COVID-Imp­fung: Auch bei Muta­tio­nen wirksam

25.02.2021 | Coronavirus, Medizin


SARS-CoV‑2 mutiert durch­schnitt­lich zwei­mal pro Monat. Damit liegt die Muta­ti­ons­freu­dig­keit des Virus unter der ande­rer RNA-Viren – inklu­sive Influ­enza-Virus. Doch im Gegen­satz zu ande­ren Viren erhöht die Zir­ku­la­ti­ons­in­ten­si­tät des neu­ar­ti­gen Corona-Virus seine Muta­ti­ons­chan­cen.
Manuela C. Warscher

„Im Fall der bri­ti­schen Virus-Vari­ante gehen wir der­zeit davon aus, dass sie durch eine wie­der­holte Rekon­va­les­zen­ten­plasma-Anti­kör­per­the­ra­pie an einem chro­nisch kran­ken, immun­ge­schwäch­ten Pati­en­ten ent­stan­den ist. Die Virus­po­pu­la­tion im Kör­per des Pati­en­ten ist durch das an Anti­kör­pern rei­che Blut­plasma unter Anpas­sungs­druck gekom­men und mutiert“, erklärt Univ. Prof. Nor­bert Nowotny vom Insti­tut für Viro­lo­gie der Vete­ri­när­me­di­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Bis­lang gibt es aber weder im Tier­mo­dell noch bei COVID-19-Gene­se­nen oder SARS-CoV-2-Infi­zier­ten Hin­weise auf ver­mehrte Re-Infek­tio­nen mit mutier­ten Viren. „Wir haben kei­ner­lei Daten, die bele­gen wür­den, dass eine der Muta­tio­nen eine neu­er­li­che Infek­tion eines bereits Gene­se­nen trig­gern würde“, sagt auch Univ. Prof. Ursula Wie­der­mann-Schmidt, Vak­zi­no­lo­gin am Insti­tut für Spe­zi­fi­sche Pro­phy­laxe und Tro­pen­me­di­zin der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien.

Muta­tio­nen: keine erhöhte Mortalität

Der­zeit brei­ten sich drei Virus-Vari­an­ten von SARS-CoV‑2 aus: eine Aspa­ra­gin-nach-Tyro­sin-Muta­tion N501Y der bri­ti­schen und süd­afri­ka­ni­schen Vari­ante und die Muta­ti­ons­kom­bi­na­tio­nen 69/70-Dele­tion + D614G (Aspa­ra­g­in­säure nach Gly­cin) im bri­ti­schen B.1.1.7 und Muta­ti­ons­kom­bi­na­tion E384K (Glut­amin­säure nach Lysin) + D614G aus B.1.351. Alle Vari­an­ten sind wesent­lich infek­tiö­ser. So ist die Trans­mis­sion der bri­ti­schen Vari­ante jüngs­ten Zah­len zufolge um 40 bis 70 Pro­zent höher als die ursprüng­li­che Form des Corona-Virus. „Dass sich mit den Muta­tio­nen die Infek­tio­si­tät erhöht, ist im Sinne des Virus“, sagt Nowotny. Ob die Vari­an­ten auch töd­li­cher sind oder ob sie durch die rasan­tere Aus­brei­tung eine höhere Zahl an vul­ner­ablen Bevöl­ke­rungs­grup­pen errei­chen und daher die Mor­ta­li­tät steigt, dar­über sind sich Wis­sen­schaf­ter noch uneins. „Dass es bei den Vari­an­ten zu einer höhe­ren Mor­ta­li­tät kom­men wird, ist eher unwahr­schein­lich“, ver­mu­tet Nowotny. „Schließ­lich will das Virus nicht sei­nen Wirt töten. Denn: Stirbt der Wirt, stirbt das Virus.“ 

B.1.1.7: kaum schwe­rere Verläufe

Vor allem die bri­ti­sche Vari­ante B.1.1.7 birgt das Risiko von schwe­re­ren Ver­läu­fen. Zu die­sem Schluss kommt eine Anfang Februar die­ses Jah­res ver­öf­fent­lichte Stu­die der Lon­don School of Hygiene and Tro­pi­cal Medi­cine. Die­sem Ergeb­nis wider­spricht Nowotny: „Eine bestimmte Muta­tion im Spike-Pro­tein begüns­tigt die Bin­dung an das ACE2 Rezep­tor­pro­tein der Ziel­zel­len, was eine höhere Infek­tio­si­tät, aber nicht unbe­dingt schwe­rere kli­ni­sche Ver­läufe nach sich zieht.“ Ähn­lich sieht es Ursula Wie­der­mann-Schmidt: „Die Gefähr­lich­keit der Vari­an­ten ist nicht durch den Schwe­re­grad höher, son­dern durch die unge­bremste Ver­brei­tung in vul­ner­ablen unge­impf­ten Bevölkerungsgruppen.“

