Asthma bei Kindern: Erhöhtes Risiko durch Gen-Umwelt-Interaktion

10.09.2021 | Medizin

Asthma bronchiale ist die zweithäufigste chronische Erkrankung im Kindesalter; ein großer Teil davon ist allergisch bedingt. Die Interaktion von Umwelt mit einer genetischen Vorbelastung erhöht das Risiko für die Entstehung von Asthma ebenso wie Stress. Entscheidend bei der Behandlung ist, die Asthmatherapie mit dem Kind zu üben.
Sophie Fessl

In der International Study of Asthma and Allergies in Childhood, die in den vergangenen 20 Jahren weltweit die Häufigkeit des kindlichen Asthmas erhob, konnte gezeigt werden, dass bei rund fünf bis sechs Prozent der Kinder weltweit die Diagnose Asthma gestellt wird. Während die Prävalenz von kindlichem Asthma in den USA, Australien und Großbritannien bei 25 Prozent liegt, liegt sie in Nicht-Industrienationen bei ein bis zwei Prozent und in Mitteleuropa bei fünf bis zehn Prozent. „Zurzeit ist Asthma bronchiale damit sogar die zweithäufigste chronische Erkrankung im Kindesalter“, weiß Univ. Prof. Josef Riedler von der Kinder- und Jugendmedizin am Kardinal Schwarzenberg Klinikum in Schwarzach.

Ein großer Anteil der Asthma-Erkrankungen im Kindesalter ist allergisch bedingt, betont Univ. Prof. Zsolt Szépfalusi von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am AKH Wien. „Anders als im Erwachsenenalter haben 60 bis 70 Prozent der betroffenen Kinder ein allergisches Asthma bronchiale. Daher liegt in der Pädiatrie der Fokus auf dem Herausarbeiten der allergologischen Ursachen der Atemwegsverengung, um entsprechend auf der Ebene der Allergie entgegenwirken zu können.“

Es existieren verschiedene Hypothesen dazu, weshalb manche Kinder Asthma bronchiale entwickeln. Eine davon – sie ist Teil der Hygiene-Hypothese – erforscht Riedler in Österreich im Rahmen von EU-Projekten. „Wir konnten nachweisen, dass Kinder, die auf biodiversen Bauernhöfen im alpin-ländlichen Stil mit Nutztieren aufwachsen, weniger Asthma und weniger Allergien entwickeln.“ Frühkindliche Immunstimulantien in der Umgebung sowie die nicht-pasteurisierte Milch prägen das Immunsystem und beeinflussen es in eine anti-allergische, anti-asthmatische Richtung. „Dieser Zusammenhang wurde weltweit bestätigt und trifft für viele Gebiete zu.“

Allerdings, so Szépfalusi, müsse der Kontakt mit dieser speziellen Umgebung in den letzten Schwangerschaftsmonaten und den ersten Lebensmonaten erfolgen. Ein späterer, auch regelmäßiger Besuch von Bauernhöfen zeige keinen Einfluss auf die Entwicklung des kindlichen Asthmas. Welche Faktoren das Risiko für die Entwicklung von Asthma beeinflussen und somit auch für die Vermeidung von Asthma und Allergien eingesetzt werden könnten, ist bisher nicht bekannt.

Immer mehrere Ursachen

Ein weiterer Umwelteinfluss wird in Städten beobachtet. „Rußpartikel, Stickstoffverbindungen und Feinstaub sind in Städten mit großer Schadstoffbelastung sicherlich auch ein Teil der Ursache“, führt Riedler weiter aus. „Diese zwei wesentlichen Faktoren tragen auch dazu bei, dass kindliches Asthma weltweit so unterschiedliche Häufigkeiten hat. Es gibt nicht nur eine Ursache, sondern mehrere, je nach geographischem Gebiet.“

