bi­na­tion mit inten­si­ver Lokal­the­ra­pie konnte in Stu­dien nach zwölf Wochen eine mehr als 50-pro­zen­tige Reduk­tion der Krank­heits-Scores erzielt wer­den. Eine Kon­tra­in­di­ka­tion besteht für Kin­der und immun­sup­p­ri­mierte Patienten.
  • Das in der Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin erprobte Cyclos­po­rin A ist in Europa für die Behand­lung der Neu­ro­der­mi­tis zuge­las­sen. Auch hier konnte in Stu­dien eine mehr als 50-pro­zen­tige Reduk­tion der Neu­ro­der­mi­tis­Krank­heits-Scores nach zwölf Wochen per­ora­ler Gabe nach­ge­wie­sen werden.
  • Das Bio­lo­gi­kum Dupilumab wird sub­ku­tan ver­ab­reicht. Hier konnte in Stu­dien eben­falls nach zwölf Wochen eine mehr als 50-pro­zen­tige Reduk­tion der Krank­heits­Scores nach­ge­wie­sen werden.
  • Das Immun­sup­pres­si­vum Aza­thio­prin kommt bei Neu­ro­der­mi­tis nur off-label zum Einsatz.
  • Das Immun­sup­pres­si­vum Metho­tre­xat ist für Neu­ro­der­mi­tis nicht zuge­las­sen; es gibt jedoch gute Wirk­sam­keits­nach­weise aus mul­ti­plen Neurodermitis-Fallserien.

Die Neu­ro­der­mi­tis-Schu­lung, … ein struk­tu­rier­tes Pati­en­ten­schu­lungs­pro­gramm nach dem Cur­ri­cu­lum der AGNES (Arbeits-Gemein­schaft Neu­ro­der­mi­tis Schu­lung), bringt eine deut­li­che Ver­bes­se­rung der kli­ni­schen und der psy­cho­lo­gi­schen Para­me­ter. Ein mul­ti­dis­zi­pli­nä­res Team bie­tet Infor­ma­tio­nen über die zugrun­de­lie­gen­den dia­gnos­ti­schen Kon­zepte, die sta­di­en­ge­rechte Behand­lung sowie Stra­te­gien für den Umgang mit psy­cho­so­zia­len Belastungen.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 21 /​10.11.2021