Interview Stefan Nehrer: „Wissen laufend erweitern“

25.06.2020 | Politik

Einen Bildungswert erzeugen, der den Studierenden etwas bringt – das ist laut dem Dekan der Donau Universität Krems, Univ. Prof. Stefan Nehrer, eines der zentralen Anliegen der Universität. Er sieht den Bildungsauftrag auch darin, den Konnex zwischen Wissenschaft und Praxis herzustellen, wie er im Gespräch mit Sophie Fessl erklärt.


Welche Rolle hat die Donau Universität Krems im Hinblick auf die Weiterbildung von Berufsgruppen, die im Gesundheitsbereich tätig sind?
Die Donau Universität hat den Auftrag, Weiterbildung auf akademischem universitärem Gebiet anzubieten und die Bedürfnisse verschiedener Berufsgruppen abzudecken. Wir möchten einen Additive Value bieten, einen Bildungswert erzeugen, der den Studierenden etwas bringt. Entscheidend in der Weiterbildung sind einerseits fachliche Inhalte, andererseits Inhalte, die wichtig sind, um das eigene Fach weiterzubringen, also Management und Kommunikation. Es ist uns ein großes Anliegen, das zusätzliche Wissen zu vermitteln, das man für Führung, Koordination und Vernetzung braucht. Daher sind etwa Management­Inhalte in alle Lehrgänge eingeflochten.

Wie viele Studierende hat die Fakultät für Medizin?
Insgesamt sind es rund 8.000 Studierende. Die medizinische Fakultät ist nach wie vor die größte Fakultät der Donau Universität Krems und bietet rund 100 Universitätslehrgänge an. Die Studierenden sind im Durchschnitt knapp 40 Jahre alt und haben meist zehn bis 15 Jahre Berufserfahrung. Sie sind beruflich etabliert und möchten sich meist weiterqualifizieren, weil sie gewisse Positionen anstreben.

Welche Angebote haben Sie für Studierende derzeit?
Wir bieten insgesamt eine Kaskade von Bildungseinheiten, die sukzessiv gesteigerte Anforderungen und Umfänge haben. Das beginnt mit Seminaren zu bestimmten Themen, gefolgt vom ‚Certified Program‘ und der Ausbildung zum akademischen Experten. Diese Programme sind mit ECTS­Punkten abgebildet. Weiters bieten wir Master­Lehrgänge zwischen 500 und 800 Lehrstunden an sowie ein PhD­Studium in Regenerativer Medizin.  

Wo liegen die Schwerpunkte in der Ausbildung? Ein großer Schwerpunkt liegt im Bereich Gesundheitsmanagement. Dabei sprechen wir Personen an, die sich für Führungspositionen im Medizinbereich oder auch für die kollegiale Führung qualifizieren möchten. Ebenso bilden wir Pflegepersonal oder Haustechnik­Personal für Operationsmanagement oder Medizingerätebeschaffung weiter. Hier geht es darum, die gesamte Komplexität dieser Themen zu vermitteln. Ein weiteres Bedürfnis, das wir abdecken, ist die Akademisierung von gewissen Berufsgruppen, insbesondere im Pflegebereich und bei den medizinischtechnischen Berufen. Eines unserer Anliegen ist dabei Lifelong Learning. Wir versuchen, Bildungsinhalte so aufzuarbeiten, dass die Ausbildung durchlässig wird. Möchte jemand, der schon berufliche Erfahrung hat, einen weiteren Karriereschritt machen, kann er sich bei uns dafür qualifizieren. Andererseits bieten wir in unseren Programmen auch die Möglichkeit, sich Wissen anzueignen, das tiefer geht als das, was man im Routine­Betrieb mitbekommt. In dem Bereich, in dem ich tätig bin, der Orthopädie und Traumatologie, geht es da etwa um Computer­assistierte Therapie, Digitalisierung oder auch moderne biotechnologische Verfahren.

Woran orientiert sich das Angebot an Lehrgängen? Wir greifen aktuelle Themen auf, formen daraus Lehrgänge und bieten diese Ausbildungen an, denn die Weiterbildungsbedürfnisse ändern sich ständig. Im fachlichen Bereich ist der Master­Lehrgang ‚Advanced Orthopedics and Traumatology‘ ein Beispiel. Als Orthopäde befasse ich mich mit regenerativen Verfahren. Als ich vor 15 Jahren an die Donau Universität Krems gekommen bin, habe ich bemerkt, dass das Wissen über solche Verfahren in der Breite nicht vorhanden ist. Daher unterrichten wir im Lehrgang jetzt solche Verfahren, die in der Routine noch nicht so vorkommen.

