BKAÄ: Interview Reinhard Bittner: „Luft nach oben“

25.11.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK, Coronavirus

Der Allgemeinmediziner Reinhard Bittner befindet sich in der Ausbildung zum Facharzt
für Allgemein- und Viszeralchirurgie. Im Interview mit Sophie Niedenzu spricht er über seine Karriereplanung, faire Arbeitsbedingungen, Verbesserungsmöglichkeiten und warum viele nicht ans Spital gebunden sein wollen.

Wie viele Stunden sind Sie im Spital tätig? Ich bin in der Facharztausbildung Vollzeit tätig, allerdings ohne Opt-out. Es haben anfangs alle in der Abteilung das Opt-out unterschrieben, zunehmend werden es aber immer weniger. Ich bin verglichen mit den neuen Kollegen, die am Anfang stehen, zehn Jahre älter, habe davor als Sekundararzt gearbeitet. Bei den Jüngeren entsteht vielleicht noch eher das subjektive Gefühl, dass es gewünscht sei, das Opt-out zu unterschreiben. Es wird zwar aktiv kein Druck ausgeübt, aber viele unterschreiben, weil sie glauben, dass es gern gesehen wird. Ohne Opt-out hat man aus meiner Sicht aber keine Nachteile.

Wie ist Ihre Karriereplanung? Das hängt davon ab, was im Krankenhaus angeboten wird. Ich habe grundsätzlich als Allgemeinmediziner und Facharzt vielfältige Optionen. Das ist nicht nur eine fachliche Entscheidung, sondern das Gesamtpaket muss passen, zugeschnitten auf das individuelle Lebensmodell. Die Entscheidung hängt generell nicht nur davon ab, was einem am meisten Spaß macht, sondern auch von der Lebensplanung. Zuerst der Job, dann die Freizeit, das gilt nicht mehr für die heutige Generation. Es läuft umgekehrt: Welche flexiblen Arbeitsmodelle gibt es, damit Arbeit und Privates unter einen Hut gebracht werden können? Das muss kein ausgefallenes Hobby sein, das fängt schon bei Vereinbarkeit von Beruf und Familie an, das wird in der Medizin noch wenig berücksichtigt.

Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten als Jungarzt? Sowohl im Spital als auch in den Ordinationen gibt es Luft nach oben. Es gibt relativ wenig kreative Ansätze, mehr Flexibilität hineinzubringen. In chirurgischen Fächern ist es beispielswiese schwieriger, sich niederzulassen, weil der extramurale Bereich zu wenig mitgedacht wird. Immerhin ist es in Österreich für Allgemeinchirurgen möglich, mit der Endoskopie eine Ordination zu betreiben, jedoch sind chirurgische Fächer sonst der Niederlassung nur eingeschränkt zugänglich. Auch im Bereich der Kinderchirurgie können Leistungen nicht abgerechnet werden, da benötigt es modernere Leistungskataloge, etwa die Integration der Nachsorge in der Kinderchirurgie – die erfolgt derzeit in den Ambulanzen. Die eingeschränkten Möglichkeiten und das Wissen, von einem Dienstgeber abhängig zu sein, der eventuell nicht ein Arbeitsmodell anbietet, das persönlich gesucht wird, ist sicher auch ein Grund, dass es Mangelfächer gibt – das sind vor allem die Fächer, die intramural gebunden sind. Und viele möchten nicht ans Spital gebunden sein.

Was müsste in Österreich in den Spitälern geschehen, damit die Ärzte auch bleiben? Was sich durch alle Abteilungen durchzieht, ist die Arbeitsverdichtung und die mangelnden Ruhezeiten bei den Journaldiensten, bei denen man nicht durchgehend in Anspruchgenommen werden darf. Es muss durch organisatorische Maß-nahmen für ausreichend Erholungsmöglichkeit gesorgt sein. Wenn man 24 Stunden durcharbeitet und dabei bestenfalls eine halbe Stunde Pause hat, dann ist das sicher keine ausreichende Erholungsmöglichkeit. Wenn bei der Pflege zu wenig Personal da ist, dann werden OP-Tische oder Betten gesperrt, wenn bei den Ärzten Personal fehlt, dann wird umverteilt und Arbeit verdichtet. Diese Überlastung findet man sicher auch in den Nachbarländern. Faire Arbeitsbedingungen sind also sicher etwas, womit man punkten könnte. Die Arbeitsüberlastung betrifft auch die Fachärzte und die Assistenzärzte, da bleibt die Lehre auf der Strecke. Ausbildung sollte nicht einfach irgendwie passieren.

Inwieweit hatte die Pandemie Auswirkungen auf Ihren Spitalsalltag? An die Coronakrise haben wir uns soweit angepasst, dass normales Arbeiten weitgehend möglich ist, sofern nicht irgendwelche Kapazitätsengpässe durch akute Covid-Intensivpatienten entstehen. Das weit größere Problem ist jetzt der Pflegemangel. Denn er führt zu Kapazitätseinschränkungen, die OP-Programme werden enger zusammengeschoben – und die Konsequenz ist, dass die Operationen von Erfahrenen durchgeführt werden, weil das schneller geht. Ausbildung braucht und kostet Zeit und die haben wir immer weniger.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2021