Antidementiva: Neuerung zugelassen

17.08.2021 | Medizin

Mit Aducanumab hat die US-amerikanische Food and Drug  Administration erstmals eine neue Substanz für die Behandlung von M. Alzheimer zugelassen. In Österreich leiden derzeit rund 100.000 Menschen an Demenz; der Großteil davon an M. Alzheimer. Doch schon bis jetzt kommen Antidementiva nicht in dem Ausmaß zum Einsatz, wie es notwendig wäre.
Sylvia Metenczuk

Erstmals seit 2003 hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) mit Aducanumab ein neues Medikament für die Behandlung von M. Alzheimer zugelassen – trotz negativer Beurteilung des unabhängigen FDA-Beraterboards. Bei Aduhelm® – so die Produktbezeichnung – handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der für die Therapie der frühen Alzheimer-Krankheit entwickelt wurde. Aducanumab wird einmal monatlich als Infusion verabreicht und soll die aus Beta-Amyloid bestehenden senilen Plaques im Gehirn abbauen. Auch bei der European Medicines Agency (EMA) wurde 2019 die Zulassung von Aducanumab beantragt; eine Entscheidung steht noch aus.

„Ein wesentlicher Impuls für die Forschungs-Community“, kommentiert Univ. Prof. Reinhold Schmidt von der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Graz diese Entscheidung. „Aducanumab ermöglicht zum ersten Mal eine disease-modifying therapy“, so der Wissenschafter. Getestet und beantragt wurde der Wirkstoff vom US-amerikanischen Pharmakonzern Biogen, der Aducanumab seit 2016 in zwei Phase-III-Studien mit den Bezeichnungen „Emerge“ und „Engage“ mit insgesamt 3.200 Probanden untersuchte. Nach einer widersprüchlichen Zwischenanalyse wurde die Studie 2019 gestoppt. Eine neuerliche Auswertung der Daten zeigte in einer der beiden Studien („Emerge“) positive klinische Ergebnisse. Schmidt dazu: „Beide Studien zeigten eine signifikante Dosis- und Zeitabhängige Reduktion des ‚Amyloid-Loads‘“. Im Juli 2020 wurde der Antrag auf Zulassung bei der FDA eingebracht; Anfang Juni dieses Jahres fiel die Entscheidung, die Substanz im Accelerated Approval, einem beschleunigten Verfahren, zuzulassen. „Wir sind zum Schluss gekommen, dass der Nutzen von Aducanumab größer ist als die Risiken“, so die FDA. Der Wirkstoff werde weiter genau beobachtet werden, der Hersteller müsse weitere Studien vornehmen. Sollte die Substanz nicht so wirken wie vorgesehen, so die FDA weiter, könne man auch Schritte unternehmen, um sie wieder vom Markt zu holen.

Bei den Nebenwirkungen gilt es vor allem auf die Amyloidrelated Imaging Abnormalities (ARIA) zu achten, wie Schmidt betont: „Mit 41 Prozent traten sie bei den mit der Hochdosis behandelten Patienten auf.“ Das habe zur Folge, dass bei der Behandlung ein engmaschiges Monitoring mit einer regelmäßigen MRT-Kontrolle notwendig wird. Schmidt weiter: „Bezüglich der Patientenselektion ist festzuhalten, dass in den Studien nur Patienten in Frühstadien der Alzheimer-Demenz und solche mit leichter Alzheimer-Demenz eingeschlossen wurden. Gleichzeitig wurde vor der Therapieeinleitung bei allen Patienten ein positiver Biomarker-Nachweis für einen erhöhten ‚Amyloid-Load‘ durchgeführt.“

