Horizonte: Persönlichkeiten – Lewy, Alzheimer und die Demenz

25.10.2020 | Service

Als Leiter des Labors von Alois Alzheimer beschrieb der Neurologe Friedrich Jacob Heinrich Lewy 1913 zum ersten Mal die für Morbus Parkinson typischen Einschlüsse in Nervenzellen des Hirnstamms und der Großhirnrinde. Charakteristisch bei der Lewy-Körperchen-Demenz ist die ausgeprägte Sensitivität auf Antipsychotika.

Friedrich Jacob Heinrich Lewy – später Frederic Henry Lewey – wurde 1885 in Berlin als Sohn eines jüdischen Arztes geboren. 1903 begann er sein Medizinstudium in Berlin und in Zürich, 1910 promovierte Lewy in seiner Geburtsstadt. Zunächst als Assistent am Physiologischen Institut in Breslau und Berlin von 1909 bis 1910 tätig, arbeitete er anschließend an der Psychiatrischen Klinik in München im Labor von Alois Alzheimer und Emil Kraeplin – die ÖÄZ berichtete in der Ausgabe 15/16 („Alois Alzheimer: Stimme für Demente“). Lewy folgte Alzheimer nach Breslau, wo er Leiter seines Labors wurde. Zu dieser Zeit machte er auch seine wegweisende Entdeckung der Lewy-Körperchen, einer Form von Protein-Einschlüssen im dorsalen Vagus-Kern und im Nucleus basalis Meynert von Menschen, die an M. Parkinson leiden.

Streit um Anerkennung

Konstantin Nikolaevitch Tretiakoff, ein russischer Neuropathologe, fand die Lewy-Körperchen 1919 in der Substantia nigra und benannte sie schließlich nach ihrem Entdecker Lewy. 2017 äußerte Eliasz Engelhardt vom Instituto de Neurologia Deolindo Couto an der Federal University of Rio de Janeiro jedoch Kritik daran, dass Tretiakoff das Eponym angerechnet wurde – denn schon 1913 hatte sich der spanische Neurologe Gonzalo Rodríguez Lafora mit den zellulären Einschlüssen beschäftigt und sie als cuerpos intracelulares de Lewy bezeichnet. Laut Engelhardt sei er der wahre Namensgeber der Lewy-Körperchen.

Während die Lewy-Körperchen bei M. Parkinson vornehmlich in der Substantia nigra und im Locus caeruleus vorkommen, treten sie bei der Lewy-Körper-Demenz diffus und subkortikal im Gehirn auf. Lewy fand dies schon 1923 heraus; als eigenes Krankheitsbild wurde die Demenz-Form allerdings erst später anerkannt. Mit dem Protein α-Synuclein der Lewy-Körperchen angereicherte Dendriten werden heute als Lewy-Dendriten bezeichnet.

Karriere an der Berliner Charité, Tod im Exil

Im Ersten Weltkrieg war Lewy Militärarzt in Frankreich, Russland und der Türkei. Nach Kriegsende nahm er einen Posten an der Berliner Charité an. Nachdem sich Lewy 1921 im Fachgebiet Neurologie habilitiert hatte, stieg er zum Leiter der neurologischen Abteilung der Charité sowie 1930 vom neurologischen Institut in Berlin auf. 1932 gründete er sein eigenes neurologisches Klinik- und Forschungsinstitut in der deutschen Hauptstadt. Als ihm die Nationalsozialisten 1933 die Lehrbefugnis entzogen, emigrierte er zunächst nach England und 1934 in die USA, wo er seinen Namen in Lewey ändern ließ. Er konvertierte zum Quäker und bekam ein Rockefeller Fellowship an der Universität von Pennsylvania. Nach einer erneuten Tätigkeit als Militärarzt von 1943 bis 1945 arbeitete er bis zu seinem Tod 1950 an der Universität von Pennsylvania.

