Cluster-Kopfschmerz: Streng einseitig

25.03.2021 | Medizin


Vom Cluster-Kopfschmerz sind mehr Männer als Frauen betroffen, wobei die Attacken vor allem in der Nacht gegen Ende der REM-Phase auftreten. Typisch für den episodischen Cluster-Kopfschmerz: Die Betroffenen sind dann für Monate, manchmal sogar für Jahre attackenfrei.

Sophie Fessl

Etwa einer von 1.000 Menschen leidet an Cluster-Kopfschmerzen, einer Kopfschmerzform, die unbehandelt sehr starke Schmerzen verursacht. „Die Schmerzstärke des Cluster-Kopfschmerzes gehört vermutlich zu den schlimmsten Schmerzen, die wir uns vorstellen können“, berichtet Assoc. Prof. Gregor Brössner von der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Während Patienten mit chronischem Cluster-Kopfschmerz zum Teil schwer zu behandeln sind, gibt es für die weitaus größere Gruppe der Patienten mit episodischem Cluster-Kopfschmerz bereits wirksame Behandlungsstrategien. 

Der Cluster-Kopfschmerz ist charakterisiert durch sein Auftreten in den namensgebenden Clustern. Die meisten Patienten mit Cluster-Kopfschmerz leiden für im Schnitt vier bis zwölf Wochen unter den Kopfschmerz-Attacken. In dieser Clusterperiode treten Attacken jeden oder jeden zweiten Tag auf mit bis zu acht Attacken pro Tag. „Typisch für den episodischen Cluster-Kopfschmerz ist, dass die Patienten dann für Monate, manchmal sogar Jahre, attackenfrei sind. Wann die nächste Clusterperiode kommt, ist nicht vorhersagbar“, ergänzt Assoc. Prof. Karin Zebenholzer von der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Wien. Selten können Cluster-Kopfschmerzen in einer chronischen Form auftreten. Hier leiden die Patienten ganzjährlich unter Attacken mit lediglich einer attackenfreien Zeit von maximal drei Monaten. 

Abgrenzung von Migräne

Patienten mit Cluster-Kopfschmerzen zeigen streng einseitige Schmerzen. Durch diese Einseitigkeit lässt sich der Cluster-Kopfschmerz von einer Migräne abgrenzen: Während eine Migräne zwar meist einseitig auftritt, die Schmerzseite aber zwischen den Attacken wechseln kann, tritt in der mehrwöchigen Clusterperiode der Cluster-Kopfschmerz stets auf derselben Seite auf. Unbehandelt dauert diese einseitige Kopfschmerz-Attacke zwischen 15 und 180 Minuten, was ein weiteres Unterscheidungkriterium zur Migräne darstellt. 

„Zusätzlich tritt zumindest ein autonomes Begleitsymptom oder eine motorische Bewegungsunruhe auf“, berichtet Zebenholzer. Während einer Schmerzattacke tritt auf derselben Seite wie der Kopfschmerz auch ein trigemino-autonomes Begleitsymptom auf wie einseitige Augenrötung, Tränenfluss, Schwitzen, Nasenfluss oder Nasenkongestion. Auch die Begleitsymptome des Cluster-Kopfschmerzes unterscheiden sich von denen, die während einer Migräne auftreten. Migräne-Patienten zeigen meist keine autonomen Symptome, sondern berichten von Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit. Migräne-Patienten suchen daher während einer Attacke die Ruhe und Dunkelheit, Patienten mit Cluster-Kopfschmerz sind während der Attacke dagegen meist unruhig. „Patienten in einer Cluster-Attacke sind getrieben und unruhig, sie laufen herum oder wippen in einem Stuhl auf und ab, ein Verhalten, das als Pacing oder Rocking beschrieben wird“, erläutert Brössner.

