Standpunkt Johannes Steinhart: Gegen die Wand

11.10.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

SteinhartWer mit Vollgas auf eine Wand zufährt, dem wird es nicht helfen, leicht das Bremspedal anzutippen oder mit den Beifahrern einen Arbeitskreis zur Evaluierung möglicher Bremsoptionen zu gründen. In dieser Situation muss gehandelt werden – und zwar sofort und effektiv. In dieser Situation befindet sich aktuell das heimische Gesundheitssystem. Der Ärztemangel ist heute schon deutlich spürbar – im Kassenbereich werden die Versorgungslücken immer größer und auch im Spitalsbereich droht in einzelnen Fachrichtungen die Pensionierungswelle große und nachhaltige Schäden zu verursachen. Das weiß die Ärztekammer schon lange und wir haben auch regelmäßig und lautstark davor gewarnt. Eine aktuelle Studie des Simulationsforschers Nikolas Popper und seines Teams hat nun aber das Ausmaß des Problems und die Auswirkungen in ungewohnter Eindringlichkeit vor Augen geführt (siehe dazu den Bericht auf S. 8). Wenn jetzt nicht rasch und auf mehreren Ebenen gehandelt wird, wird sich die Situation bis 2030 in erheblichem Ausmaß zuspitzen. Vor allem im niedergelassenen Bereich drohen weitere acht Prozent der Ärzte zu verschwinden – bei gleichzeitig steigender Bevölkerungszahl. Dabei darf nicht vergessen werden, dass viele der Gegenmaßnahmen erhebliche Vorlaufzeiten haben, die nicht zu ändern sind, etwa in der Ausbildung.
Leidtragende neben den Ärzten werden wieder einmal die Patienten sein. Immer öfter ist festzustellen, dass aus Unwissenheit, ökonomischem Druck oder wegen politischer Lobbyarbeit Entscheidungen getroffen werden, die die medizinische Versorgung und die Patientensicherheit gefährden. Jüngstes Beispiel sind etwa die wieder aufgeflammten Überlegungen zur Wirkstoffverschreibung. Jeder Arzt weiß, wie verunsichernd es auf Patienten wirkt, wenn sie jedes Mal unterschiedliche Tabletten mit unterschiedlichen Darreichungsformen erhalten und viele Ärzte wissen aus eigener Hand, was schon jetzt alles schiefgehen kann, wenn die Apotheke ohne Rücksprache die verschriebenen Medikamente ändert, weil sich im Lager gerade diese oder jene Arznei stapelt. Dennoch droht die Patientensicherheit zugunsten der Apothekerinteressen geopfert zu werden.
Es steht außer Frage, dass wir hier unsere Stimme für die Patientensicherheit erheben werden. Auch in diesem Fall gilt: Bremsen rettet Leben.

Dr. Johannes Steinhart
Vize-Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2021