Arbeitsplatz Spital: Angebot und Nachfrage

09.08.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Von flexiblen Arbeitszeiten in den Spitälern profitieren alle: Sie sichern den Nachwuchs und vermeiden eine zu große Fluktuation bei langdienenden, erfahrenen Spitalsärzten – und damit den vorzeitigen Verlust von Wissen.
Sophie Niedenzu

Erholung vom medizinischen Alltag, Arbeitsverdichtung, Zeit für medizinische Forschung, Zeit für die Familie, Zeit für andere berufliche Tätigkeiten – es gibt viele Motive dafür, dass sich Spitalsärzte dafür entscheiden, nicht Vollzeit zu arbeiten. „Die Erwartungen an die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz haben sich verändert, und darauf sollten die Arbeitgeber auch Rücksicht nehmen“, sagt Harald Mayer, Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte der Österreichischen Ärztekammer. Immerhin befänden sich die Spitäler bei der Personalsuche zunehmend in Konkurrenz mit den Nachbarländern: Die Schweiz und Deutschland locken mit attraktiven Angeboten. „Wenn die Spitäler nicht auf die Bedürfnisse, insbesondere der jungen Generation, eingehen, dann haben wir ein veritables Problem“, warnt Mayer. Man könne es sich nicht leisten, unflexible Rahmenbedingungen anzubieten und die veränderte Arbeitsmarktlage zu ignorieren. Bereits jetzt verlassen viele Absolventen nach ihrem Medizinstudium Österreich: „Die Zeiten sind vorbei, in denen Ärzte froh waren, einen Arbeitsplatz zu ergattern und dafür alles auf sich genommen haben“, betont der Turnusärztevertreter Daniel von Langen. Junge Ärzte könnten mittlerweile auswählen, wo sie arbeiten wollen – und teilweise auch unter welchen Bedingungen.

Das bestätigt auch Lazo Ilic, stellvertretender Kurienobmann der angestellten Ärzte der Ärztekammer Burgenland. Er hat mit seinem Dienstgeber ausverhandelt, die Facharztausbildung auf der Chirurgie in Teilzeit zu absolvieren – um die restliche Zeit für die Forschung zu haben und an seiner Doktoratsarbeit zu schreiben: „Es gibt natürliche Unterschiede und Entwicklungen zwischen den verschiedenen Generationen“, sagt er. Neben Karrieremöglichen, Kinderbetreuung und der Arbeitszeit gehe es auch darum, wie viel Zeit beispielsweise für medizinische Forschung übrigbleibe. Zudem sei die Zahl der Bewerber für ausgeschriebene Stellen wesentlich geringer: „Junge Kollegen trauen sich heute eher, ihre Wünsche auszusprechen und auch bessere Arbeitsbedingungen zu fordern“, sagt Ilic.

Die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen, das beginnt schon beim Angebot für die Ausbildung: Nummer Eins ist die Qualität der klinischen Ausbildung. Laut einer Umfrage der Bundeskurie der angestellten Ärzte gaben bis zu 87 Prozent der befragten Medizinabsolventen an, ihre Ausbildung auch im Ausland zu absolvieren, wenn die Qualität dort besser ist und keine privaten Gründe dies verhindern. Was außerdem noch zählt, ist die Work-Life-Balance. Sie ist entscheidend bei der Auswahl der Ausbildungsstelle. Dazu gehören auch die Arbeitszeiten. Die Tendenz, statt Vollzeit in Teilzeit zu arbeiten, werde größer, bestätigt auch Ilic. Das sollte in der Personalbedarfsberechnung der Spitäler berücksichtigt werden, betont Mayer: „Auch das muss klar sein: Je mehr Spitalsärzte in Teilzeit arbeiten, desto mehr Köpfe werden benötigt.“ Natürlich sei bei manchen Abteilungen die Dienstplaneinteilung eine organisatorische Herausforderung, die verschiedenen Arbeitszeiten zu bedenken, aber: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg – und in anderen Ländern ist es mittlerweile selbstverständlich, dass Spitalsärzte nicht Vollzeit arbeiten“, sagt Mayer.

Die Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung sei auch für die ältere Generation ein Thema – so könne man sich überlegen, ältere Spitalsärzte aus den Diensträdern für Nachtdienste weitgehend herauszunehmen: „Das sind auch Gründe, warum viele ihre Stunden reduzieren oder überhaupt nach einiger Zeit das Spital zugunsten einer Ordination verlassen, was ein schwerer Verlust für das Spitalswesen ist“, sagt Mayer. Letztendlich gehe es nicht nur darum, jungen Spitalsärzten Perspektiven aufzuzeigen, sondern auch darum, die älteren Spitalsärzte zu halten, indem auf ihre Bedürfnisse ebenso eingegangen werde. Das sichere auch die Weitergabe und das Wissen von erfahrenen Spitalsärzten: „Es sollten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, damit Spitäler für alle Altersgruppen attraktive Arbeitgeber bleiben“, betont Mayer.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2021