Lehr­pra­xis-Umfrage: Unmit­tel­bar am Geschehen

25.03.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK


Gro­ßer Lern­ge­winn, mög­lichst selbst­stän­dige Pati­en­ten­be­treu­ung, hohe Zufrie­den­heit: Eine aktu­elle Umfrage der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer ver­gibt Best­no­ten für die Lehr­pra­xis, zeigt aber auch noch ein paar Lücken in der all­ge­mein­me­di­zi­ni­schen Aus­bil­dung auf.
Sophie Nie­denzu, Sascha Bunda

Sehr gut. Diese Schul­note bekam die Lehr­pra­xis von 70 Pro­zent der ehe­ma­li­gen oder akti­ven Lehr­prak­ti­kan­ten, die an einer aktu­el­len Umfrage der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer teil­ge­nom­men haben. „Diese erste öster­reich­weite Befra­gung hat die hohe Zufrie­den­heit, die wir grund­sätz­lich zur Lehr­pra­xis wahr­neh­men, bestä­tigt“, sagt Tur­nus­ärz­te­ver­tre­ter Daniel von Lan­gen. Seit 2015 ist die Zahl der Lehr­pra­xen von 30 auf um die 500 gestie­gen. Denn seit­dem müs­sen Ärzte in all­ge­mein­me­di­zi­ni­scher Aus­bil­dung im Rah­men der neuen Ärz­te­aus­bil­dungs­ord­nung 2015 (ÄAO 2015) nach dem Spi­tals­tur­nus sechs Monate ver­pflich­tend in einer von der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer bewil­lig­ten Lehr­pra­xis oder Lehr­grup­pen­pra­xis für All­ge­mein­me­di­zin arbei­ten. „Die Arzt­aus­bil­dung ist eine wich­tige Auf­gabe, sowohl in den Spi­tä­lern als auch in den Ordi­na­tio­nen“, sagt von Lan­gen. Durch die Lehr­pra­xis sei der Über­gang von der Theo­rie in die Pra­xis viel flie­ßen­der geworden. 

Die Kri­te­rien für Lehr­pra­xis­in­ha­ber sind streng: Es darf jeweils nur ein Arzt aus­ge­bil­det wer­den, zudem sind die Aus­stat­tung der Ordi­na­tion, die Pati­en­ten­fre­quenz, die Berufs­er­fah­rung, die Kennt­nisse der Grund­la­gen der Gesund­heits­öko­no­mie und die Vor­lage eines schrift­li­chen Aus­bil­dungs­kon­zep­tes wich­tige Aspekte für die Bewil­li­gung einer Lehr­pra­xis. Die Auf­nahme der ver­pflich­ten­den Lehr­pra­xis in das Gesetz sei ein wich­ti­ger Mei­len­stein gewe­sen, um die Aus­bil­dung qua­li­ta­tiv zu ver­bes­sern, betont Gerald Gin­gold, Vor­sit­zen­der der Aus­bil­dungs­kom­mis­sion der ÖÄK. Ebenso wich­tig seien die Ver­ein­ba­run­gen zur För­de­rung der Lehrpraxis. 

