Berufskrankheiten: Vielfältige Einflussfaktoren

25.05.2021 | Arbeitsmedizin, Medizin

Insgesamt 53 anerkannte Berufskrankheiten gibt es in Österreich. Eine Erweiterung dieser Liste ist nach Ansicht von Experten wünschenswert – sind doch beispielsweise in Deutschland 80 Berufskrankheiten anerkannt. Besonders betroffen sind Beschäftigte in bestimmten Industriebereichen und im Friseurhandwerk.
Laura Scherber

Zu den bisher typischen Risiken kommen heute neue hinzu wie vor allem die Digitalisierung, die zunehmende Automatisierung von Arbeitsprozessen, die Aufhebung fester Büro-Arbeitsplätze oder die Arbeitsverdichtung“, sagt Univ. Prof. Richard  Crevenna von der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin in Wien. Auch die gänzlich unerwartete Corona-Pandemie sei „als zusätzliche Belastung für die Kostenträger“ hier nicht zu vergessen, so Crevenna.

Nicht jede Erkrankung, die durch eine berufliche Tätigkeit verursacht oder mitverursacht wird, ist auch eine Berufskrankheit. Als Berufskrankheit werden nur jene Erkrankungen anerkannt, die in der sogenannten Berufskrankheiten-Liste in der Anlage 1 zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) angeführt sind. In gewissen Einzelfällen kann darüber hinaus „die sogenannte Generalklausel greifen, wenn eine Krankheit zum Beispiel durch die berufsbedingte Einwirkung schädigender Stoffe oder Strahlen entstanden ist“, führt Crevenna aus. In Österreich sind derzeit 53 Erkrankungen als Berufskrankheiten anerkannt. „Neue Gefahren in der Arbeitswelt, aber auch neue Erkenntnisse über Auswirkungen von Schadstoffen oder Belastungen führen dazu, dass die Liste der Berufskrankheiten ergänzt werden kann“, erklärt Crevenna. Für die Überarbeitung und Aufnahme von neuen Berufskrankheiten ist das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zuständig. Grundsätzlich ist jeder Verdacht auf eine Berufskrankheit zu melden (§ 363 Abs. 1 und 2 ASVG), von den behandelnden Ärzten oder auch vom Arbeitgeber oder den Betroffenen selbst. Die entsprechenden Formulare stellt die AUVA zur Verfügung. Die Beurteilung, ob eine Berufskrankheit letztendlich vorliegt, obliegt dem Unfallversicherungsträger (AUVA). Bei Verdacht auf eine Berufskrankheit durch Infektion mit dem Corona-Virus etwa sind jedenfalls Fälle zu melden, in denen ein positiver Labortest auf COVID-19 (SARS-CoV-2) vorliegt und der Verdacht auf einen beruflichen Zusammenhang gegeben ist, wie bei Ärzten, Pflegern und Therapeuten.

Meldung von onkologischen Erkrankungen

Auch wenn der Verdacht besteht, dass eine onkologische Erkrankung durch den derzeitigen oder früheren Beruf verursacht worden ist, müssen behandelnde Ärzte dies dem Unfallversicherungsträger melden. Bei den in Zusammenhang mit Krebserkrankungen anerkannten Berufskrankheiten steht das durch Asbest verursachte Pleuramesotheliom an erster Stelle, gefolgt von den durch Staub von Hartholz ausgelösten Adenokarzinomen der Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen. „Die anderen Arbeitsstoffe, die als Berufskrankheit anerkannte Krebserkrankungen zur Folge haben können, liegen an den Fallzahlen gemessen hinter Asbest und Holzstaub“, berichtet Crevenna. An dritter Stelle folgen schließlich mit großem Abstand Krebs oder andere Neubildungen sowie Schleimhautveränderungen der Harnwege durch aromatische Amine, die früher vor allem in Farbstoffen für Textilien, Leder, Holz und Kosmetika enthalten waren.


Berufskrankheiten: Anerkennung und Auslöser

Mit der Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit profitieren die betroffenen Arbeitnehmer von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wie medizinische Heilbehandlungen, Rehabilitationsmaßnahmen, Übergangsgeld für den Fall einer Umschulung, Versehrtenrenten oder dem Wegfall von Selbstbehalten.

Typische Patientengruppen sind unter anderem Bau- und Metallarbeiter, Friseure, Maler und Lackierer oder Bäcker, denen im Berufsleben entsprechende Belastungen durch die regelmäßige Arbeitstätigkeit widerfahren.

Ausgelöst werden Berufskrankheiten zum Beispiel durch:

  • gesundheitsgefährdende Arbeitsstoffe wie Blei, Toluol, Trichlorethan, Arsen, Benzol, Phosphor, Quecksilber;
  • physikalische Einwirkungen wie Lärm, ständiger Druck, Erschütterungen, Strahlung;
  • Infektionserreger wie Hepatitis A, B oder C, Salmonellen, Tuberkulose;
  • Stäube, welche die Atemwege oder Lunge belasten wie Quarzstaub, Asbest und Hartmetallstaub;
  • Hautkrankheiten wie akutes oder chronisches Hautekzem – zum Beispiel bei Friseuren oder bei Beschäftigten im Reinigungsgewerbe
  • allergische Atemwegserkrankungen wie Asthma bronchiale zum Beispiel durch Mehlstaub oder Isocyanate.

