Horizonte: Persönlichkeiten – Walter Edward Dandy: Pionier der Neurochirurgie

15.12.2020 | Service


Mit der Entfernung eines intrakraniellen Aneurysmas durch Walter Edward Dandy nahm die zerebrovaskuläre Neurochirurgie ihren Anfang. Ein Zufall brachte ihn auf die Idee, Luft als Kontrastmittel im Gehirn einzusetzen, was die Basis für die Enzephalographie und die zerebrale Ventrikulographie bildete.

Walter Edward Dandy, geboren 1886 in Sedalia (Missouri) als Sohn eines aus England emigrierten Eisenbahningenieurs, war US-amerikanischer Neurochirurg und Neurowissenschafter. Er beschrieb unter anderem erstmals den Liquorkreislauf im Gehirn, führte die chirurgische Therapie des Hydrozephalus und die Pneumoenzephalographie der Liquorräume in der Diagnostik der intrakraniellen Raumforderungen ein. Überdies entfernte er als erster ein intrakranielles Aneurysma. Nach ihm und dem Neurologen Arthur Earl Walker wurde die Dandy-Walker-Fehlbildung benannt: eine angeborene Erkrankung des zentralen Nervensystems mit Hypoplasie des Kleinhirnwurms und einer zystischen Erweiterung des vierten Ventrikels.

Harvey Cushing als Impulsgeber

Dandy studierte an der University of Missouri und erhielt aufgrund seiner Leistungen ein Rhodes-Stipendium für ein kostenloses Studium an der Oxford University. Er lehnte jedoch ab, denn seine Leidenschaft galt der Medizin, die zum damaligen Zeitpunkt in Oxford noch nicht vertreten war. Stattdessen startete er 1907 an der Johns Hopkins Medical School in Baltimore. 1910 – nach bestandenem Staatsexamen – wechselte er an das Hunterian Laboratory für tierexperimentelle Chirurgie. Dort traf Dandy auf Harvey Cushing, den Entdecker des Cushing-Syndroms (siehe ÖÄZ 21 vom 10.11.2020). Cushing riet Dandy, sich mit der Blutversorgung der Hypophyse zu beschäftigen; dieser befolgte den Ratschlag. Nach einigen Jahren verließ Dandy 1918 das Labor und begann, als niedergelassener Allgemeinchirurg zu arbeiten. Im selben Jahr nahm er seine Tätigkeit im Johns Hopkins Hospital als Chirurg auf, später als Neurochirurg. Bis zu seinem Tod 1946 blieb Dandy in Baltimore.


Dandy-Walker-Syndrom: die wichtigsten Symptome

  • individuell sehr unterschiedlich ausgeprägte Symptomatik
  • motorische Entwicklungsverzögerungen mit Ataxie und Muskelhypotonie;
  • 40 bis 70 Prozent der Kinder haben zusätzlich kognitive Entwicklungsstörungen;
  • teilweise Hydrozephalus beziehungsweise Ventrikulomegalie;
  • eventuell Erbrechen und Krampfanfälle aufgrund des erhöhten intrakraniellen Drucks

Basis für Enzephalographie

Im Jahr 1913 legte Dandy erstmals seine Publikation über den Hydrozephalus und den Liquorkreislauf vor. Er veröffentlichte darin unter anderem seine Erkenntnis, dass die Liquorproduktion durch den Plexus chorioideus stattfindet und die Resorption des Liquors nicht in den Ventrikeln erfolgt. Er veranschaulichte an einer Leiche, dass beim idiopathischen Hydrozephalus ein Passage-Hindernis vorliegt. Außerdem differenzierte er zwischen obstruierendem und kommunizierendem Hydrozephalus. Letzteren konnte Dandy durch operative Exstirpa tion des Plexus chorioideus behandeln.

Zur Kontrastierung der Hirnventrikel testete Dandy verschiedene Substanzen, darunter Thorium, Iodide, Collargol und Bismutum subnitricum – alle verursachten starke Reizungen. Nachdem Dandy ein spontan aufgetretenes Pneumoperitoneum nach einer Darmperforation beobachtet hatte, bei dem die Luft unter dem Zwerchfell im Röntgenbild einen klaren Kontrast erzeugte, kam er auf die Idee, Luft als Kontrastmittel zu verwenden: Die Ventrikulographie erlaubte nun, einen Hydrozephalus und die Lage eines Hirntumors exakt zu bestimmen, um einen gezielten Eingriff zu ermöglichen – Dandy widmete sich ab diesem Zeitpunkt ausschließlich der Hirnchirurgie.

1914 beschrieb er schließlich als erster Arzt die Fehlbildung des Zentralnervensystems mit gänzlicher oder teilweiser Agenesie des Kleinhirnwurms, Erweiterung des Cisterna magna und Hochstellung des Tentoriums. Die betroffenen Kinder zeigen unterschiedlich ausgeprägte Symptome (siehe Kasten). Der Neurologe Arthur Earl Walker publizierte 1944 eine Zusammenschau aller bis dato bekannten Fälle der Erkrankung. 1954 schlug der deutsch-amerikanische Neurologen und Psychiater Clemens Ernst Benda für die Erkrankung die Bezeichnung Dandy-Walker-Syndrom vor. Ihm gelangen unter anderem maßgebliche Forschungen zu Trisomie 21.

Das X-chromosomal-rezessive Dandy-Walker-Syndrom ist durch schwere geistige Behinderung sowie frühe Muskel hypotonie, die zu Spastizität und Kontrakturen fortschreitet, gekennzeichnet. Es kommt zu Choreoathetose und Krampfanfällen. Typisch ist eine zystische Erweiterung des vierten Ventrikels mit Kleinhirnhypoplasie, genannt Dandy-Walker-Malformation, und Eisenspeicherung in den Basalganglien mit neuroaxonaler Dystrophie. Bei der Differentialdiagnose muss die Krankheit von einem anderen Syndrom mit X-chromosomaler geistiger Retardierung und Beteiligung der Basalganglien (Waisman-Syndrom mit Parkinsonismus und Megalenzephalie) sowie von einem anderen Syndrom mit geistiger Retardierung und Dandy-Walker-Malformation (Buttiens-Syndrom mit Myopie, Brachytelephalangie und wahrscheinlich autosomal-rezessiver Vererbung) abgegrenzt werden.

Als mögliche Ursache für die Erkrankung werden Alkoholkonsum in der Schwangerschaft oder auch eine Rötelvirus-Infektion vermutet; einen eindeutigen Auslöser für das Auftreten gibt es bis heute nicht. Genetische Erkrankungen wie das Meckel-Gruber-Syndrom, das Ehlers-Danlos-Syndrom sowie auch das Joubert-Syndrom könnten die Dandy-Walker-Fehlbildung begünstigen. Die Störung zeichnet sich bereits in der embryonalen Gehirnentwicklung ab; die Diagnose erfolgt nach der Entbindung via Sonographie. CT beziehungsweise MRT werden zur Bestätigung herangezogen.

Eine primäre Therapie für die Dandy-Walker-Fehlbildung existiert nicht. Eine regelmäßige ärztliche Kontrolle der Betroffenen sollte wegen der zahlreichen möglichen Komplikationen wie zum Beispiel erhöhter Hirndruck erfolgen. Bei Krampfanfällen kommen oft Antiepileptika zum Einsatz.  (JW)

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2020