Gut vor­be­rei­tet

Wäh­rend der Anteil der teil­neh­men­den Lehr­prak­ti­kan­ten aus länd­li­chen und städ­ti­schen Gebie­ten aus­ge­gli­chen war, haben vor­wie­gend Lehr­pra­xis­in­ha­ber mit Ein­zel­pra­xen in länd­li­chen Gebie­ten an der Umfrage teil­ge­nom­men. In etwas mehr als 50 Pro­zent die­ser Lehr­pra­xen war zum Zeit­punkt der Befra­gung ein Lehr­prak­ti­kant tätig. Die befrag­ten All­ge­mein­me­di­zi­ner wol­len mit ihrem Ange­bot vor allem die junge Gene­ra­tion moti­vie­ren und ihre Erfah­run­gen wei­ter­ge­ben sowie sich fach­lich aus­tau­schen. „Diese Motive zei­gen, dass die Kol­le­gen, wie es auch zu erwar­ten war, ganz genau wis­sen, wor­auf es in den Zei­ten des Ärz­te­man­gels ankommt“, zeigt sich Edgar Wut­scher, Lei­ter der Bun­des­sek­tion All­ge­mein­me­di­zin der ÖÄK, erfreut. Denn gerade die All­ge­mein­me­di­zin leide unter einem Nach­wuchs­pro­blem. Doch die Haus­ärzte seien zwei­fel­los das Rück­grat der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung: „All­ge­mein­me­di­zi­ner als erste Ansprech­part­ner, Bera­ter und Beglei­ter durch das hei­mi­sche Gesund­heits­we­sen spie­len eine Schlüs­sel­rolle in der Ent­las­tung des intra­mu­ra­len Bereichs“, sagt Wut­scher. Die Lehr­pra­xis ermög­li­che es, früh so nah am Fach wie mög­lich zu sein und Erfah­run­gen aus ers­ter Hand zu sam­meln. „Wir wis­sen, dass die Kol­le­gen mit einem gewis­sen Zeit­lauf auch im Sys­tem ankom­men“, sagt Wut­scher. Viele wür­den rasch nach ihrer Aus­bil­dung schon als Dienst- und Ver­tre­tungs­ärzte arbeiten. 

Das Ergeb­nis der Umfrage spricht für sich: Der Lern­ge­winn wird sowohl von den Inha­bern, als auch von den Prak­ti­kan­ten als sehr groß ein­ge­schätzt. Das umfasst nahezu alle abge­frag­ten Berei­che, wie das all­ge­mein­me­di­zi­ni­sche Wis­sen, die Dia­gnos­tik, prä­ven­tive Tätig­kei­ten, psy­cho­so­ziale Kom­po­nen­ten oder auch die Behand­lung von Pati­en­ten mit chro­ni­schen Erkran­kun­gen – allein das Thema Not­fall­ma­nage­ment kommt, beson­ders aus Sicht der Ärzte in Aus­bil­dung, etwas zu kurz. „Dass der Lern­ge­winn in fast allen Berei­chen der All­ge­mein­me­di­zin und des Ras­ter­zeug­nis­ses so her­vor­ra­gend bewer­tet wird, zeigt, dass die Lehr­pra­xis eine Aus­bil­dungs­form dar­stellt, die sich sehr bewährt hat“, sagt Gingold. 

Über 80 Pro­zent der Ärzte geben an, dass die Ärzte in all­ge­mein­me­di­zi­ni­scher Aus­bil­dung in der Lehr­pra­xis regel­mä­ßig selbst­stän­dig die Pati­en­ten betreuen, bei den befrag­ten Lehr­prak­ti­kan­ten sind es nahezu 97 Pro­zent. Auch die Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen wer­den zum Groß­teil von den Lehr­prak­ti­kan­ten selbst­stän­dig durch­ge­führt. Ins­ge­samt sind die Lehr­pra­xis­in­ha­ber sehr zufrie­den mit den abge­frag­ten Aspek­ten der Lehr­pra­xis, zu denen etwa die Zusam­men­ar­beit, die Ein­glie­de­rung und die Reak­tion der Pati­en­ten zäh­len. Sehr zufrie­den zeig­ten sich die befrag­ten Ärzte in all­ge­mein­me­di­zi­ni­scher Aus­bil­dung mit den Mög­lich­kei­ten des eigen­stän­di­gen Arbei­tens, der Arbeits­be­las­tung, dem Arbeits­klima und dem Umfang der admi­nis­tra­ti­ven Auf­ga­ben. Ins­ge­samt füh­len sich 85 Pro­zent für die eigen­ver­ant­wort­li­che Tätig­keit als All­ge­mein­me­di­zi­ner vorbereitet. 

