BKNÄ: Der 5‑Punkte-Plan für das Gesundheitssystem

25.05.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Im Rah­men einer Pres­se­kon­fe­renz prä­sen­tierte die Bun­des­ku­rie nie­der­ge­las­sene Ärzte Opti­mie­rungs­vor­schläge für das Gesund­heits­sys­tem. Dar­un­ter ein Gesund­heits­pass für alle Berei­che der Vor­sorge- und Früh­erken­nungs­me­di­zin mit Erinnerungsfunktion.
Sascha Bunda

Fit für die Zukunft wer­den, das war das große Thema, dem sich eine kürz­lich abge­hal­tene Pres­se­kon­fe­renz der Bun­des­ku­rie nie­der­ge­las­sene Ärzte wid­mete. Zum einen waren hier die Pati­en­ten gemeint, unter denen es im Laufe der COVID-Pan­de­mie durch ver­passte Vor­sorge- und Kon­troll­un­ter­su­chun­gen zu Kol­la­te­ral­schä­den gekom­men ist, zum ande­ren aber auch das Gesund­heits­sys­tem als sol­ches. Johan­nes Stein­hart, Vize­prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer und Bun­des­ku­ri­en­ob­mann der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte, prä­sen­tierte dazu einen Fünf-Punkte-Plan. Ihm zur Seite saßen eine Ärz­tin und zwei Ärzte, die in ihren Ordi­na­tio­nen einen Schwer­punkt auf Vor­sor­ge­me­di­zin set­zen, die klar die Aus­wir­kun­gen der Corona-Pan­de­mie in ihrem jewei­li­gen medi­zi­ni­schen Fach benann­ten. Diese fie­len durch­wegs erheb­lich aus und boten Grund zur Sorge.

„Ein beson­ders ver­brei­te­ter und fol­gen­schwe­rer Kol­la­te­ral­scha­den der Pan­de­mie ist die Gewichts­zu­nahme, einer­seits durch Bewe­gungs­man­gel, aber auch durch ver­än­derte Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten“, berich­tete Bonni Syeda, Kar­dio­lo­gin mit Grup­pen­pra­xis in Wien und stv. Obfrau der Fach­gruppe Innere Medi­zin der Wie­ner Ärz­te­kam­mer. Durch diese Gewichts­zu­nahme, aber auch weil viele Men­schen schon län­ger nicht zum Arzt gin­gen und somit medi­ka­men­tös nicht mehr opti­mal ein­ge­stellt seien, müsse man jetzt fest­stel­len, dass Pati­en­ten deut­lich schlech­tere Blut­werte auf­wei­sen wür­den als vor einem Jahr. Damit steige das Risiko von Dia­be­tes-Fol­ge­schä­den, gene­rell könn­ten Fol­ge­er­kran­kun­gen wie Herz­in­farkt oder Schlag­an­fall dro­hen. „Es ist daher essen­ti­ell, dass wir die Men­schen recht­zei­tig zurück in die ärzt­li­che Betreu­ung holen, um sol­che Lang­zeit­fol­gen zu ver­mei­den“, sagte Syeda. Zudem gebe es auch eine Reihe von Krank­heits­bil­dern, die regel­mä­ßig kon­trol­liert wer­den müs­sen, etwa Herz­schwä­che oder Haupt­schlag­ader-Erwei­te­rung, warnte die Kar­dio­lo­gin. „Weil sol­che Krank­hei­ten ohne Ver­laufs­kon­trol­len töd­lich enden kön­nen, sind regel­mä­ßige Arzt­be­su­che not­wen­dig, um das Fort­schrei­ten der Erkran­kung recht­zei­tig zu erken­nen und gege­be­nen­falls The­ra­pien ein­zu­lei­ten“, so Syeda. Durch die Pan­de­mie komme es auch zu ver­zö­ger­ten Erst-Dia­gno­sen neuer Erkrankungen.

Pro­bleme gebe es auch im Fall von Long-COVID, also Fol­ge­er­schei­nun­gen, die viele Men­schen auch Wochen oder Monate nach abge­lau­fe­ner COVID-Erkran­kung ver­spü­ren. „Bei mitt­ler­weile über 600.000 COVID-Erkrank­ten in Öster­reich besteht somit Hand­lungs­be­darf, damit die Betreu­ung die­ser Pati­en­ten auch als Kas­sen­leis­tung mög­lich ist. Der­zeit ist das nicht in allen Berei­chen der Fall“, sagt Syeda, die an die Poli­tik appel­lierte bal­digst die not­wen­di­gen Rah­men­be­din­gun­gen zu schaf­fen, um sowohl die Betreu­ung der Long-COVID Pati­en­ten im Kas­sen­be­reich zu ermög­li­chen, aber auch für jene Leis­tun­gen, die der­zeit nur in den Spi­tals­am­bu­lan­zen durch­ge­führt wer­den können.

