Por­trät Mag­da­lena Necek: Corona im All­tag in Shanghai

25.05.2020 | Coronavirus, Politik


Als Ver­trau­ens­ärz­tin des öster­rei­chi­schen Kon­su­lats in Shang­hai erlebt die Öster­rei­che­rin Mag­da­lena Necek den Umgang Chi­nas mit SARS-CoV‑2 haut­nah. Erst mit der Zeit fand sie ihre Rolle beim Aus­bruch der Epi­de­mie, wie sie berich­tet und: Das Bewusst­sein für eine zweite Welle ist in China sehr prä­sent.

Ursula Scholz

Die War­nung vor der aty­pi­schen Lun­gen­ent­zün­dung, die damals noch kei­nen Namen hatte, erreichte die 42-jäh­rige Mag­da­lena Necek auf zwei Wegen: einer­seits aus dem Pro­MED-News­let­ter der Inter­na­tio­nal Society for Infec­tious Dise­a­ses, ander­seits von ihrem Arbeit­ge­ber, der Kli­nik­lei­tung von Park­way Pan­tai, dem größ­ten Gesund­heits­dienst­leis­ter in Süd­ost­asi­ens Ende Dezem­ber 2019 über die in Wuhan auf­ge­tre­tene unge­wöhn­li­che Form von Pneumonien.

Seit Juli 2012 ist Necek für den pri­va­ten Gesund­heits­dienst­leis­ter Park­way Pan­tai tätig. Die­ser betreibt der­zeit in Shang­hai sechs „Kli­ni­ken“ – eine Art Gesund­heits­zen­tren – sowie ein klei­nes Kran­ken­haus. Vor fünf Jah­ren hat sie der öster­rei­chi­sche Kon­sul in Shang­hai ange­spro­chen, ob sie zusätz­lich als Ver­trau­ens­ärz­tin des öster­rei­chi­schen Kon­su­la­tes zur Ver­fü­gung stünde – für die rund 700 öster­rei­chi­schen „Expats“ in Shang­hai. Wer nicht Deutsch oder Pol­nisch spricht, mit dem kom­mu­ni­ziert sie auf Eng­lisch oder Fran­zö­sisch. „Im All­tag komme ich auf Chi­ne­sisch sehr gut zurecht. Kom­ple­xere medi­zi­ni­sche Unter­hal­tun­gen kann ich nicht füh­ren. Da hilft mir eine Kran­ken­schwes­ter beim Über­set­zen“, erklärt Necek.

Als Toch­ter pol­ni­scher Eltern in Linz gebor­gen, stu­dierte sie in Wien Medi­zin und arbei­tete danach ein Jahr wis­sen­schaft­lich in Afrika, um dann in Linz den Tur­nus zu absol­vie­ren. Nach einem hal­ben Jahr in Süd­ko­rea kehrte sie nach Öster­reich zurück, wo sie in Wien eine HNO-Fach­arzt­aus­bil­dung absolvierte.

Infor­mie­ren und beruhigen

Erst mit der Zeit fand Necek ihre Rolle beim Aus­bruch der Corona-Virus-Epi­de­mie: Sie trug alle ver­füg­ba­ren seriö­sen Infor­ma­tio­nen zum Virus zusam­men, infor­mierte und beru­higte unzäh­lige Men­schen und lotste sie an jene Orte, wo sie die benö­tigte medi­zi­ni­sche Hilfe beka­men. Tags­über betrieb der Arbeit­ge­ber von Necek eine COVID-19-Hot­line, die medi­zi­ni­sche Infor­ma­tion bot und gut ange­nom­men wurde. Men­schen, die an COVID-19 erkrankt sind, hat Necek selbst nicht behan­delt; auf­grund der behörd­li­chen Maß­nah­men durf­ten diese nur in Spe­zi­al­kli­ni­ken auf­ge­nom­men wer­den. Wie zum Bei­spiel in eines der bei­den Kran­ken­häu­ser, die inner­halb von zehn Tagen in Wuhan gebaut wor­den waren – mit einer Bet­ten­ka­pa­zi­tät für 2.300 Erkrankte. Die Mit­ar­bei­ter der pri­va­ten Insti­tu­tion Park­way Pan­tai wur­den nicht nach Wuhan beor­dert, „aber von mei­nen chi­ne­si­schen Kol­le­gen hat jeder jeman­den aus einem öffent­li­chen Kran­ken­haus gekannt, der nach Wuhan geschickt wurde“.

Regel­mä­ßig fri­sche Masken

Des­in­fek­ti­ons­mit­tel und Mas­ken seien stets vor­han­den gewe­sen, auch wenn die Mas­ken auf­grund der anfangs wegen der durch Knapp­heit beding­ten Dieb­stahl­ge­fahr weg­ge­sperrt wer­den muss­ten. Alle vier Stun­den teilte eine Kran­ken­schwes­ter fri­sche Mas­ken zu, berich­tet Necek von ihren Erfah­run­gen in die­ser Zeit. Bei den ver­wen­de­ten Mas­ken han­delt es sich inner­halb wie außer­halb der Kli­ni­ken meist um chir­ur­gi­sche; inner­halb der Kli­nik ste­hen auch N95-Mas­ken zur Ver­fü­gung. Zu einer Man­gel­ver­sor­gung sei es jedoch im Bereich der Zahn­me­di­zin gekom­men: „Mei­nen Kol­le­gen und mir war nur ein ein­zi­ges Kran­ken­haus bekannt, in dem unsere aus­län­di­schen Pati­en­ten mit zahn­ärzt­li­chen Not­fäl­len behan­delt wer­den konn­ten.“ Aber auch die mehr als 24 Mil­lio­nen Ein­woh­ner von Shang­hai waren zahn­ärzt­lich zu ver­sor­gen. Ein Sys­tem von nie­der­ge­las­se­nen Ärz­tin­nen und Ärz­ten exis­tiert in China nicht.