Wirt­schaft­li­ches Denken 

Es gibt aber aus Sicht der teil­neh­men­den Lehr­pra­xis­in­ha­ber aller­dings noch Lücken in der all­ge­mein­me­di­zi­ni­schen Aus­bil­dung, hier beson­ders bei den prak­ti­schen, aber auch bei den betriebs­wirt­schaft­li­chen Grund­la­gen. Letz­te­res sei grund­sätz­lich wich­tig für jeden Arzt, und nicht nur für Ärzte mit Ordi­na­tio­nen, sagt von Lan­gen. Denn auch in den Spi­tä­lern, gerade in lei­ten­den Posi­tio­nen, sei ein wirt­schaft­li­ches Basis­wis­sen nicht ver­kehrt: „Begriffe wie Wirt­schaft­lich­keit, Kos­ten­ef­fi­zi­enz und Ratio­na­li­sie­rung sind auch schon längst in den Spi­tä­lern ange­kom­men, außer­dem geht es auch darum, das Gegen­über zu ver­ste­hen, bes­sere Ver­hand­lungs­mög­lich­kei­ten zu haben und das Gesche­hen aus einer ande­ren Per­spek­tive zu sehen“, sagt er. Eine wirt­schaft­li­che Bil­dung sei der Schlüs­sel dazu, die Kom­pe­tenz über den wirt­schaft­li­chen Teil einer­seits als Betrei­ber einer Pra­xis zu erhal­ten und ande­rer­seits beim Spi­tal zurückzugewinnen. 

Neben den betriebs­wirt­schaft­li­chen Kennt­nis­sen sehen laut der aktu­el­len Umfrage einige All­ge­mein­me­di­zi­ner Ver­bes­se­rungs­be­darf bei den aus­zu­bil­den­den Ärz­ten in Bezug auf das Erken­nen von Zusam­men­hän­gen, beim struk­tu­rier­ten Vor­ge­hen und beim öko­no­mi­schen, ver­ant­wor­tungs­vol­len Arbei­ten, aber auch beim Wis­sen um die Struk­tur des öster­rei­chi­schen Sozi­al­sys­tems und bei der Kas­sen­öko­no­mie. „Die Umfrage bestä­tigt, dass ange­hende Ärzte bereits im Stu­dium einen Ein­blick über das öster­rei­chi­sche Gesund­heits­sys­tem erhal­ten soll­ten“, sagt von Lan­gen. Der­zeit ver­su­che man, diese Wis­sens­lü­cke außer­halb der Uni­ver­si­tä­ten zu fül­len: Seit ein paar Mona­ten bie­tet die Bun­des­ku­rie der ange­stell­ten Ärzte in Zusam­men­ar­beit mit der ÖH pro Semes­ter einen Vor­trag für Medi­zin­stu­die­rende zum öster­rei­chi­schen Gesund­heits­sys­tem an: „In Deutsch­land ist die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem eige­nen Gesund­heits­sys­tem eine Pflicht­vor­le­sung und Teil des Examens“, sagt von Langen. 

För­de­rung essentiell 

Was das Finan­zi­elle angeht, kön­nen Lehr­prak­ti­kan­ten für die Dauer der Lehr­pra­xis ent­we­der im Spi­tal ange­stellt blei­ben oder sie sind direkt in der Lehr­pra­xis ange­stellt. Für Ärzte in all­ge­mein­me­di­zi­ni­scher Aus­bil­dung führt die Lehr­pra­xis zu Gehalts­ein­bu­ßen. Rund 80 Pro­zent der Teil­neh­mer an der aktu­el­len ÖÄK-Umfrage sind neben der Lehr­pra­xis im Kran­ken­haus tätig, die Bun­des­län­der unter­schei­den sich dabei in ihren Rege­lun­gen und in den Mög­lich­kei­ten zur Neben­be­schäf­ti­gung. Wer neben der Lehr­pra­xis im Kran­ken­haus tätig ist, gibt etwas weni­ger oft an, einen Ein­kom­mens­ver­lust wäh­rend der Zeit der Lehr­pra­xis zu haben, ins­ge­samt geben die Lehr­prak­ti­kan­ten jedoch zu 86 Pro­zent an, einen Ein­kom­mens­ver­lust zu haben. Die­ser sinkt erwar­tungs­ge­mäß mit der Zahl der monat­lich absol­vier­ten Nachtdienste. 

