COVID-19: Die Marker-Rolle der Kinder

25.02.2021 | Coronavirus, Medizin


Die Zahl der asymptomatisch Infizierten liegt bei bis zu 50 Prozent und Kinder unter zehn Jahren sind ebenso häufig mit SARS-CoV-2 infiziert wie über Zehnjährige und Erwachsene, wie epidemiologische Studien zeigen. Kinder haben insgesamt eine Marker-Rolle im Pandemiegeschehen.
Manuela C. Warscher

Bisherige Studien und Untersuchungen konnten das Wissen über das Virus, sein Mutationsverhalten und die Transmission erweitern, dennoch ist einiges immer noch ungeklärt. „Die Grundeigenschaften des Virus sind wesentlich klarer, doch ist noch nicht abschätzbar, ob COVID-19 einen saisonalen Verlauf nehmen wird“, erklärt Univ. Prof. Eva Schernhammer, Leiterin der Abteilung für Epidemiologie der Medizinischen Universität Wien.

Epidemiologisch mehr Klarheit

Die wesentlichsten Erkenntnisse betreffen die Reproduktionszahl, Krankheitsverlauf und Risikofaktoren. So konnten in Studien hohes Alter und kardiometabolische oder pulmonale Vorerkrankungen für einen ungünstigen Verlauf von COVID-19 bestätigt werden. Neuesten Studien zufolge haben Personen über 65 Jahren ein vierprozentiges Risiko, jene über 75 Jahren ein zwölfprozentiges Risiko und jene über 85 Jahren ein 22-prozentiges Risiko für einen tödlichen Verlauf. „Im Vergleich dazu ist die Mortalität bei Influenza wesentlich niedriger“, erklärt die Epidemiologin. Ebenso scheint es einen Zusammenhang zwischen Blutgruppen, männlichem Geschlecht, sozialem Umfeld, Minderheitengruppen und einem schweren COVID-19-Verlauf zu geben. „Bei Männern und bei Minderheiten verzeichnen wir höhere Infektions- und Mortalitätsraten“, bestätigt Schernhammer.

Viel konkreter kann nun auch die effektive Reproduktionszahl R angegeben werden. „Gingen wir zu Beginn noch von einer Reproduktionszahl zwischen 1,5 und drei aus, so wissen wir heute, dass sie eher bei 2,2 liegt.“ Ebenso kann die Dunkelziffer zuverlässiger eingegrenzt werden. „Die Zahl der asymptomatisch Infizierten hat sich relativiert und neueste Antikörperstudien gehen von 40 bis 50 Prozent aus“, sagt Schernhammer.

Breitflächigerer Einsatz von Tests

Das SARS-CoV-2-Virus oder die Proteinhülle lassen sich mit unterschiedlichem Probenmaterial nachweisen. Ein kombinierter Nasopharynx-Oropharynx-Abstrich liefert dafür das zuverlässigste Material: sowohl um die Ausbreitung als auch um die Dunkelziffer zu ermitteln. Auch für die Impfstoffzulassung sind sie zur Überprüfung des Impferfolgs essentiell. „Tatsächlich hat sich in Bezug auf die Einstellung zu den Tests viel verändert. Dank Massentests wie dem Nasopharynx-Abstrich ist der Einsatz nun wesentlich breitflächiger möglich“, sagt Schernhammer. Vor allem die geplanten zwei Schultests pro Woche sind für die Expertin ein „Schritt nach vorne“, weil Kinder „eine Marker-Rolle“ im Pandemiegeschehen einnehmen.

Kinder ebenso häufig infiziert

Verhältnismäßig lange ist man davon ausgegangen, dass Kinder unter zehn Jahren kaum infiziert sind. Eine jüngst veröffentlichte Studie, die im Auftrag des Bildungsministeriums erstellt wurde, zeigt nun, dass jüngere Kinder ebenso häufig infiziert sind wie ältere. Erhoben wurde die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus unter Schülern und Lehrern an 243 Volks- und Mittelschulen sowie AHS-Unterstufen mittels Mund-Rachenspülungen mit einmütigem Gurgeln. Die Proben wurden mittels RT-qPCR auf Vorliegen einer SARS-CoV-2 Infektion geprüft; ein positiver Befund basierte auf positiven Ergebnissen mehrerer unabhängiger PCR-Tests. Studienleiter Univ. Prof. Michael Wagner vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltwissenschaften der Universität Wien dazu: „Die wichtigste Erkenntnis aus der Studie ist, dass Kinder unter zehn Jahren statistisch gesehen nicht weniger häufig als Kinder bis 14 Jahren mit SARS-CoV-2 und dass Kinder nicht seltener als Lehrer infiziert sind.“

Hohe Prävalenz in Brennpunkt-Schulen

Des Weiteren zeigte die Studie eine Prävalenz von 0,39 Prozent im September/Oktober und 1,42 Prozent im November 2020 an aktiven SARS-CoV-2 Infektionen und war höher in Schulen mit hoher sozialer Benachteiligung. „Die Untersuchung ergab zwei eindeutige Zusammenhänge, nämlich lokale Inzidenz und Brennpunktschulen. Oder anders gesagt: Die Zahl der Infektionen im lokalen Umfeld der Schule spiegeln das Infektionsgeschehen in der Schule wieder und umgekehrt“, sagt Wagner. Diese Erkenntnis liefere konkrete Ansatzpunkte für weitere Maßnahmen. Über die Gründe, warum die Prävalenz in sogenannten Brennpunktschulen vergleichsweise hoch ausfällt, kann Wagner nur mutmaßen: „Ob die Botschaften bei bestimmten Gruppen nicht durchkommen und wie weit sich prekäre Wohn- und Arbeitsverhältnisse hier auswirken, können wir quantitativ nicht abschätzen“, erklärt Wagner.

Kinder als Virus-Reservoir

Einige der derzeit zugelassenen Corona-Impfstoffe werden seit einigen Monaten auch für die pädiatrische Patientengruppe getestet. „Solange Kinder unter 16 Jahren nicht geimpft werden, bleiben sie ein Reservoir für das Virus und neue Varianten“, gibt Wagner zu bedenken. „Umso wichtiger wird es sein, dieses Kollektiv regelmäßig mittel PCR und Sequenzierung zu testen, auch um neue Varianten rasch zu erkennen und handeln zu können.“ Schulärzte und Allgemeinmediziner sollten zudem auch weiterhin Nasopharynx-Abstriche empfehlen, auch wenn „das häufige Antigen-Testen dazu führen kann, dass das Virus lernt, sich gegenüber diesen Tests zu tarnen. Laufende Sequenzierungen müssen künftig daher zum Standard-Repertoire gehören“, erklärt Wagner. Wann mit ersten Ergebnissen der Impfstoff-Tests an Kindern gerechnet werden kann, ist derzeit noch nicht absehbar.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2021