Acetylcholinesterase-Hemmer gut verträglich

Seit mehr als 20 Jahren kommen bei der symptomatischen Behandlung von M. Alzheimer Acetylcholinesterase-Hemmer zum Einsatz: Donepezil (u.a. Aricept®), Rivastigmin (u. a. Exelon®) und Galantamin (u. a. Reminyl®). Sie können das klinische Fortschreiten lediglich verlangsamen und die mit der Krankheit verbundenen Störungen wie Gedächtnisstörungen verzögern. Alle drei Acetylcholinesterase-Hemmer werden „in der medikamentösen Alzheimer-Therapie seit Jahren erfolgreich eingesetzt“, unterstreicht Univ. Prof. Peter Dal-Bianco, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Wien. „Sowohl Donepezil als auch Rivastigmin und Galantamin sind top geprüft und überwiegend gut verträglich.“ Mittlerweile sind auch alle Medikamente als Generika erhältlich

Bei den einzelnen Wirkstoffen sieht er geringfügige Unterschiede in der Handhabbarkeit. So wird Donepezil in der Regel einmal täglich abends eingenommen, Galantamin dagegen zweimal täglich. „Beim Rivastigmin ist die einmal tägliche Verabreichung durch ein transdermales Pflaster Usus“, so Dal-Bianco weiter. Das hat insbesondere bei Rivastigmin, das längere Zeit häufig zu Übelkeit führte, zu einer besseren Verträglichkeit geführt.

„Aktuell sind 126 Substanzen bei 38.000 Alzheimer-Patienten in der klinischen Prüfung“, berichtet Schmidt. „Die zugelassenen Acetylcholinesterase-Hemmer und Memantin sind wirksam. Der Effekt ist moderat“, so der Experte. Memantin verhindert schädliche Auswirkungen von Glutamat auf das Gehirn. „Für Acetylcholinesterase-Hemmer besteht in Hinblick auf Verbesserung oder Stabilisierung des globalen klinischen Eindrucks ein um 15 Prozent besseres Ergebnis bei behandelten gegenüber Placebo-Gruppen. Aus Metaanalysen geht hervor, dass man etwa sieben Patienten behandeln muss, damit ein Patient zusätzlich zur Placeborate stabil bleibt oder sich kognitiv verbessert,“ erklärt Schmidt.

Univ. Prof. Josef Marksteiner von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Landeskrankenhaus Hall bedauert, dass Medikamente gegen M. Alzheimer „nicht in dem Ausmaß verschrieben werden, wie dies der Fall sein sollte“. Auch bei den Betroffenen sieht er Verbesserungsbedarf: Diese nehmen die Medikamente zu kurz ein – sei es, dass sie zu früh abgesetzt werden oder dass die Patienten die Therapie frühzeitig abbrechen. Den Grund sieht Marksteiner darin, dass sich die Wirksamkeit der Antidementiva nur in kleinen Verbesserungen zeige. „Für die behandelten Patienten selbst bedeutet aber jede auch noch so kleine Verzögerung der Symptome eine entscheidende Verbesserung ihrer Lebensqualität“, wie er betont. Jeder Patient, der mit der Alzheimer-Krankheit lebt, soll das verschriebene Antidementivum mindestens sechs Monate hindurch erhalten, so Marksteiner. In der Praxis werde es aber häufig als erstes von der Verschreibungsliste gestrichen.

Eine der Hauptherausforderungen sehen die Experten in der Früherkennung: Bis zu 25 Jahre vor der eigentlichen Diagnose zeigen sich erste diskrete Anzeichen der chronisch-progredienten Erkrankung. Ausgehend von der genetisch bedingten Form des M. Alzheimer (etwa ein Prozent der Erkrankten) könnten Angehörige von Risikogruppen dank Biomarkern frühzeitig gescreent werden – eine laut Marksteiner „positive Entwicklung“ in der Diagnostik. Dal Bianco ortet, dass M. Alzheimer nach wie vor unterdiagnostiziert ist. Eine mögliche Strategie dagegen ist der vermehrte Einsatz von Diagnosetools wie beispielsweise MMSE (Mini Mental State Examination), die durchaus auch von niedergelassenen Allgemeinmedizinern durchgeführt werden kann. „Kognitiv beeinträchtigte Personen mit einem MMSE-Wert unter 27/30 Punkten sollten dann vom Hausarzt zum Facharzt für die weitere Abklärung überwiesen werden“, so Dal-Bianco.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2021