Eine weitere wichtige Rolle spielt die Genetik, denn die Neigung zur Asthma-Entwicklung wird polygenetisch vererbt: Ein Kind, dessen Eltern beide an Asthma leiden, entwickelt mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 bis 60 Prozent ebenfalls Asthma. „Die Gen-Umwelt Interaktion ist die Ursache für das deutlich erhöhte Risiko“, betont Riedler. „Kinder, die genetisch vorbelastet sind, entwickeln in einer umweltbelasteten Gegend mit höherer Wahrscheinlichkeit Asthma als Kinder, die genetisch keine Suszeptibilität haben.“ Ein weiterer Faktor in dieser Gen-Umwelt Interaktion sei psychischer Stress der Kinder sowie in der Schwangerschaft. Kinder von Müttern, die eine psychisch schwer belastende Schwangerschaft erlebten, hätten ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Asthma und Allergien.

Die starke allergische Komponente des kindlichen Asthmas hat auch Konsequenzen auf den Therapieansatz, erläutert Szépfalusi. „Einerseits versuchen wir, Asthma mit unterschiedlichen Medikamenten unter Kontrolle zu bekommen. Andererseits möchten wir die Ursache behandeln. Wenn eine Allergie ein Triggerfaktor des Asthmas ist, haben wir einen Zugang, um kausal zu behandeln.“

Diagnose bei Kindern nicht trivial

Bemerkbar macht sich Asthma bei Kindern durch Atemnot und ein pfeifendes Geräusch beim Ausatmen. Kinder können die Atemnot auch als „enges Gefühl“ im Brustkorb spüren. Hört man außerdem ein keuchendes Atemgeräusch, sollte das Kind zum Facharzt oder an einer Fachambulanz überwiesen werden. Gedeihstörungen weisen nicht mehr auf Asthma hin, da die Atemwegsverengung meist rechtzeitig erkannt wird. „Chronifiziertes, unerkanntes und unbehandeltes Asthma kann dazu führen, dass sich ein Kind schlecht entwickelt“, betont Szépfalusi. „Allerdings darf es so etwas in unserer Zeit nicht mehr geben. Es kommt so gut wie nie vor, dass Gedeihstörungen aufgrund von Asthma entstehen.“

Die Diagnose des Asthma bronchiale erfordert den Nachweis der reversiblen Atemwegsobstruktion. Besonders bei sehr kleinen Kindern vor dem Schulalter ist es nicht einfach, zwischen Asthma und Infekt-getriggerter Atemwegsobstruktion zu unterscheiden. „Kinder unter drei Jahren, die mit pfeifender Atmung vorstellig werden, können an einer dauerhaften reversiblen Atemwegsobstruktion mit den Triggern Belastung oder Allergenen leiden – also tatsächlich Asthma haben. Oder es handelt sich um eine viral bedingte Atemwegsverengung, die kein dauerhafter Zustand ist“, erklärt Szépfalusi. „Daher sind wir vor dem Schulalter zurückhaltend bei der Verwendung des Begriffs Asthma bronchiale.“ Allerdings können bestimmte Faktoren wie enge Verwandte mit Erkrankungen aus dem allergischen Formenkreis den Verdacht auf das Vorliegen eines Asthma bronchiale verhärten.

Eine Kombination von Spirometrie, Bronchospasmolyse und Messung des ausgeatmeten Stickstoffmonoxid (NO) in der Ausatemluft wird für die Diagnose herangezogen. „In der Regel verlangt die Diagnosestellung, die reversible Atemwegsobstruktion nachzuweisen“, erläutert Szépfalusi. „Der Nachweis der Obstruktion gefolgt von der Lösung dieser Verengung durch eine Behandlung bedarf einer Lungenfunktionsprüfung.“ Bei Kindern unter fünf Jahren ist dieser Nachweis oft technisch nicht möglich, da die Lungenfunktionsprüfung die aktive Mitarbeit der Kinder erfordert. Bei jungen Kindern kommt daher der Beobachtung der Eltern und des Arztes bezüglich einer Verbesserung der Symptomatik nach einem Behandlungsversuch eine besondere Rolle zu.

