Oberösterreich: Erweiterte Vertretung – Veränderung ermöglicht

10.04.2020 | Politik

Veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingen haben auch Auswirkungen im Berufsleben. In Oberösterreich bieten Ärztekammer und .GK mit neuen Varianten der Zusammenarbeit Ärztinnen und Ärzten nun die Möglichkeit, in einer Ordination zu arbeiten, ohne die wirtschaftliche Verantwortung und das unternehmerische Risiko allein auf sich nehmen zu müssen.
Ulrike Haider-Schwarz

Ärztekammer und OÖ Gebietskrankenkasse – jetzt ÖGK – haben im Vorjahr das Modell der „Erweiterten Vertretung“ erarbeitet. Die „Erweiterte Vertretung“ ermöglicht es einem Vertretungsarzt, auf Basis eines freien Dienstvertrags, mit einem Kassenarzt der gleichen Fachrichtung in dessen Praxis zusammenzuarbeiten, ohne eine juristische Gesellschaft (zum Beispiel eine Gruppenpraxis) eröffnen zu müssen beziehungsweise ohne regulären Anstellungsvertrag. Auch in bestehenden Gruppenpraxen und Primärversorgungseinrichtungen können Ärzte durch einen freien Dienstvertrag im Rahmen der „Erweiterten Vertretung“ mitarbeiten. Thomas Fiedler, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer für Oberösterreich, begründet den Bedarf von neuen Kooperationsmodellen folgendermaßen: „Wir rasen einem Ärztemangel entgegen. Was uns durch Pensionierungen in absehbarer Zeit ein Loch reißen wird, ist allein durch Nach-Rekrutierung an den Universitäten nicht wirklich zu füllen.“ Der Ärztemangel sei, so Thomas Fiedler, kein österreichisches Phänomen, sondern ein europäisches mit mannigfaltigen Ursachen. „Demografische Veränderungen, der Pillenknick, die Restriktivpolitik an den Hochschulen, usw. Viele Gründe führen dazu, dass wir in den nächsten Jahren einfach weniger ärztliche Ressourcen zur Verfügung haben und deshalb personellen Versorgungsengpässen entgegengehen“, resümiert Fiedler. Durch die Schaffung von neuen Modellen versuche man „die verbleibenden Potentiale, die es zweifellos gibt, durch gefälligere, annehmbarere Arbeitszeitmodelle anzusprechen. Das kommt insbesondere den Jüngeren entgegen“, ergänzt Thomas Fiedler.

Mehrere Varianten

Die „Erweiterte Vertretung“ in Oberösterreich sieht grundsätzlich zwei Fallkonstellationen vor. Zum einen soll das befristete Modell zur Abdeckung eines temporären Zusatzbedarfs dienen, wenn beispielsweise Kassenstellen in der Region nicht besetzt werden können. Nach spätestens einem Jahr wird evaluiert, ob der erhöhte Versorgungsbedarf weiterhin besteht. Trifft dies zu, kann beziehungsweise muss eine Fristverlängerung für das freie Dienstverhältnis des angestellten Arztes beantragt werden. Seitens der Krankenkasse wird der Vertragsarzt durch eine Sonderhonorierung finanziell unterstützt, wenn er einen Kollegen mittels eines freien Dienstverhältnisses befristet in seiner Praxis beschäftigt. Für die Finanzierung der Sonderhonorierung sind im Innovationstopf der Krankenkasse 1,5 Millionen Euro reserviert. Neben dem Anstellungsmodell mit begrenzter Bestandsdauer kann durch die unbefristete Variante ein dauerhafter Zusatzbedarf („Bruchstelle“) gedeckt werden, bei dem der Kassenarzt als auch der Vertragsarzt gleichzeitig in der Ordination tätig sein können. Bisher war eine dauerhafte Vertretung ausschließlich in besonderen Ausnahmefällen wie zum Beispiel bei längerer Krankheit des Vertragsarztes m.glich; andernfalls in Bezug auf den Gesamtvertrag vertragswidrig. Ein höheres Patientenaufkommen als bisher, das in der Ordination eines Kassenarztes auf Dauer abgedeckt werden muss, soll durch die unbefristete freie Mitarbeit eines Kollegen abgeschwächt werden.

Eine Sonderhonorierung ist dabei nicht vorgesehen, da der Kassenarzt ohnedies auf Basis des höheren Versorgungsschlüssels verrechnet. Bevor eine dauerhafte „Erweiterte Vertretung“ beantragt werden kann, ist die Ausschreibung einer Bruchstellengruppenpraxis jedoch unbedingt erforderlich. Das soll verhindern, dass m.glichen Interessenten durch die „Erweiterte Vertretung“ die Chance auf den Einstieg in die ärztliche Versorgung als Kassenarzt verwehrt wird. Erst wenn diese Ausschreibung erfolglos bleibt, kann die „Erweiterte Vertretung“ beantragt werden. Drei Monate vor dem geplanten Start muss ein Antrag auf „Erweiterte Vertretung“ eingebracht werden; Start und Ende sind jeweils zu Beginn beziehungsweise mit Ende eines Quartals m.glich. Unabhängig von der Modellvariante obliegt es Kasse und Kammer, den Antrag auf eine „Erweiterte Vertretung“ zu genehmigen, sofern die Bedingungen erfüllt sind. Zusätzlich zu den beiden Vertretungsmodellen steht ein Job-Sharing-Modell zur Wahl. Beim Job-Sharing teilen sich zwei Ärzte eine Kassenstelle ohne Abdeckung eines Zusatzbedarfs, indem die Ordinationszeiten der Ärzte ohne Erweiterung aufgeteilt werden. Job-Sharing kann auch während des Quartals beginnen und kann jederzeit beantragt werden. Die Wahl des mitarbeitenden Arztes übernimmt der Kassenstelleninhaber; die Besetzung wird nicht durch eine Ausschreibung ermittelt.

