Maßnahmen gegen das Corona-Virus: Separieren und kontrollieren

10.04.2020 | Coronavirus, Politik


Weltweit haben sich mehr als 937.000 Personen mit dem Corona-Virus infiziert*. In Österreich stellt ein Expertenpapier die Basis für die Entscheidung der Bundesregierung Ende März für die weitere Vorgangsweise zur Eindämmung der Corona-Epidemie dar. Von zentraler Bedeutung: Ansteckungen im Gesundheitsbereich verhindern.

In der „Stellungnahme zur COVID-Krise“ heißt es unter anderem: „Keinesfalls dürfen Hoffnung auf eine baldige Lockerung der Restriktionen geweckt werden. Wahrscheinlich benötigt dies deutlich strengere Maßnahmen als derzeit in Kraft sind“. Dem Team der Wissenschafter gehören Univ. Prof. Mathias Beiglböck und Univ. Prof. Philipp Grohs (beide: Institut für Mathematik/Universität Wien), emer. Univ. Prof. Walter Schachermayer (Institut für Mathematik/Universität Wien), Univ. Prof. Joachim Hermisson (Fakultät für Mathematik und Zentrum für Molekulare Biologie/ Universität Wien), Magnus Nordborg (Gregor-Mendel-Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften), Univ. Prof. Heinz Engl (Rektor der Universität Wien) und Univ. Prof. Markus Müller (Rektor der Medizinischen Universität Wien) an. Diese Stellungnahme stellte die Basis der Regierung dar für die weitere Vorgangsweise, die u.a. die Maskenpflicht vorsieht. Die Wissenschafter haben das international aktuell favorisierte „epidemiologische Prognose-Modell“ auf die österreichische Situation angepasst. Bei einem R0 von 0,9 bleibt der Bedarf an Intensivbetten unter der maximalen Intensivkapazität. Die Zahl der Todesfälle würde bis Jahresende bei rund 6.000 lieben. In Österreich ist die Intensivkapazität ausgelastet, wenn 125.000 Personen (1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung). Ab dann erhöht sich die Todesrate stark, weil nicht mehr ausreichend Möglichkeiten zur Beatmung zur Verfügung stehen. Hoffnung bestehe laut den Experten jedenfalls, wie das Beispiel Wuhan zeige. Dort sei es gelungen, die Replikationsrate auf 0,32 zu senken mit dem Effekt, dass die Krise innerhalb von wenigen Wochen bewältigt werden konnte. Die Experten betonen in ihrer Stellungnahme noch einen weiteren Aspekt: die Wichtigkeit, Ansteckungen und Übertragungen im Gesundheitsbereich zu verhindern. Das Beispiel Italien habe gezeigt, dass Ärzte und das Pflegepersonal als „Superspreader“ das Virus an viele Menschen weitergeben können; rund zehn Prozent aller Infizierten sind Angehörige des Gesundheitspersonals. Fungieren Krankenhäuser als „Superspreader“, schnellen die Fall- und Todeszahlen bis zum Sommer in die Höhe. Stellt man jedoch diesen Bereich unter Quarantäne, separiert Krankheits- und Verdachtsfälle, trifft umfassende Schutzmaßnahmen und kontrolliert das Personal engmaschig, geht die Dramatik deutlich zurück – so die Prognose der Experten. Weitere Maßnahmen, die die Experten zusätzlich zum Schutz des Gesundheitspersonals fordern: in ihrer Stellungnahme vorschlagen: die Kontrolle der Anzahl von Kunden im Supermarkt durch Sicherheitspersonal, verstärktes Testen, einen stärkeren Einsatz von Schutzmasken und auch das Handy-Tracking (Nachverfolgen der Kontakte, die Infizierte vor dem Test hatten, mit Hilfe von Handydaten).

Ausgangssperre verschafft Zeit

Die in der elf Millionen Einwohner zählenden Stadt Wuhan verhängte Ausgangssperre hat die Ausbreitung des Corona-Virus deutlich eingedämmt und den Gesundheitseinrichtungen dringend benötigte Zeit verschafft. Kiesha Prem von der London School of Hygiene and Tropical Medicine, Hauptautorin der in „The Lancet Public Health“ veröffentlichten Studie, erklärte: „Kontaktverbote sind sehr nützlich und wir müssen bei der Lockerung sorgfältig vorgehen, um weitere Infektionswellen zu vermeiden, wenn Arbeitnehmer und Schulkinder zur Routine zurückkehren“.