Bei Kindern ab drei bis fünf Jahren steht die Lungenfunktionsprüfung als Methode zu Verfügung, wodurch die Beobachtungen objektiviert und messbar werden. Besonders für diese Altersgruppe gibt es Testmöglichkeiten, welche die Kinder etwa durch Animationen zur Mitarbeit motivieren. „Trotzdem ist eine Lungenfunktionsprüfung bei Kindern deutlich aufwändiger als bei Erwachsenen. Es braucht Geschick und Erfahrung“, berichtet Riedler aus der Praxis. Auch körperliche Belastung wie etwa Fahrradfahren oder Laufen kann bei der Lungenfunktionsprüfung als Stimulus für eine mögliche Bronchienverengung, die nur bei Asthmatikern auftritt, eingesetzt werden.

Da Asthma bei Kindern häufig allergisch bedingt ist und Stickstoffmonoxid durch Entzündung gebildet wird, kann die entzündliche Reaktion der Atemwege über das exhalierte NO in der Atemluft gemessen werden. „FeNO ist Ausdruck der allergischen Entzündung der Atemwege und damit ein guter zusätzlicher Parameter für die Diagnose allergisches Asthma“, erklärt Riedler.

Die wichtigsten Differentialdiagnosen unterscheiden sich je nach Alter. Bei Kindern im ersten Lebensjahr ist keuchende Atmung laut Riedler selten auf Asthma zurückzuführen, sondern auf eine mangelnde Ausreifung der Atemwege beziehungsweise eine strukturelle Veränderung der Atemwege. Angeborene Immunveränderungen, Lungenentzündung sowie cystische Fibrose sollten ebenfalls differentialdiagnostisch berücksichtigt werden.

Im Kindergartenalter sind Infekte ein häufiger Trigger einer Atemwegsverengung, erläutert Szépfalusi. Diese Trigger ändern sich altersbedingt. „Die obstruktive Bronchitis beschreibt die Neigung des Körpers, auf bestimmte Reize mit Atemwegsverengung zu reagieren. Die Triggerfaktoren verändern sich. Bei Kindern sind es anfangs Infekte sowie Reizgase durch Nikotinexposition. Später kommen körperliche Belastung sowie inhalative Allergene dazu.“ Ein Allergietest ist notwendig, da 60 bis 70 Prozent der Kinder mit Asthma auch an einer allergischen Rhinitis leiden. Bei rund 30 bis 40 Prozent der Kinder lässt sich kein allergische Sensibilisierung nachweisen. Dafür führt körperliche Belastung zur Atemwegsobstruktion. Diese Belastungskomponente ist anamnestisch gut erfassbar – etwa als obstruktive Episode bei Sport. Kinder mit Asthma sollen Sport nicht meiden, im Gegenteil: Das Behandlungsziel bei Atemwegsverengung im Kindesalter ist laut Szépfalusi immer, das Kind so fit zu machen, dass es an alterstypischen Aktivitäten teilnehmen kann.

Die Therapie des Asthma bronchiale basiert auch bei Kindern auf den Pfeilern der Entzündungshemmer, bei denen Cortison und Cortison-ähnliche Produkte im Vordergrund stehen, und der Reliever, welche akut die Muskelkontraktion enthemmen und so die Atemwege erweitern. Da die meisten Kinder mit Asthma eine allergische Entzündung der Atemwege aufweisen, sei bei Kindern mit mehr Problemen ein Entzündungshemmer in Form von inhalativen Cortison unbedingt notwendig, betont Riedler. Zusätzlich zur längerfristigen Behandlung mit Cortison ist die Gabe des Bronchodilatators bei einem akuten Anfall indiziert.

Damit treffen die neuen GINA-Guidelines, laut denen Asthmatiker nicht nur eine Bronchienerweiterung, sondern eine Kombination mit Cortison erhalten sollen, nicht unbedingt auf Kinder zu, erläutert Riedler. „Bei Kindern muss es nicht immer eine duale inhalative Therapie mit einem Kombinationspräparat sein. In der Pädiatrie war man schon in den letzten Jahrzehnten strenger bei der Behandlung der Entzündung und es war klar, dass bei häufigeren Atemwegsobstruktionen ein Cortison gegeben und nicht rein mit einem Bronchiendilatatorer behandelt wird.“ So gäbe es keine Evidenz, dass eine Behandlung mit einem Kombinationspräparat bei Kindern nützlicher ist als die Langzeitbehandlung mit einem Entzündungshemmer in Kombination mit einem Bronchiendilatator bei Bedarf.