Für Ärztinnen und Ärzte bieten die neuen Modelle mehr Flexibilität und Gestaltungsmöglichkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Für niedergelassene Ärzte in Regionen mit erhöhtem Patientenaufkommen oder Schwierigkeiten bei der (Nach-)Besetzung von Kassenstellen kann die „Erweiterte Vertretung“ zu einer quantitativen Entlastung führen, die sich auch zum Wohl des Patienten auswirkt. So sollen sich die Terminwartezeiten für die Patienten verkürzen. Thomas Fiedler verweist außerdem darauf, dass der Arzt auch Unternehmer ist: „Eine Praxis verursacht Kosten: Raummiete, Versicherung, Infrastruktur, Personalkosten. Eine Praxis enminiature zu führen, ist deshalb kaum möglich.“ Hoher zeitlicher Einsatz und ein gewisses Maß an Patientenumsatz sind notwendig, damit diese Fixkosten gedeckt werden können und ein Verdienst lukriert werden kann. Fiedler ergänzt: „Für viele junge Kolleginnen und Kollegen lassen sich die bisherigen Rahmenbedingungen nicht mehr mit den persönlichen Vorstellungen in vollem Umfang vereinbaren. Der Zugang zur Arbeit hat sich neben der demografischen Entwicklung auch dahingehend verändert, dass Work-Life-Balance immer wichtiger wird.“ Mit den neuen Varianten soll Ärzten nun die Gelegenheit geboten werden, in einer Praxis zu arbeiten, ohne die wirtschaftliche Verantwortung und das unternehmerische Risiko alleine schultern zu müssen. Das betrifft nicht nur die „Erweiterte Vertretung“, sondern grundsätzlich die Erweiterung der Kooperationsmöglichkeiten.

„Auch wenn es wie eine Gemischtwarenhandlung anmutet, der Bedarf an Wahlmöglichkeiten ist groß. Wir setzen stark auf die Karte der Pluralisierung des Angebotes. Es ist wichtig, dass Ärzte im niedergelassenen Bereich arbeiten können, und zwar so, dass es in den Lebensplan der Kollegen passt“, sagt Fiedler. Das gilt auch für Ärztinnen und Ärzte, die kürzertreten möchten. Die Vertretungsmodelle können eine Option für altersgerechtes Praktizieren bieten. Zwar ergibt sich aus der Mitarbeit durch den freien Dienstvertrag kein Rechtsanspruch des mitarbeitenden Arztes auf die Nachfolge der Kassenstelle, jedoch wird die Zeit der Mitarbeit im Rahmen der Punkteliste zur Besetzung einer Stelle berücksichtigt. Bisher haben etwa zehn Ärzte von der Möglichkeit der „Erweiterten Vertretung“ Gebrauch gemacht. Alle drei Modelle stoßen auf reges Interesse, wobei vor allen Dingen die dauerhafte Vertretungsregelung Anklang findet, aber auch das Job-Sharing-Modell als Möglichkeit, die Work-Life-Balance zu verbessern, wird angenommen. „Neben der möglichen Anstellung von Ärzten bei Ärzten ist das Modell der ‚Erweiterten Vertretung‘ ein weiterer Kooperationsbaustein, der dazu beitragen kann, die kassenärztliche Tätigkeit zu attraktivieren und vor allem mehr Freiheit für die niedergelassene Ärzteschaft bietet“, fasst Thomas Fiedler zusammen.

Die Rahmenbedingungen

  1. Erweiterte Vertretung nur für Ärzte der gleichen Fachrichtung möglich.
  2. Freier Dienstnehmer darf das 70. Lebensjahr noch nicht erreicht haben. (Ausnahmegenehmigung bei drohender ärztlicher Unterversorgung möglich)
  3. Bei Abdeckung eines (temporären oder dauerhaften) Zusatzbedarfs sind die Öffnungszeiten analog zu den Regelungen bei Gruppenpraxen zu erweitern. (Bei Job-Sharing bleiben die Öffnungszeiten unverändert.)
  4. Der Vertragsarzt muss mehr als 50 Prozent der Ordinationszeit persönlich abdecken.
  5. Die Überschneidung der Arbeitszeiten des Vertragsarztes und des Vertretungsarztes darf maximal 50 Prozent betragen.
  6. Wahlärztliche Nebenbeschäftigungen müssen von Kammer und Kasse genehmigt werden.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2020