BKNÄ: Interview: „Dem Alter entsprechend“

10.09.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Der Internist Michael Sacherer spricht im Interview über Väterkarenz, flexible Rahmenbedingungen und welche Maßnahmen helfen würden, den Personalschwund in den Spitälern zu bremsen. Das Gespräch führte Sophie Niedenzu.

Welche Arbeitszeitmodelle werden zukünftig noch wichtiger werden? Mein Eindruck ist, dass es en vogue ist, Teilzeit im Spital zu arbeiten und zusätzlich eine eigene Ordination zu führen. Das ist abhängig von der Lebenssituation, dass ein Spitalsarzt keine Nachtdienste machen will, und dann bewusst den Schritt hinaus aus der spitalsärztlichen Versorgung geht. Das ist aber häufig ein Modell für später, die Arztausbildung absolvieren viele in Vollzeit. Ich selbst habe immer in Vollzeit gearbeitet. Ich habe zwei Kinder und war zweimal zwei Monate in Karenz, einmal während der Ausbildung und dann als Facharzt. Wir sind eine sehr kinderreiche Abteilung und es ist Usus, dass bei uns die Männer in Karenz gehen, zumindest für zwei Monate.

Welche Herausforderungen sind mit einer Teilzeittätigkeit im Spital verbunden? Ob jetzt wegen Kinderbetreuung oder wegen einer Ordination – wenn man die zeitliche Einteilung vernünftig macht, dann funktioniert das auch. Außerdem ist es wichtig, die Expertise im Spital zu haben, die Kollegen zu halten, auch wenn sie gerne einer weiteren Beschäftigung nachgehen. Gerade für die Ausbildung der Jüngeren ist das wichtig, denn die Alternative wäre ja sonst, komplett auf die Kollegen im Spital zu verzichten. Teilzeitarbeit ermöglicht, dass ein erfahrener Spitalsarzt im Sinne des Mentorings dem Spital erhalten bleibt, wenn auch nicht mehr Vollzeit.

Wie lässt sich der Personalschwund verhindern? Die Mitarbeiter müssen richtig eingesetzt werden. Auf der einen Seite sollte eine lebenslange Karriereentwicklung sichergestellt werden, auf der einen Seite auch dem Dienstalter entsprechende Rahmenbedingungen. Wir haben beispielsweise eine Regelung, die es erlaubt, dass Mitarbeiter freiwillig weniger oder gar keine Nachtdienste machen können – auch ein 60-jähriger Arzt kann so noch im Spital arbeiten, ohne Nachtdienste zu machen. Häufig sind es die Nachtdienste, die zum Personalschwund führen. Die Rahmenbedingungen müssen dem Dienstalter und der Situation angepasst werden: Für die Jungen sind das Modelle der Elternteilzeit für Männer und Frauen und eine attraktive Rückkehr zur Vollzeitstelle, besonders für Frauen. Umgekehrt sollten Mitarbeiter ab 50 Jahren auch die Möglichkeit haben, weniger Nachtdienste zu machen. Das wäre beispielsweise eine freiwillige Beschränkung des Dienstgebers und ein wichtiger Schritt, um Spitalsärzte über viele Jahre halten zu können, damit sie bis zur Pension im Spital tätig sind.

Was braucht es, damit die jungen Ärzte in Österreich bleiben? Es muss klar sein, dass viele ausländische Medizinabsolventen wieder zurückgehen. Diese Gruppe ist schwer zu halten. Die Inlandsabsolventen hingegen haben unterschiedliche Motive. Das können Spezialgebiete sein, die in Österreich selten angeboten werden. Was definitiv fehlt, ist die strategische Planung bei Mangelfächern. Hier muss frühzeitig gewährleistet werden, dass diese mit zusätzlichen Ausbildungsstellen zu versorgen sind, beispielsweise in der Gerichtsmedizin. Seit zehn Jahren ist bekannt, dass dort ein massiver Mangel herrscht, aber es wurde verabsäumt, ausreichend Personal aufzubauen. Auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde nicht zeitnah reagiert. Gut ausgebildete Ärzte wachsen nicht auf Bäumen, besonders nicht in den Mangelfächern. Wenn Lücken absehbar sind, muss rechtzeitig ausgebildet werden.

Welche Rahmenbedingungen wären wichtig? Wichtig sind Kinderbetreuungsplätze in Spitälern. Es gibt leider immer noch zu wenig Betriebskindergärten. In den Spitälern haben wir verschiedene Diensträder und da muss mehr Flexibilität durch entsprechende Kinderbetreuung gegeben sein. Außerdem gehören nichtärztliche Aufgaben noch stärker abgegeben. Leider müssen Ausbildungsärzte immer noch zu viel dokumentieren. In den Bereichen, in denen es zu Überlastungen kommen kann, müsste man Personal aufstocken, um die Arbeitslast auf mehrere Schultern aufzuteilen. Die Pflege spielt in der möglichen Entlastung eine zentrale Rolle. Fehlt die Pflege, kann sie die Ärzte nicht entlasten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 /10.09.2021