Bei Kleinkindern unter fünf Jahren, die nur gelegentlich bei Virusinfekten ein pfeifendes Ausatemgeräusch zeigen, genüge die Behandlung mit einem Bronchiendilatator für maximal einige Tage, so Riedler. In diesem Fall ist – anders als bei Jugendlichen und Erwachsenen – keine Behandlung mit inhalativem Cortison notwendig.

Da inhalatives Cortison bei Kindern in sehr geringer Dosis verabreicht wird, sollte es nicht aus falscher Vorsicht vermieden werden, warnt Szépfalusi. Denn rund 85 Prozent der Kinder und Jugendlichen kommen mit einer Dosis von nur 100 bis 200 Mikrogramm Cortison-Äquivalent aus. „Wird das Kind wegen eines akuten Asthmaanfalls in der Notfallambulanz behandelt, erhält es als akute Notfallmedikation systemisches Cortison im Bereich von 100 Milligramm. Damit könnte das Kind dauerhaft drei Jahre lang inhalativ behandelt werden. Wir kommen bei Kindern also mit extrem kleinen Mengen aus.“

Wichtig sind vor allem die Wahl des adäquaten Inhalationsgeräts und die umfassende Schulung. Da kleine Kinder keinen ausreichenden inspiratorischen Sog erzeugen können, sind Trockenpulver-Inhalationssysteme wenig geeignet. Auch für größere Kinder kann es während eines Asthmaanfalls schwierig sein, einen ausreichenden Atemzug zu erreichen. Für sie empfiehlt Riedler Dosieraerosole mit Vorschaltkammern, da die Kinder hiermit bei der Einnahme ruhig atmen und keinen erhöhten inspiratorischen Fluss erzeugen müssen. „Der größte Fehler ist die falsche Inhalation, gute Schulungen sind essentiel“, betont Riedler. Im Rahmen der Schulung, die altersgemäß auch die Betreuungspersonen miteinbezieht, sollte ein Notfallplan erstellt werden, damit auch bei einem akuten Asthmaanfall die Inhalation korrekt durchgeführt wird.

Biologika personalisiert einsetzen

Nur wenn die optimierte Therapie nicht ausreicht, also wenn Allergene vermieden, eine Immuntherapie gegen Allergen durchgeführt wurde, die richtige Inhalationstechnik angewendet und das Kind mit inhalativem Cortison und langwirksamen Beta-Mimetika behandelt wird, und trotzdem weiter Probleme bestehen, sollten Biologika eingesetzt werden. Rund zwei bis vier Prozent der Kinder mit Asthma leiden laut Riedler an einer so schweren Form von Asthma, dass trotz optimierter Therapie die Gabe von Biologika notwendig wird. Diese müssen personalisiert eingesetzt werden und zeigen eine gute Wirkung bei Kindern mit schwerem Asthma.

In der Pubertät kommt es tendentiell nicht zur Remission des Asthma bronchiale. „Bei Knaben sehen wir eine sehr geringe Remissionsneigung. Bei Mädchen sehen wir diese Tendenz nicht“, erläutert Szépfalusi. „Die Jugendlichen lernen, mit ihrer Erkrankung zu leben. Diesen Prozess gilt es zu unterstützen.“ Riedler wiederum ergänzt, dass die Behandlung des Asthma bronchiale bei Kindern und Jugendlichen aufwändig sei. „Asthmatherapie ist nicht, ein Medikament zu verschreiben und dem Kind zu sagen: es muss inhalieren. Die Asthmatherapie muss geübt und altersgerecht richtig gelebt werden.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 /10.9.2021