Spitalsärzte in der Corona-Pandemie: „Wie ein Bittsteller“

25.05.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

In den Spitälern wurden zwischenzeitlich viele Operationen verschoben. Die Chirurgin Brigitte Steininger, Kurienobfrau der angestellten Ärzte der Ärztekammer Burgenland, schildert ihre Erfahrungen im Umgang mit Nicht-COVID-Patienten und spricht über Kollateralschäden.
Sophie Niedenzu

Wie haben Sie als Chirurgin die vergangenen vierzehn Monate erlebt? Wir haben Patienten operiert, die nicht intensivpflichtig waren  – mit Ausnahme von Akutfällen. Onkologische Patienten haben wir operiert. Die Anästhesie und ärztliche Direktion haben mitentschieden, wie akut ein Fall war, was in meinen Augen nicht ideal ist, denn diese Entscheidung sollte der behandelnde Chirurg treffen. Für manche Akutpatienten mussten wir, weil wir zu wenig Intensivbetten hatten, Spitäler suchen, die die Patienten übernehmen konnten. Da wir sehr gerne unsere Patienten versorgen, ist es umso frustrierender, wenn wir nicht operieren können. Postoperative Überwachungen haben wir selbst übernommen, weil kein Intensivmediziner da war. Die Zeit war ja da, weil wir weniger operiert haben. Wir haben geschaut, dass wir die Kollegen auf der Intensivmedizin unterstützen, wo wir können, wir haben Abstriche gemacht und Patienten in COVID- und Nicht-COVID-Fälle unterteilt. Wir wurden teilweise in Zwangsurlaub geschickt, es gab ja eine Gesetzesänderung, wonach man Mitarbeiter für 14 Tage einseitig auf Urlaub schicken kann. Die Stimmung zwischen COVID-Stationen und Nicht-COVID-Stationen war teilweise sehr angespannt. Nun, da wir wieder in den Regelbetrieb kommen, ist die Erleichterung schon groß.

Stichwort Kollateralschäden: Wie war hier die Situation? Wir mussten teilweise symptomatische Brüche vertrösten, Patienten mit akuten Gefäßverschlüssen, die in einem schlechten Allgemeinzustand waren, mussten versorgt werden und wir mussten manche mit dem Hubschrauber durch halb Ostösterreich fliegen. Man kommt sich in so einer Situation vor wie ein Bittsteller, weil es nicht selbstverständlich ist, dass man eine Zusage für ein Intensivbett erhält. Hochspezialisierte Operationen werden ja sinnvollerweise nur in manchen Abteilungen österreichweit angeboten, um die Kräfte zu bündeln. In Coronazeiten wurde schon sehr selektiv ausgewählt, wer was übernimmt. Es wurde beispielsweise das Alter des Patienten berücksichtigt oder der Allgemeinzustand. Dass Patienten da auf der Strecke bleiben, ist klar. Letztendlich hatten wir eine schlechtere Versorgung der Nicht-Corona-Patienten in ganz Österreich. Die Kollateralschäden treffen vor allem Patienten, die von Anfang an gesundheitlich und sozial schlechter dastehen. Menschen aus sozial ärmeren Schichten gehen tendenziell weniger zum Arzt und wenn sie in die Akutversorgung kommen, ist ihr Allgemeinzustand meist sehr schlecht.

Ist es einholbar, was nun alles verschoben wurde? Wenn die Patienten einmal weg sind, weil sie etwa in einem privaten Spital einen OP-Termin erhalten haben, dann kommen sie nicht mehr zurück. Daher bricht ein Teil der Patienten für uns weg. Die Wartelisten sind dennoch lang, aber ich bin zuversichtlich, dass wir bis zum Sommer aufgeholt haben. Wenn postoperativ ein Intensivbett notwendig ist, scheitert es in derartigen Zeiten letztlich am Personal, an der Pflege und den Ärzten. Wir können froh sein, dass wir so viele Intensivbetten haben. Wenn wir so wenige Betten hätten, wie im internationalen Durchschnitt gefordert wurde, wäre die Situation noch schlechter gewesen.

Was hätte man im Krisenmanagement anders machen können? Man hätte schauen können, dass man baulich, personell und organisatorisch aufrüstet. Wir haben bei uns nur eine Station mit sechs Betten. Wenn da Corona-Patienten liegen, können wir die Betten nicht mehr für Nicht-COVID-Patienten nutzen. Andere Spitäler haben das baulich getrennt, sodass Teile der Intensivstation auch anders genutzt werden konnten. Mehr Weitblick wäre gut gewesen, die Koordination war nicht immer die glücklichste. Auch die Work-Life-Balance ist wichtig, sonst brennen noch die Mitarbeiter aus. Diese Pandemie hat Ärzte und Pflege massiv gezeichnet. Auch in der Organisation sind viele Fehler passiert. An sich sollte man nicht in diese Situation kommen, dass man Patienten woanders hinschicken muss. Kurzfristig hieß es, man dürfe eine Operation doch nicht machen, dann hieß es, Chirurgen sollen am nächsten Tag daheimbleiben. Das war schon ein Chaos.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2021