Standpunkt Vizepräsident Harald Mayer: Aufwachen, bitte!

10.06.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Mayer__c_Gregor_Zeitler_NEU_22Der Altersschnitt der Ärztinnen und Ärzte in Österreich steigt. Die Quote der Medizinabsolventen, die nach dem Studium ins Ausland gehen, bleibt auf konstant zu hohem Niveau. Der Fortschritt der Medizin erhöht die Lebenserwartung, wodurch die Patientenzahlen steigen. Vor sieben Jahren wurde die Arbeitszeit für Spitalsärzte EU-konform auf maximal 48 Stunden durchschnittlich pro Woche reduziert. Das sind immer noch acht Stunden mehr als üblich. Beschlossen wurde damals eine Übergangsfrist bis 30. Juni dieses Jahres, in der Spitalsärzte freiwillig entscheiden können, dennoch länger zu arbeiten.

Dass die längst überfällige Stundenreduktion den Bedarf nach mehr Köpfen erhöht, ist angesichts dieser Fakten offensichtlich. Jahrelang hatte man Zeit, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Geschehen ist nichts Weltbewegendes. Die meisten Träger haben die Situation verschlafen. Sie haben zu wenig neue Dienstposten geschaffen, sie sind den Bundesländern zu wenig auf die Füße gestiegen, sie haben nicht vorausschauend reagiert. Nun greift die Politik auf ein unkreatives Mittel zurück: Die Übergangsfristen für das Opt-out werden verlängert. Argumentiert wird mit dem Personalmangel und der Pandemie. Die Situation in den Spitälern zu verbessern, indem manche Ärztinnen und Ärzte länger arbeiten, ist aber keine nachhaltige Lösung. Es ist eine Illusion und Realitätsverweigerung zu glauben, mit Arbeitszeiterhöhungen die Probleme aus der Welt schaffen zu können. Erstens sind Arbeitsverdichtung und überlastete Spitäler keine Folge der Pandemie, die Situation gab es bereits davor. Zweitens: Längere Arbeitszeiten dienen nicht dem Schutz der Patienten und der Ärztinnen und Ärzte. Ganz im Gegenteil, sie gefährden die Patientensicherheit. Und sie schrecken den Nachwuchs ab, der anfällig für attraktive Angebote aus dem Ausland ist. Drittens: Die junge Generation – sofern sie sich entscheidet, in Österreich zu bleiben – interessiert sich nicht dafür, durchschnittlich 55 Stunden pro Woche zu arbeiten. Es werden also so oder so wenige Ärztinnen und Ärzte sein, die noch ein paar Jahre freiwillig länger arbeiten.

Damit wird der Personalmangel nicht gelöst. Wer gewillt ist, nachhaltige Konzepte zu erarbeiten, findet in uns Ärztevertretern starke und verlässliche Partner. Das Gesundheitssystem muss zukunftsfit und für die junge Ärztinnen und Ärzte attraktiv gestaltet sein.

Dr. Harald Mayer
3. Vize-Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2021