Die häufigsten Berufskrankheiten

Im Jahr 2019 wurden laut AUVA 1.196 Berufskrankheiten von Erwerbstätigen anerkannt.

Die häufigsten Berufskrankheiten:

  • Lärmschwerhörigkeit: 697
  • Hauterkrankungen: 109
  • Bösartige Neubildungen der Lunge: 103
  • Erkrankung der Atemwege und der Lunge durch chemisch irritativ wirkende Stoffe: 87

Exposition kann Jahre zurückliegen

„Jeder Arzt sollte sich mit der Berufskrankheiten-Liste ein bisschen vertraut gemacht haben und zum Beispiel auch bei bösartigen Erkrankungen der Lunge, Nasennebenhöhlen oder des blutbildenden Systems daran denken, nach einer entsprechenden langwierigen Exposition zu fragen“, betont Univ. Prof. Birger Kränke von der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie in Graz. Schließlich können viele Jahre zwischen der eigentlichen Exposition und dem Auftreten beziehungsweise der Diagnose der Erkrankung liegen. In der Dermatologie gehe es allerdings primär um das aktuelle Krankheitsgeschehen und betreffe vor allem Beschäftigte im Friseurgewerbe, in der Metall- oder Holzindustrie sowie Personen mit Feuchtarbeitsplätzen zum Beispiel in Reinigungsfirmen. „Die typischen Erscheinungsbilder, die wir dermato-allergologisch sehen, sind größtenteils verschiedene Varianten von Ekzemen: Austrocknungsekzeme, allergische oder irritative Kontaktekzeme oder Verschlechterungen einer Neurodermitis“, fasst Kränke zusammen. Auslöser sind Tätigkeiten, die mit einer über das übliche Maß hinausgehenden Belastung der Haut verbunden sind, wenn zum Beispiel bestimmte Chemikalien ohne adäquaten Hautschutz verwendet werden.

Klassische Beispiele finden sich in der Metallindustrie, wenn Mitarbeiter an CNC-Maschinen keine Handschuhe tragen dürfen, sowie am Friseurarbeitsplatz, wenn Färbemaßnahmen, die Applikation von Dauerwellenflüssigkeit oder einfache Waschtätigkeiten nicht mit entsprechenden Handschuhen durchgeführt werden. Im Baugewerbe sind neben Maurern, Zimmerern, Dachdeckern besonders Bodenleger betroffen, da sich der häufige Kontakt mit bestimmten Kunststoffkomponenten und Harzen, vor allem Epoxid-Harz oder Acrylat-Klebstoffen, negativ auswirken kann. Wiederholte Schädigungen der Haut können so zu allergischen Reaktionen führen. „Neun von zehn Patienten kommen selbst schon mit der Vorahnung, dass die berufliche Tätigkeit möglicherweise einen Schaden auslöst, besonders Beschäftigte im Friseur-, Nagelstudio- und Kosmetikbereich, aber auch in der Metall-verarbeitenden Industrie“, berichtet Kränke aus der Praxis. Manchmal finden aber auch gewisse Verdrängungsprozesse statt, zum Beispiel in der Bauindustrie. So ahnen es manche Patienten zwar, suchen aber nach anderen Erklärungen, wenn der Beruf die Existenz oder die soziale Stellung sichert und sie ihn nicht aufgeben möchten.

Erweiterung der Berufskrankheiten-Liste

Die Erweiterung der Liste der anerkannten Berufskrankheiten ist laut Kränke durchaus wünschenswert. Den 53 in Österreich anerkannten Berufskrankheiten stehen mittlerweile 80 in Deutschland gegenüber. „Seit 2015 gibt es dort eine sehr wichtige Berufskrankheit, die uns Hautärzte betreffen würde: die BK 51.03. Sie besagt, dass Plattenepithelkarzinome oder multiple aktinische Keratosen durch natürliche UV-Strahlung im Rahmen der Berufsausübung auftreten“, erklärt Kränke. Man könne davon ausgehen, dass sich ungefähr zehn Prozent aller Meldungen, die mittlerweile in Deutschland eingehen, mit dieser Fragestellung beschäftigen. „In Österreich haben wir das leider nicht, wobei es Erhebungen und Schätzungen der AUVA gibt, dass wir circa 400.000 Arbeitsplätze haben, auf die möglicherweise so eine Berufskrankheit zutreffen könnte und für die das relevant sein könnte“, so der Experte weiter. Dies betreffe insbesondere Personen, die im Freien arbeiten wie Beschäftigte in der Bauindustrie, Fahrradboten und Fahrrad-Lieferdienste, Gärtner, Bademeister und vor allem Personen im Gastgewerbe auf den Berghütten, wo es zu einer viel intensiveren UV-Strahlung auf den Körper komme. „Dass die berufliche UV-Exposition mit der Entwicklung einer Berufskrankheit assoziiert sein kann, ist mittlerweile State of the Art und man weiß, dass pro Jahr in Westeuropa etwa 100 Personen an einem weißen Hautkrebs auf 100.000 Einwohner gerechnet erkranken. Ein großer Teil davon wahrscheinlich beruflich bedingt“, fügt Kränke abschließend hinzu.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2021