Die finan­zi­elle För­de­rung der Lehr­pra­xis sei, so Tur­nus­ärz­te­ver­tre­ter von Lan­gen, essen­ti­ell, gerade in den Aus­bau­stu­fen werde der Ver­lust von Ein­kom­men mehr zum Thema wer­den: „Hier wird es ein­fa­chere und kla­rere Regeln und Vor­ga­ben brau­chen, was den Zuver­dienst im Kran­ken­haus angeht.“ Die Lehr­pra­xis­in­ha­ber wür­den zum über­wie­gen­den Teil wie­der eine Lehr­pra­xis anbie­ten, wenn nicht die Pen­sio­nie­rung ansteht. Was die För­de­rung angeht, wün­schen sich Lehr­pra­xis­in­ha­ber eine Ver­ein­fa­chung des För­der­an­su­chens sowie eine Erhö­hung der Gehäl­ter. Sollte die Lehr­pra­xis jedoch nicht mehr geför­dert wer­den, so geben 84 Pro­zent an, eine Lehr­pra­xis nicht oder nur viel­leicht anbie­ten zu wollen. 

Zukunft Grup­pen­pra­xis

Zu ihren Zukunfts­plä­nen befragt, kön­nen sich die Ärzte in all­ge­mein­me­di­zi­ni­scher Aus­bil­dung eine kas­sen­ärzt­li­che Tätig­keit häu­fi­ger vor­stel­len, als eine wahl­ärzt­li­che Tätig­keit. Beson­ders popu­lär ist die Tätig­keit in Grup­pen­pra­xis oder Gemein­schafts­or­di­na­tion. Eine Ein­zel­pra­xis zu füh­ren, kön­nen sich nur rund 40 Pro­zent vor­stel­len oder eher vor­stel­len. Auch eine Anstel­lung in einer Ordi­na­tion ist eine beliebte Vari­ante, die häu­fi­ger in Betracht gezo­gen wird als Anstel­lun­gen in Kran­ken­häu­sern oder sons­tige For­men der Anstel­lung. Im Ide­al­fall könne die Lehr­pra­xis hel­fen, einen Nach­fol­ger für die Pra­xis zu bekom­men, beto­nen Wut­scher und von Lan­gen: „Unab­hän­gig davon ist die Lehr­pra­xis jeden­falls ein gro­ßer Gewinn für die Aus­bil­dung und sie trägt sicher auch zum gegen­sei­ti­gen Ver­ständ­nis zwi­schen den Gene­ra­tio­nen bei“, sagt der Tur­nus­ärz­te­ver­tre­ter. Eine vom Dach­ver­band beauf­tragte Stu­die der Uni­ver­si­tät Wien hat im Vor­jahr eben­falls ein sehr posi­ti­ves Resü­mee gezo­gen, und zwar sowohl bei Lehr­prak­ti­kan­ten, als auch bei Lehr­pra­xis­in­ha­bern: „Dass die Lehr­pra­xis ein wich­ti­ges Erfolgs­mo­dell ist, kann man nicht deut­li­cher unter­strei­chen, denn auch diese aktu­el­len Befra­gungs­er­geb­nisse machen klar, dass sie sich bewährt hat und unbe­dingt wei­ter aus­ge­baut wer­den muss“, sagt Wut­scher abschließend. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2021