Mitt­ler­weile wurde das Gesund­heits­zen­trum, in dem Mag­da­lena Necek als All­ge­mein­me­di­zi­ne­rin vor­wie­gend für aus­län­di­sche Ein­woh­ner von Shang­hai arbei­tet, wie­der hoch­ge­fah­ren. Ledig­lich Men­schen mit Hus­ten, Schnup­fen und/​oder Fie­ber dür­fen wei­ter­hin nicht dort behan­delt wer­den. Geschützt durch Haube, Schutz­brille und Schutz­maske sowie Hand­schuhe darf Necek nun wie­der Pati­en­ten direkt behan­deln – ohne dabei einen Ganz­kör­per­schutz­an­zug zu tragen.

Keine Fle­der­maus essen

In der (ers­ten) Akut­phase des Corona-Virus-Aus­bruchs haben die Men­schen aus Angst vor einer Über­tra­gung sogar ihre Haus­tiere aus­ge­setzt – gene­rell sei in der Volks­mei­nung eine Infek­tion mit SARS-CoV‑2 fast mit unver­meid­li­chem Tod gleich­ge­setzt wor­den, mit ent­spre­chen­den Fol­gen für das Ver­hal­ten der Men­schen, berich­tet Necek. Zu Hams­ter­käu­fen hat die Angst jedoch in Shang­hai nie geführt.

Über sämt­li­che Kanäle wur­den Anwei­sun­gen erteilt: Durch die Wohn­vier­tel fuh­ren Autos, die per Laut­spre­cher zum Mas­ken­tra­gen auf­rie­fen. Auf Pla­ka­ten war eine durch­ge­stri­chene Fle­der­maus auf einem Tel­ler zu sehen, um vor dem Ver­zehr von Wild­tie­ren zu war­nen. „Erzie­hungs­vi­deos“ zum Hän­de­wa­schen, Mas­ken­tra­gen, Abstand­hal­ten und rich­ti­gem Ver­hal­ten beim ver­pflich­ten­den Fie­ber­mes­sen waren Teil des All­tags, unter ande­rem in der U‑Bahn, die immer gefah­ren sei. Aber Ein­lass in die Sta­tion gab es nur bei unauf­fäl­li­ger Kör­per­tem­pe­ra­tur. Statt sich wie sonst müh­sam in den Wag­gon quet­schen zu müs­sen, konnte sie auf dem Weg zur Arbeit nun täg­lich einen Sitz­platz fin­den und Abstand wah­ren. Auch im Radio wurde eine spe­zi­elle Form von Abstand gepflegt – näm­lich zu west­li­cher Musik. Gespielt wur­den nur noch patrio­ti­sche chi­ne­si­sche Lieder.

Zu 90 Pro­zent sei in Shang­hai nun wie­der der All­tag ein­ge­kehrt, berich­tet Necek. Das bedeu­tet aber auch, dass wei­ter­hin keine Hände geschüt­telt wer­den, denn das war nie üblich. „Als Ärz­tin hatte ich von Anfang an bei jedem Kon­takt mit einem Pati­en­ten mit Erkäl­tungs­sym­pto­men eine Maske auf – alles andere wäre hier undenk­bar.“ Geblie­ben ist einer­seits ein gestei­ger­tes Hygie­ne­be­wusst­sein. „Des­in­fek­ti­ons­mit­tel im Kaf­fee­haus gab es zuvor noch nicht.“ Und gekom­men ist ande­rer­seits der soge­nannte Health Code, ähn­lich einem QR-Code, den jeder auf sei­nem Handy mit sich trägt. Es gibt ihn in drei Vari­an­ten: grün (man darf sich frei bewe­gen), gelb (für sie­ben Tage in Qua­ran­täne) und rot (14 Tage Qua­ran­täne). Die­sen Health Code muss man nicht nur vor Inan­spruch­nahme von ärzt­li­cher Hilfe vor­wei­sen, son­dern auch beim Betre­ten eines Restau­rants. Der­ar­tige Vor­ga­ben akzep­tiert die Bevöl­ke­rung in Shang­hai widerstandslos.

China wegen des Virus zu ver­las­sen, kam für Necek selbst nie in Frage. Sie habe sich stets sicher gefühlt. Auch die in Shang­hai ver­netz­ten Öster­rei­cher seien erst dann unru­hig gewor­den, als auch in ihrer Hei­mat erste COVID-19-Fälle auf­ge­tre­ten seien.

Das Bewusst­sein für eine mög­li­che zweite Welle ist in China sehr prä­sent. Als vor­bild­li­che Vor­ge­hens­weise aus der Zeit der ers­ten Welle erach­tet Necek die volle Kon­zen­tra­tion auf das Zen­trum des Aus­bruchs: „Es wur­den für Wuhan unglaub­li­che Res­sour­cen mobi­li­siert, an Hilfs­gü­tern ebenso wie an medi­zi­ni­schem Per­so­nal und auch rasch ein Lock­down vor­ge­nom­men.“ Aber auch die Bevöl­ke­rung habe sich in der Krise als sehr soli­da­risch erwie­sen, habe den medi­zi­ni­schen Ein­satz­kräf­ten Essen gebracht und Pla­kate gemalt. Künst­ler hät­ten ihre Werke ver­stei­gert; mit dem Erlös wurde Schutz­aus­rüs­tung gekauft.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2020