Brust­krebs-Nach­weise unterblieben

„Die Ein­brü­che bei radio­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen wäh­rend der COVID-Krise waren dra­ma­tisch“, sagte Franz Früh­wald, Fach­arzt für Radio­lo­gie und Nukle­ar­me­di­zin und stv. Vor­sit­zen­der der Bun­des­fach­gruppe Radio­lo­gie der ÖÄK. Im ers­ten Lock­down hät­ten die Rück­gänge bei radio­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen rund 90 Pro­zent betra­gen, die Rück­gänge bei Mam­mo­gra­fien lie­gen 2020 gegen­über 2019 bei knapp einem Fünf­tel. Das habe natür­lich ernste gesund­heit­li­che Kon­se­quen­zen, weil Krank­hei­ten oder deren Ver­schlech­te­rung nicht ent­deckt wur­den und des­halb ange­mes­sene The­ra­pien unter­blie­ben seien. Vor dem Hin­ter­grund der Tat­sa­che, dass Brust­krebs in Öster­reich bei Frauen der häu­figste mali­gne Tumor und Krebs-Todes­ur­sa­che Num­mer eins ist, sei es alar­mie­rend, dass im ers­ten Corona-Jahr 2020 gegen­über dem Vor­jahr die Zahl der Mam­mo­gra­fien um 18 Pro­zent, in abso­lu­ten Zah­len um 125.789, zurück­ge­gan­gen sind, sagte Früh­wald: „Das bedeu­tet hoch­ge­rech­net, dass in die­sem Zeit­ab­schnitt 150 mög­li­che Brust­krebs-Nach­weise unter­blie­ben sind. Diese nicht ent­deck­ten Tumore wach­sen wei­ter, man­che könn­ten dadurch ein kaum behan­del­ba­res Sta­dium erreichen.“

Die Schluss­fol­ge­rung war für ihn klar: „Ver­säumte Mam­mo­gra­phien soll­ten also schnellst­mög­lich nach­ge­holt wer­den. Die Inan­spruch­nahme ist ohne Über­wei­sung und ohne Ein­la­dung jeder­zeit mög­lich, sofern die e‑card frei­ge­schal­tet ist bezie­hungs­weise seit der letz­ten Ein­la­dung keine Mam­mo­gra­phie erfolgt ist.“ Zudem müsse sich nie­mand Sor­gen wegen Strah­len­be­las­tung durch regel­mä­ßige CT- oder Rönt­gen­un­ter­su­chun­gen machen, betonte Früh­wald. Dank der moder­nen Geräte liege die Belas­tung etwa auf dem Niveau der übli­chen Hintergrundstrahlung.

Dick­darm­krebs: Todes­fälle vermeidbar

Fried­rich Anton Wei­ser, Chir­urg mit Grup­pen­pra­xis für Chir­ur­gie mit Schwer­punkt Endo­sko­pie in Wien und Obmann der Fach­gruppe Chir­ur­gie der Ärz­te­kam­mer für Wien, warnte vor den Aus­wir­kun­gen von Dick­darm­krebs. Die­ser zählt zu den häu­figs­ten und gefähr­lichs­ten Krebs­er­kran­kun­gen. Jedes Jahr gibt es in Öster­reich 4.500 Neu­erkran­kun­gen, 2.700 Men­schen ster­ben daran. „90 Pro­zent die­ser Todes­fälle wären bei kon­se­quen­ter Inan­spruch­nahme der Kolo­sko­pie ver­meid­bar, was sie zur effi­zi­en­tes­ten Methode der Früh­erken­nung und Vor­sorge macht“, betonte Wei­ser. Ein öster­reich­wei­tes Kolo­sko­pie-Pro­gramm würde bereits nach zehn Jah­ren die jähr­li­che Krank­heits­häu­fig­keit um fast 1.600 Pati­en­ten mit der Dia­gnose von Darm­krebs in einem fort­ge­schrit­te­nen Sta­dium ver­rin­gern. In über 90 Pro­zent der Fälle seien vor dem Ent­ste­hen der bös­ar­ti­gen Geschwulst über Jahre Vor­stu­fen in Form von gut­ar­ti­gen Darm­po­ly­pen nachweisbar.