Das Spike-Pro­tein ist aus­schlag­ge­bend für die Wir­kung der neu­tra­li­sie­ren­den Anti­kör­per wie auch spe­zi­fi­scher Immun­zel­len. Daher könn­ten Poly­mor­phis­men im Pro­tein auch eine Aus­wir­kung auf die Impf­ant­wort haben. „Es kann sein, dass es zu einer gering­fü­gig schwä­che­ren Wir­kung der Imp­fung kom­men kann“, bestä­tigt Nowotny. Und wei­ter: „Zumin­dest die bri­ti­sche Virus­va­ri­ante wird von den der­zeit ver­füg­ba­ren Impf­stof­fen sehr gut neu­tra­li­siert. Gegen­über der süd­afri­ka­ni­schen und der süd­ame­ri­ka­ni­schen Virus­va­ri­ante sind jedoch Ein­schrän­kun­gen in der Wirk­sam­keit mög­lich.“ Nicht abzu­schät­zen sei der­zeit, mit wel­cher Peri­odi­zi­tät Impf­stoffe an die Muta­tio­nen ange­passt wer­den müs­sen. „Bevor keine aus­rei­chen­den kli­ni­schen Daten hin­sicht­lich der Wirk­sam­keit der vor­han­de­nen Impf­stoffe vor­lie­gen, soll­ten wir uns nicht in der Impf­stra­te­gie beir­ren las­sen“, so Wie­der­mann-Schmidt. Und wei­ter: „Vor allem bei der bri­ti­schen Vari­ante wir­ken die zuge­las­se­nen Impf­stoffe sehr gut und konn­ten auch bei der zwei­ten Mutante eine Immun­ant­wort aufbauen.“ 

Auch bei Muta­tio­nen in den bekann­ten Vari­an­ten wie der kürz­lich ent­deck­ten E484K Muta­tion im Spike-Pro­tein, die einen Ein­fluss auf die Immun­re­ak­tion des Men­schen und somit auf die Impf­stoff­wirk­sam­keit zu haben scheint, gebe es der­zeit kei­nen Grund, an der Impf­ant­wort zu zwei­feln. „Par­al­lel zu den vor­han­de­nen Impf­stof­fen wer­den schon Impf­stoffe mit einer brei­te­ren Wirk­sam­keit ent­wi­ckelt. Wich­tig ist, dass kli­ni­sche Daten den Impf­schutz auf­zei­gen, um her­aus­zu­fin­den, wie stark Muta­tio­nen ihn umge­hen kön­nen“, sagt Wie­der­mann-Schmidt. Das Design aller Impf­stoffe erlaube rasche Modi­fi­ka­tio­nen, wenn sie „not­wen­dig werden“.

Die der­zeit ver­füg­ba­ren Impf­stoffe sind nicht für unter 16- bezie­hungs­weise unter 18-Jäh­rige zuge­las­sen. Aller­dings hat die Euro­päi­sche Arz­nei­mit­tel­agen­tur päd­ia­tri­sche Ent­wick­lungs­pläne von drei Her­stel­lern für die Erpro­bung ihrer Impf­stoffe bei Kin­dern von 0 bis 18 Jah­ren geneh­migt. Ergeb­nisse wer­den erst für Ende 2024 erwar­tet. Ist eine Her­den­im­mu­ni­tät auch ohne Kin­der mög­lich? Immer­hin geht man hier von einer Durch­imp­fungs­rate der Bevöl­ke­rung von 70 Pro­zent aus. Eine Zahl, die Wie­der­mann-Schmidt rela­ti­viert: „Ab wann eine Her­den­im­mu­ni­tät vor­liegt, hängt von den Daten ab.“ Aber den­noch: „Dafür ist nicht unbe­dingt not­wen­dig, dass Kin­der geimpft sind, son­dern dass wir die Trans­mis­sion ver­hin­dern. Und Kin­der zäh­len nicht zu den Haupt­sprea­dern.“ Erste Impf­stoff­da­ten vom Ein­satz bei Kin­dern zeig­ten dem­nach eine Ver­rin­ge­rung der Virus­last und eine ver­rin­gerte Ansteckungsrate. 

Mehr Angriffs­flä­che für Mutationen

Die ein­zige Mög­lich­keit, den wei­te­ren Pan­de­mie­ver­lauf güns­tig zu beein­flus­sen, ist, der mög­lichst flä­chen­de­ckende Ein­satz der Imp­fung und zwar „unab­hän­gig vom jewei­li­gen Impf­stoff“, wie Wie­der­mann-Schmidt betont. Die aktu­elle Dis­kus­sion über die Impf­stoff­qua­li­tät oder Impf­stoff­klasse bezeich­net sie als „abso­lut kontraproduktiv“. 

Die Vak­zi­no­lo­gin sieht den All­ge­mein­me­di­zi­ner hier in einer Schlüs­sel­rolle, Pati­en­ten von den Vor­tei­len der Imp­fung zu über­zeu­gen. „Wenige Geimpfte bedeu­ten weni­ger Schutz und mehr Angriffs­flä­chen für die Muta­tio­nen. Wenn sich Pati­en­ten vor Impf­re­ak­tio­nen fürch­ten, kann man ihnen bei­spiels­weise Par­acet­amol zur Abschwä­chung ver­schrei­ben.“ Mög­lich sei außer­dem, nach der Grund­im­mu­ni­sie­rung mit einem ande­ren Impf­stoff zu boos­tern. „Alle Impf­stoffe sind aus­tausch­bar und kön­nen unbe­denk­lich ein­ge­setzt wer­den. Es sind keine schwer­wie­gen­den uner­wünsch­ten Wir­kun­gen bekannt.“ Die Ein­stel­lung zur Corona-Imp­fung sollte, so Wie­der­mann-Schmidt, ähn­lich jener zu Rei­se­imp­fun­gen sein: „Man lässt sich imp­fen, weil man in ein bestimm­tes Land rei­sen will. Und jetzt lässt man sich imp­fen, wenn man nicht an COVID-19 erkran­ken will.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 4 /​25.02.2021