Die Lewy-Körperchen-Demenz (dementia with Lewy-bodies/DLB) betrifft etwa fünf Prozent aller Demenz-Patienten und ist durch zelluläre Einschlüsse (Lewy-Körperchen) im Zytoplasma von kortikalen Neuronen gekennzeichnet. Charakteristisch sind psychotische Störungen sowie Bewegungsstörungen, wie sie auch bei M. Parkinson auftreten; dazu auffällige Schwankungen der kognitiven Fähigkeiten und der Wachheit im Verlauf des Tages (siehe Kasten). Männer sind häufiger betroffen, die Krankheit manifestiert sich meist nach dem 65. Lebensjahr. Die Ätiologie ist unbekannt, selten führt eine genetische Mutation zu familiär gehäuftem Auftreten. Die Erkrankung dauert ungefähr sieben bis acht Jahre bis zum Tod der Betroffenen. DLB-Patienten werden in der Regel durch die häufigen Stürze immobil, in der Folge bettlägerig und sterben oft an einer Pneumonie.

Essentiell: Differentialdiagnostik

Bei der Diagnostik ist die Abgrenzung von der Alzheimer-Demenz essentiell. Die Leitsymptome der Lewy-Körperchen-Demenz – optische Halluzinationen oder die Unverträglichkeit von Neuroleptika – werden oft nicht richtig gedeutet. Die Diagnose wird eher gestellt, wenn im Verlauf spontan Parkinson-Symptome auftreten. Überdies kann eine von Symptom-Überlappung einer Demenz mit Lewy-Körperchen und einer Demenz bei Morbus Parkinson die Diagnose erschweren. Schreiten die motorischen Defizite fort und sind gravierender als die kognitive Einschränkung, handelt es sich meist um eine Demenz bei M. Parkinson. Herrschen frühe kognitive Beeinträchtigungen sowie Verhaltensstörungen vor, ist eine Lewy-Körperchen-Demenz wahrscheinlicher. Bei Verdacht auf Letztere sollte eine Untersuchung auf Delirium erfolgen und hier auf häufige Ursachen wie Medikamente (Anticholinergika, psychoaktive Substanzen, Opioide), Dehydration und Infektionen. CT und MRT eignen sich zum Ausschluss anderer Demenz-Formen; die Lewy-Körperchen-Demenz zeigt hier jedoch keine typischen Veränderungen. Eine eindeutige Bestimmung ist nur durch eine Untersuchung von Hirngewebe in der Autopsie möglich.

Patienten ein schönes Umfeld schaffen

Die Lewy-Körperchen-Demenz kann zum jetzigen Zeitpunkt lediglich unterstützend und symptomatisch behandelt werden. Den Patienten tut eine helle, freundliche und vertraute Umwelt gut, die eine einfache Orientierung ermöglicht, zum Beispiel anhand großer Uhren und Kalender im Raum. Außerdem werden Signalüberwachungssysteme für die Sicherheit der Betroffenen empfohlen. Bei einem Teil der Patienten kann eine Behandlung mit Cholinesterasehemmern wie Rivastigim erfolgen, um die kognitiven Fähigkeiten zu verbessern; es handelt sich allerdings um eine Off-Label-Therapie. Etwa 50 Prozent der Patienten profitieren durch Anti-Parkinson-Medikamente (bevorzugt Levodopa) zur Linderung der extrapyramidalen Symptome, wodurch sich allerdings die psychiatrischen Symptome verschlechtern können. Konventionelle Antipsychotika eignen sich nicht für die Behandlung der Lewy-Körperchen-Demenz. (JW)


Lewy-Körperchen-Demenz: die wichtigsten Symptome

  • Extrapyramidale Symptome: Steifigkeit, Bradykinese, Gang-Instabilität; Defizite treten eher symmetrisch auf; häufig Stürze;
  • Fluktuation der kognitiven Funktion: Wache Perioden mit kohärentem Denken und Orientiertheit wechseln mit Verwirrtheitsperioden in einem Intervall von Tagen bis Wochen; mitunter aber auch mitten im Gespräch;
  • Gedächtnis: mehr Defizite in Wachheit und Aufmerksamkeit als in der Gedächtnisspeicherung; längeres in die Ferne starren; massive Tagesmüdigkeit;
  • Beeinträchtigung von visuospatialen und visukonstruktiven Fähigkeiten;
  • optische Halluzinationen; komplexe, bizarre Wahnvorstellungen;
  • autonome Dysfunktion, oft gefolgt von unklaren Synkopen;
  • Schlafschwierigkeiten: REM-Schlaf-Verhaltensstörung in Form einer Parasomnie ohne die physiologische Lähmung der Skelettmuskulatur;
  • ausgeprägte Sensitivität auf Antipsychotika („neuroleptische Sensitivität“)
  • Hypotonie; Inkontinenz.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2020