Zwischenstand

Weltweit haben sich mehr als 937.000 Menschen mit dem Corona- Virus infiziert, wie die Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) am 2. April bekannt gab. Bei den Infektionszahlen liegen die Vereinigten Staaten mit 215.000 Betroffenen weltweit mit Abstand auf dem vordersten Platz; es gibt mehr als 5.100 Todesfälle. Besonders betroffen ist der Bundesstaat New York. In Europa ist die Zahl der offiziell gemeldeten Fälle auf mehr als 500.000 gestiegen; mehr als die Hälfte davon wird in Italien und Spanien registriert. Die Zahl der Todesfälle ist europaweit auf mehr als 34.000 gestiegen; weltweit sind es mehr als 45.000. Zur Situation in Spanien: Laut dem Gesundheitsministerium in Madrid liegt die Zahl der best.tigten Ansteckungen bei mehr als 110.000; insgesamt gibt es ehr als 10.000 Tote. Besondere Sorge macht der Beh.rde für Gesundheitliche Notfälle der drohende Kollaps der Intensivstationen. Demnach sind unter denjenigen, die sich im Spanien mit dem Corona-Virus angesteckt haben, schon weit mehr als 12.000 Ärzte, Pfleger und Sanit.ter – 15 Prozent aller Fälle. In Italien ist die Zahl der an einer Corona-Virus-Infektion Verstorbenen um mehr als 13.100 angestiegen; es gibt mehr als 80.000 Infizierte. 69 Ärzte sind am Corona-Virus gestorben; mehr als 10.000 Krankenpfleger haben sich infiziert. Im Gebiet um die am stärksten betroffene Stadt Bergamo werden rund 4.500 Tote beklagt. In Deutschland sind bisher mehr als 73.000 Infektionen mit dem neuen Corona-Virus registriert. Besonders hoch ist die Zahl der Infizierten in Nordrhein-Westfahlen mit mehr als 17.000 nachgewiesenen Fällen und Bayern mit ebenso mehr als 17.000 Fällen. In Großbritannien sind knapp 30.000 Menschen nachweislich mit dem Virus infiziert; mehr als 2.300 sind daran verstorben. Der staatliche Gesundheitsdienst NHS (National Health Services) beklagt die zunehmende .berlastung der Krankenh.user, die vor allem mit schwer erkrankten Corona-Patienten konfrontiert sind. Zwar haben die Krankenhäuser ihre Kapazitäten für die intensivmedizinische Behandlung von Betroffenen massiv ausgebaut, dennoch wird eine „Explosion“ der Zahl an Schwerkranken registriert, wie Chris Hopson vom NHS erklärte. Die Situation werde zusätzlich dadurch verschärft, dass viele Krankenhausmitarbeiter selbst erkrankt sind. Demnach sind 30 bis 40 Prozent der Krankenhausmitarbeiter im Krankenstand; an manchen Orten sind es sogar 50 Prozent. Rund 10.000 Infektionen sind derzeit registriert; insgesamt 463 daran verstorben. Als erstes Land der arabischen Welt hat Saudi Arabien mehr als 1.000 mit dem Corona-Virus Infizierte gemeldet. Auf der gesamten arabischen Halbinsel haben sich laut Angaben der Johns-Hopkins-Universität mittlerweile mehr als 2.600 Menschen mit dem Virus angesteckt; besonders betroffen sind Bahrain und Katar. Auch in Lateinamerika und in der Karibik breitet sich das Corona-Virus rasch aus. Die Zahl der nachgewiesenen Infektionen in dieser Region liegt bei mehr als 20.000. Die meisten Fälle in Lateinamerika mit mehr als 5.700 Infizierten wurden in Brasilien nachgewiesen.

*) Stand: 2. April Quelle: APA

Situation in Österreich
49 Prozent der mit dem Corona-Virus Infizierten sind Frauen, nachdem sich zunächst deutlich mehr Männer als Frauen mit SARS-CoV-2 angesteckt haben. Auch gibt es mit knapp 2.200 Infizierten immer mehr Betroffene in der Altersgruppe der über 64-Jährigen, die nur noch knapp hinter der Gruppe der 45- bis 54-Jährigen liegt und in der bislang die meisten Betroffenen registriert wurden. Mittlerweile gibt es auch knapp 1.000 Infektionen bei den 15- bis 24-Jährigen.“

Der Replikationsfaktor

Der Replikationsfaktor gibt die durchschnittliche Zahl der Personen an, die ein Infizierter ansteckt, bevor er wieder gesund wird oder stirbt und ist damit die für die Epidemie entscheidende Größe. Beträgt der R0 etwa zwei, dann steckt jeder Kranke im Schnitt zwei Personen an; so kommt es dann zu vier, acht, 16 Infizierten. Wenn dann in einem täglichen Rhythmus passiert, gäbe es nach etwas mehr als zwei Wochen 100.000 Infizierte. Die Zahl der Infektionen hängt jedoch auch davon ab, wie viele Personen bereits immun sind. Zum Vergleich: Der Basis-Replikationsfaktor von Influenza liegt bei einem Wert und die zwei; bei Masern liegt er zwischen zwölf und 18. Bei einer Epidemie kommt es bei der Zunahme der Infizierten erst dann zum Stillstand, wenn der Anteil der Immunisierten in der Bevölkerung groß genug ist – was stark vom Replikationsfaktor abhängt. Bei einem Wert von 2,8 breitet sich die Infektion sehr weit aus; das Wachstum stoppt erst bei 65 Prozent der Infizierten. Bei einem R0 von1,02 kommt das Wachstum zum Erliegen, wenn rund zwei Prozent der Bevölkerung infiziert sind. Ist R0 kleiner eins, stirbt die Krankheit exponentiell schnell aus. So ist es in einigen asiatischen Ländern gelungen, den Replikationsfaktor von ursprünglich vier auf unter eins zu drücken.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2020