Interview Gerald Gingold: „Grob fahrlässig“

10.04.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK


Gerald Gingold, Leiter der Ausbildungskommission der Österreichischen Ärztekammer, spricht über die Qualität in der Patientenversorgung und das mögliche Chaos, wenn die Bundesländer selbst über die Anerkennung von Ausbildungsstätten und Festsetzung von Ausbildungsstellen entscheiden.
Sophie Niedenzu

Wie werden derzeit Ausbildungsplätze anerkannt? Damit der Ärztenachwuchs bestmöglich ausgebildet wird, sind einige Kriterien zu erfüllen. Wichtig sind der Facharztschlüssel, das medizinische Leistungsspektrum, die Personal- und Abteilungsstruktur, die Rahmenbedingungen von abteilungs- oder organisationseinheitenübergreifenden Tätigkeiten sowie das Ausbildungskonzept und die Übernahme von delegierbaren Tätigkeiten gemäß dem Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG). Es gilt sicherzustellen, dass die auszubildenden Ärzte dazulernen und nicht tagtäglich Routineaufgaben übernehmen, die die Pflege genauso machen kann. Wenn das nicht möglich ist, wird die Ausbildungsstätte nicht anerkannt bzw. Ausbildungsstellen nicht festgesetzt. Die Österreichische Ärztekammer prüft die Antragsunterlagen und bezieht die zuständige Landesärztekammer in die Prüfung der Unterlagen mit ein. Diese kennt die Träger, die Abteilungen und Strukturen vor Ort am besten. Anschließend beurteilt die Ausbildungskommission als zuständiges Organ in der ÖÄK über die Erfüllung der Anerkennungsvoraussetzungen. Das Gremium, das aus neun Landesvertretern sowie dem gewählten Vorsitzenden und seinem Stellvertreter besteht, beschließt nach umfangreicher fachlicher Beurteilung, welche Ausbildungsstätte anerkannt wird bzw. welche Ausbildungsstelle in welchem Ausmaß festgesetzt wird.

Wie wurde bisher die Qualität der Ausbildungsplätze geprüft? Wir haben bisher im übertragenen Wirkungsbereich gearbeitet, also im Auftrag des Gesundheitsministeriums. Zweimal pro Halbjahr visitieren wir per Zufallsgenerator ausgewählte Ausbildungsstätten, somit die Ausbildung vor Ort. Wenn wir Hinweise erhalten, beispielsweise von Turnusärztevertretern, dann führen wir auch Anlassvisitationen durch. Es gibt klare Richtlinien der Artikel-44-Kommission. In dieser sitzen neben der ÖÄK auch Länder/Trägervertreter sowie Vertreter der ÖGK und des Gesundheitsministeriums. Das Vorgehen bei Visitationen wurde gemeinsam beschlossen. Involviert sind ein Vertreter der betroffenen Fachgesellschaft, ein Jurist der ÖÄK, ein Mitglied der Ausbildungskommission und ein Turnusärztevertreter, die beide aus Gründen der Objektivität nicht aus dem Bundesland sind, in dem visitiert wird. Vor Ort sprechen wir mit dem Spitalsträger, dem Abteilungsvorstand, dem Ausbildner und den Auszubildenden in Einzelinterviews. Der Visitationsbericht wird von der Ausbildungskommission geprüft und dann wird beschlossen, welche Maßnahmen und Verbesserungen in einer Frist umzusetzen sind. Wird das erfüllt, ist der Akt erledigt. Sollten hingegen weiterhin Probleme bestehen und die Korrekturen nicht umgesetzt worden sein, müssen wir noch einmal visitieren. Im schlimmsten Fall muss die Ausbildungsstelle wieder aberkannt werden.

Wie ist die aktuelle Situation? Aufgrund der unklaren Situation können wir nicht planen. Die Ausbildungsstätten müssen alle sieben Jahre rezertifiziert werden, die Ausbildungsplätze also erneut anerkannt werden. Das ist ein großes Projekt für 2022 und die Folgejahre, das mit erhöhtem Arbeitsaufwand und mit hohen Kosten verbunden ist. Da das umfangreich und sorgfältig geplant werden muss, müssten wir an sich heuer entsprechende Vorbereitungen treffen.

Welches Szenario sehen Sie, wenn die Bundesländer über die Ausbildungsplätze entscheiden? Wir beschäftigen uns seit Jahren mit der Qualität der Ausbildung und beurteilen aufgrund von objektiven Kriterien in enger Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften und Sachverständigen für ganz Österreich. Was in Tirol gilt, gilt auch in Wien. Wenn nun jedes Land, das zugleich auch oft als Spitalsträger ist, sein eigenes Süppchen kocht, dann ist diese Objektivität nicht mehr gegeben und das kann fatale Auswirkungen, beispielsweise auf den Facharztschlüssel haben. Ein Beispiel: Der Wiener Stadtrat möchte, dass ein Oberarzt vier Ärzte in Ausbildung betreut, also einen Ausbildungsschlüssel von 1:4. Das nächste Bundesland möchte 1:3, ein anderes 1:5. Damit ist das Chaos in den Bundesländern vorprogrammiert. Und das zulasten der jungen Ärzte. Die Erhaltung der hohen Qualität der Patientenversorgung wird damit aufs Spiel gesetzt. Das ist grob fahrlässig.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2021