Horizonte: Persönlichkeiten – Alois Alzheimer: Stimme für Demente

15.08.2020 | Service

Als „Greisenblödsinn“ bagatellisiert, blieb die Ursache für den geistigen Abbau bei vorwiegend älteren Menschen lange unklar. Der Neurologe und Pathologe Alois Alzheimer erkannte 1906 die neurodegenerativen Veränderungen im Gehirn, die zur typischen Symptomatik der nach ihm benannten Erkrankung führen.

Alois Alzheimer strebte nicht unbedingt nach Ruhm und Ehre. Es war sein Vorgesetzter, der berühmte Psychiater Emil Kraeplin, der seinem engagierten Mitarbeiter eine Bühne gab: Alois Alzheimer war von 1904 bis 1912 an der Königlichen Psychiatrischen Klinik an der Universität München tätig, wo er unter Kraeplin seine bahnbrechenden Entdeckungen machte. Die Beobachtungen von Alzheimer, nämlich die dieser Demenz zugrundeliegende Atrophie des Gehirns, die Amyloid Plaques und neurofibrilläre Bündel, sollten beim Fachpublikum aber vorerst nur wenig Eindruck hinterlassen.

Akribische Nachforschungen

Die 51-jährige Auguste Deter wurde 1901 von ihrem Mann in die „Städtische Anstalt für Irre und Epilepsie“ in Frankfurt eingeliefert. Sie benahm sich seltsam, fand sich im Alltag nicht mehr zurecht, fühlte sich verfolgt und konstruierte unentwegt neue Eifersuchtsszenarien. Die Frankfurter Klinik – gegründet vom Psychiater und Struwwelpeter-Autor Heinrich Hoffmann – ging für damalige Verhältnisse recht empathisch mit geistig abnormen Patienten um und verzichtete zum Beispiel auf Zwangsmaßnahmen. Alois Alzheimer, von 1888 bis 1902 in der Einrichtung tätig, wurde auf das Beschwerdebild von Auguste Deter aufmerksam. Der Fall erschien ihm ungewöhnlich, vor allem der so frühe geistige Verfall. Alzheimer analysierte und dokumentierte den Verlauf der Erkrankung, die Sprachstörungen und die zunehmenden Defizite im Sozialverhalten. Er tippte auf Veränderungen im Gehirn der Patientin. Nach ihrem Tod mit nur 55 Jahren 1906 sezierte der Pathologe das Gehirn der Verstorbenen und stellte eine „bis dato unbekannte und eigenartige Krankheit der Hirnrinde“ fest. Vorerst vermutete er eine Art präsenile Gehirnerkrankung, stellte aber durch die Begutachtung von weiteren, älteren Patienten eine senile Demenz fest, die als Frühform auch im mittleren Lebensalter auftreten kann.

Zeitversetzte Anerkennung

Noch im selben Jahr präsentierte Alois Alzheimer die histologischen Befunde vom Fall Auguste Deter bei der 37. Versammlung Südwestdeutscher Ärzte in Tübingen. Die anwesenden Ärzte reagierten mit Skepsis. Sie hielten das klinische Bild für eher selten und weniger bedeutsam. Emil Kraeplin nahm die Entdeckungen von Alzheimer 1910 dennoch in die achte Auflage seines „Lehrbuchs für Studierende“ unter dem Begriff „Alzheimer Krankheit“ auf. Ein weiser Schachzug: Denn in den darauffolgenden Jahrzehnten und mit zunehmender Inzidenz – auch Prominente wie Ronald Reagan erkrankten – wendete sich das Blatt: Die Relevanz der Forschungsarbeit von Alzheimer wurde augenscheinlich.

Frühes Ableben

Der ambitionierte und leidenschaftliche Wissenschafter hatte jedoch kaum die Möglichkeit, seine Erfolge zu feiern. Als er 1912 auf den Lehrstuhl für Psychiatrie an der Universität Breslau berufen wird, erkrankt er auf der Reise dorthin an einer schweren Infektion, an deren Folgen er letztendlich 1915 im Alter von nur 51 Jahren stirbt. Seine herausragenden diagnostischen Fähigkeiten trugen maßgeblich dazu bei, den belächelten „Greisenblödsinn“ als manifeste Erkrankung zu etablieren, deren Ursachen und Therapie bis heute intensiv beforscht werden. (JW)

Alzheimer-Demenz: Frühsymptome

  • Verlust des Kurzzeitgedächtnisses
  • Beeinträchtigung des logischen Denkens, Probleme beim Umgang mit komplexen Aufgaben, schlechtes Urteilsvermögen
  • Sprachstörungen
  • Visuospatiale Dysfunktion
  • Verhaltensstörungen wie Agitiertheit, Verfolgungswahn, Umherwandern etc.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2020