„Der Lock­down, aber auch andere Pha­sen der Pan­de­mie haben auch für die Darm­krebs-Vor­sorge mas­sive Rück­schläge bedeu­tet“, erzählte Wei­ser: „In unse­rer Grup­pen­pra­xis haben wir etwa 90 Pro­zent weni­ger Kolo­sko­pien durch­ge­führt, in abso­lu­ten Zah­len sind das 800 bis 900. Von die­sen nicht unter­such­ten Men­schen hät­ten hoch­ge­rech­net 200 Poly­pen gehabt, wovon sich 40 Pro­zent frü­her oder spä­ter in einen Tumor umge­wan­delt hätten.“

Der 5‑Punkte-Plan

Um die Vor­sor­ge­me­di­zin auf eine noch brei­tere und struk­tu­rier­tere Grund­lage zu stel­len, als dies bis­her der Fall ist, kommt der erwähnte 5‑Punkte-Plan ins Spiel, den Johan­nes Stein­hart präsentierte:

  • Ein neuer Gesund­heits­pass für alle Berei­che der Vor­sorge- und Früh­erken­nungs­me­di­zin mit Erin­ne­rungs­sys­te­ma­tik. Mög­lichst viele Men­schen sol­len vom Nut­zen sol­cher Pro­gramme profitieren.
  • Eine Sicher­heits­re­serve in den wich­tigs­ten Berei­chen der Gesund­heits­ver­sor­gung. Ein enger geknüpf­tes Sicher­heits­netz bedeu­tet u. a. mehr Inten­siv­bet­ten, mehr Ärzte, mehr Pfle­ge­per­so­nen, aus­rei­chend Aus­stat­tung mit Sicher­heits­ma­te­rial, etc.
  • Aus­bau der Digi­ta­li­sie­rung als sinn­volle Unter­stüt­zung für Arzt und Pati­ent. Bewährte Bei­spiele sind elek­tro­nisch über­mit­telte Rezepte, Krank­schrei­bung per Tele­fon oder E‑Mail, Online-Kon­sul­ta­tio­nen von Ärz­ten, elek­tro­ni­scher Impf­pass etc.
  • Eine Trend­um­kehr bei den Gesund­heits­bud­gets: Inves­ti­tio­nen statt Dämp­fungs­pfade. Gesund­heit sollte als Wachs­tums­seg­ment auf­ge­fasst wer­den und öffent­li­che Gesund­heits­aus­ga­ben als sinn­volle Inves­ti­tio­nen zum Nut­zen der Bevölkerung.
  • Drin­gend nötig ist ein moder­ner Leis­tungs­ka­ta­log: Eine zeit­ge­mäße Auf­stel­lung aller Leis­tun­gen, die in Arzt­pra­xen tat­säch­lich geleis­tet wer­den kön­nen und auch soll­ten. Er ist eine Basis für die Ver­hand­lun­gen mit der ÖGK über einen neuen Honorarkatalog.

Ent­schei­dend ist auch eines: „Gesund­heit sollte end­lich als wich­ti­ges Inves­ti­ti­ons- und Wachs­tums­seg­ment unse­rer Gesell­schaft auf­ge­fasst wer­den“, so Stein­hart. Unter­mau­ert wurde die For­de­rung durch die Ergeb­nisse einer aktu­el­len Umfrage, des im Auf­trag der Ärz­te­kam­mer im März 2021 von „Peter Hajek – Public Opi­nion Stra­te­gies“ erstell­ten „Gesund­heits­ba­ro­me­ters“. Auf die Frage „Sollte man in den nächs­ten Jah­ren mehr, weni­ger oder gleich viel in das Gesund­heits­sys­tem inves­tie­ren?“, plä­dier­ten 63 Pro­zent der Befrag­ten dafür, mehr zu inves­tie­ren. „Man muss den Anspruch an die Poli­tik stel­len, dass man für die Gesund­heit der Bevöl­ke­rung alles tun muss, was mög­lich ist“, sagte Stein­hart. Kei­nes­falls soll­ten wie­der „irgend­wel­che ver­wirr­ten Dämp­fungs­pfade“ oder Schlag­wör­ter wie „ein­nah­men­ori­en­tierte Aus­ga­ben­po­li­tik“ vor­ge­bracht werden.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2021