Die Pathophysiologie des Cluster-Kopfschmerzes ist noch nicht völlig geklärt. „Letztlich ist es wie bei der Migräne auf funktionaler Ebene eine Funktionsstörung im Bereich der Schmerzregulationszentren. Sowohl der Hypothalamus als auch die kortikale Schmerzverarbeitung nehmen eine wichtige Rolle ein“, erklärt Zebenholzer. Und weiter: „Es gibt auch Hinweise, dass das trigeminovaskuläre System eine relevante Rolle in der Entstehung spielt.“ Risikofaktoren sind nicht bekannt. Allerdings tritt der Cluster-Kopfschmerz – im Unterschied zu anderen Kopfschmerzformen – bei Männern häufiger auf als bei Frauen. Auch Zahn- oder Kieferprobleme stehen nicht im Zusammenhang mit dem Auftreten des Cluster-Kopfschmerzes, betont Zebenholzer, die häufig Patienten sieht, deren gesunde Zähne gezogen wurden. „Schlechte Zähne gehören saniert. Allerdings ändert das nichts am Cluster-Kopfschmerz. Das Ziehen von gesunden Zähnen ist unbedingt zu unterlassen. Es hat keine Auswirkung auf den Cluster-Kopfschmerz.“

Die Diagnose des Cluster-Kopfschmerzes stützt sich auf die Anamnese und das klinische Bild gemäß den Diagnosekriterien des Cluster-Kopfschmerzes der International Classification of Headache Disorders. Zwischen den Attacken ist der neurologische Status unauffällig. Eine Reihe von Fragen nach der Natur des Kopfschmerzes sowie zu den Begleiterscheinungen könnten dabei helfen, den Kopfschmerz richtig zu klassifizieren, betont Brössner (siehe Kasten). Zebenholzer empfiehlt bei der Erstdiagnose eine bildgebende Abklärung, um sekundäre Cluster-Kopfschmerzen auszuschließen. „Sekundäre Cluster-Kopfschmerzen aufgrund von pathologischen Veränderungen sind selten, müssen aber durch bildgebende Verfahren ausgeschlossen werden. Bei den meisten Patienten handelt es sich um einen primären Cluster-Kopfschmerz ohne erkennbare Ursache in der Bildgebung.“ 


Fragen zur Eingrenzung

  • Wie lange dauert der Kopfschmerz unbehandelt?
  • Wo ist die Lokalisation der Schmerzen: einseitig oder beidseitig?
  • Wie viele Attacken haben Sie pro Tag?
  • Haben Sie die Attacken über mehrere Wochen gehäuft und sind Sie dann für Wochen bis Monate beschwerdefrei?
  • Haben Sie während der Schmerzen auf der gleichen Seite eine verkleinerte Lidspalte, hängt das Oberlid oder tränt das Auge? Ist es gerötet? Ist die Nase verstopft oder rinnt?

Lebensstilmodifikationen haben nach derzeitigem Wissensstand kaum Einfluss auf den Cluster-Kopfschmerz. „Bei Migräne helfen Schlaf, Ruhe und regelmäßiges Essen. Beim Cluster-Kopfschmerz wissen wir aber, dass dieser Lebensstil keinen durchschlagenden Erfolg hat“, berichtet Zebenholzer. Es wird zwar geraten, auf die Schlafhygiene zu achten, doch treten die Cluster-Kopfschmerz-Attacken vor allem in der Nacht gegen Ende der REM-Schlafphase auf. „Die Patienten leiden unter einem deutlich gestörten Nachtschlaf. Der Rat, schlafen zu gehen, wird daher durch den Cluster-Kopfschmerz selbst konterkariert.“ 

Bei der Therapie des Cluster-Kopfschmerzes ist es das Ziel, einerseits die Attacken selbst zu behandeln, andererseits die Dauer der Clusterperiode zu verkürzen. Herkömmliche Schmerzmittel sind bei Cluster-Kopfschmerzen nicht wirksam; orale Triptane wirken zu langsam, um eine Attacke zu verkürzen. Als Akutmedikation während einer Attacke ist die subkutane Injektion von 6mg Sumatriptan mittels Pen die Therapie erster Wahl, erklärt Zebenholzer. „Nach 15 bis 20 Minuten sind die Patienten schmerzfrei. Allerdings können wir diese Therapie nicht bei Patienten mit vaskulären oder zerebrovaskulären Vorerkrankungen einsetzen.“ Alternativ ist auch die nasale Anwendung von Zolmitriptan möglich. Bei trigeminoautonomen Begleiterscheinungen, die die Nase betreffen, kann dies für die Betroffenen allerdings unangenehm werden. 

Gleichwertig ist die inhalative Anwendung von Sauerstoff zur Attackentherapie. Hierbei werden zwölf Liter Sauerstoff/Minute über eine Maske inhaliert, die die Rückatmung verhindert. Dies kann die Attacke effektiv abbrechen. Um ein rasches Wiederauftreten zu verhindern, sollte die Inhalation auch bei Schmerzende insgesamt 15 bis 20 Minuten lang durchgeführt werden. 

Mit der Kurzzeitprophylaxe versucht man, die Dauer der Clusterperiode zu verkürzen und die Anzahl der Attacken während der Clusterperiode zu reduzieren. Eine kurzfristige Cortison-Therapie führt bei vielen Patienten dazu, dass deutlich weniger Attacken auftreten und die Clusterperiode selbst verkürzt wird. Sollte die Cortison-Therapie nicht ausreichen, kann nach dem Ausschluss von kardialen Risikofaktoren zusätzlich der Calciumkanalblocker Verapamil gegeben werden. Verapamil kann sowohl als Kurzzeitprophylaxe bei episodischem und als Langzeitprophylaxe bei chronischem Cluster-Kopfschmerz angewendet werden. Bei Patienten mit chronischem Cluster-Kopfschmerz kann zusätzlich oder anstelle von Verapamil auch Lithium, Topiramat sowie Valproinsäure eingesetzt werden. „Bei Patienten mit episodischem Cluster-Kopfschmerz kann man aber durch die dauerhafte Gabe einer Prophylaxe nicht verhindern, dass eine nächste Cluster periode auftritt“, warnt Zebenholzer. 

Eine chronische Form kann sich aus einer episodischen Form heraus entwickeln. Allerdings können sich Cluster-Kopfschmerzen auch von Beginn an chronisch manifestieren – ohne Remission. „Einer von sechs Patienten mit episodischem Cluster-Kopfschmerz entwickelt eine chronische Form“, berichtet Brössner. „Während für die meisten Patienten mit episodischem Cluster-Kopfschmerz, die rechtzeitig diagnostiziert und leitliniengerecht behandelt werden, die Prognose sehr gut ist, ist die Behandlung des chronischen Cluster-Kopfschmerzes eher problematisch.“ 

Hoffnungen wurden in Studien mit monoklonalen Antikörpern gegen CGRP zur Behandlung von episodischem und chronischem Cluster-Kopfschmerz gesetzt. Allerdings waren die Daten besonders bei der chronischen Form negativ. „Galcanezumab ist von der FDA zur Behandlung von Cluster-Kopfschmerzen zugelassen mit einer einmal monatlichen subkutanen Gabe von 300mg. Allerdings ist Galcanezumab in der Indikation Cluster-Kopfschmerz in Europa nicht zugelassen“, erklärt Brössner. Eine nicht-invasive Vagusnerv-Stimulation kann als Behandlung der chronischen Form versucht werden. Trotz zum Teil positiver Daten ist diese Stimulationsmethode allerdings eine Einzelfallentscheidung. In Ausnahmefällen kann auch eine tiefe Gehirnstimulation angedacht werden, erklärt Brössner. „Diese Methode wird nur in spezialisierten Zentren angeboten und ist nur einzelnen Ausnahmefällen vorbehalten.“

Die Erstdiagnose sollte unbedingt von einem Neurologen gestellt werden, betont Zebenholzer, da Triptane für die Attackenbehandlung von Neurologen erstverschrieben werden müssen. „Damit Patienten lege artis eine Akuttherapie erhalten können, sollte beim Verdacht auf Cluster-Kopfschmerzen weiterverwiesen werden.“ Bei der Behandlung und Weiterverschreibung ist die gute Zusammenarbeit zwischen Facharzt und Allgemeinmediziner wichtig für die Cluster-Kopfschmerz-Patienten, führt Brössner aus. „Allein durch die hohe Anzahl an Patienten können wir Neurologen die Cluster-Kopfschmerz-Patienten nicht alleine behandeln. Die Patienten benötigen rasch ihre Medikamente. Daher ist die Weiterverordnung durch den Allgemeinmediziner extrem wichtig für die korrekte und rasche Behandlung.“

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2021