Welche besonderen Ansprüche haben diejenigen, die Sie als Zielgruppe ansprechen? Im Modus bieten wir e­Learning und Blended Learning an. Die Lehrgänge haben drei bis vier Präsenzwochen pro Jahr, der Rest der Inhalte wird von zu Hause aus online gelernt. Durch COVID­19 wurden alle Lehrveranstaltungen online und wir konnten hier sehr flexibel reagieren. Und wenn jemand mit 35 oder 40 Jahren wieder die Schulbank drückt, ist er nicht wie ein Maturant, der frisch in ein Thema kommt. Jemand, der zehn Jahre lang stationsführender Oberarzt war, kennt das Ganze. Der hat besondere Fragen und will auf diese Antworten haben. Daher brauchen wir geübte Lektoren mit sehr hohen Qualifikationen. Ich sehe unseren Bildungsauftrag auch darin, den Konnex herzustellen, damit die Wissenschaft in die Praxis kommt.

Wie gelingt das? Für uns ist forschungsgeleitete Lehre wichtig. Forscher, die ein Thema bearbeiten, lehren dieses Thema auch. Ein Beispiel ist die Evidenz­basierte Medizin. So hat etwa das Cochrane­Zentrum Österreich im Zuge der Corona-Pandemie die momentane Literatursituation in diesem Bereich zusammengefasst, auch im Auftrag der WHO. Die Forscher unterrichten aber auch: Wie man die Literatur analysiert, wie man erkennt, ob ein Paper einen wissenschaftlichen Wert hat und wie hoch der Evidenz­Grad ist.

Welche Bereiche haben Ihrer Ansicht einen besonderen Stellenwert? Als Dekan bin ich für die ganze Fakultät zuständig. Das ist also schwer zu gewichten. Es gibt ein Zentrum für Regenerative Medizin. Wir befassen uns aber auch mit Plasma und damit, wie wir Heilungsprozesse am Gelenk unterstützen können und wir beschäftigen uns mit digitaler Medizin und digitaler Bildanalyse. Das ist mir am nächsten, weil ich dieses Gebiet selbst beforsche. Im Bereich der Neurowissenschaften sind wir in der Forschung zur Prävention von Schlaganfall führend. Ein weiterer biomedizinischer Schwerpunkt der Fakultät befasst sich mit Blutreinigung und künstlichem Organersatz. Hier arbeiten wir mit Firmen zusammen, um Produkte weiterzuentwickeln. Und im Bereich der Psychotherapie sind wir einer der größten berufsständischen Ausbildner.

Wie haben Sie die Entwicklung der medizinischen Fakultät erlebt? Als ich im akademischen Jahr 2005/2006 an die Donau Universität Krems gekommen bin, wurde sie gerade als Bundesuniversität gegründet und der Campus neu gebaut. Ab 2011 wurden die Fakultäten gegründet und seither bin ich Dekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin. Damit habe ich mich schwerpunktmäßig auf die Entwicklung der Medizin und Gesundheitswissenschaften verlegt.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Fakultät? Ich glaube, dass wir eine sichere Zukunft haben, weil der Bildungsbedarf bei den Angehörigen der Medizin­ und Gesundheitsberufe zunimmt. Außerdem gibt es neue Entwicklungen wie zum Beispiel im Digitalisierungsbereich. Es wird daher an der Donau Universität auch eine Professur für Digitalisierung geben. Ganz generell werden wir mehr in Richtung Tele­Learning gehen, da es flexibler ist und uns krisensicherer macht.

Wie würden Sie die Fakultät für Medizin in einem Satz beschreiben? Weiterbildung, gesellschaftliche Relevanz, Aufgreifen von aktuellen Themen, Blended Learning – das kennzeichnet die Universität. Dadurch bieten wir eine sehr hohe Flexibilität und hohe Attraktivität für Studierende, die ein ganz spezielles Bildungsprogramm brauchen.


ZUR PERSON

Reifeprüfung mit ausgezeichnetem Erfolg am SportRealgymnasium Eisenstadt; Studium der Humanmedizin an der Universität Wien. Nach dem Turnus Ausbildung zum Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie. 14 Jahre leitender Oberarzt an der Universitätsklinik für Orthopädie der Medizinischen Universität Wien. Auslandsaufenthalte u.a. am Sportmedizinischen Institut Freiburg und als Orthopedic Research am Brigham & Women´s Hospital/Harvard Medical School mit dem Schwerpunkt „Experimentelle Entwicklung von Knorpelzell­Transplantationssystemen mit Kollagen Matrices“. Seit 2006 Leiter des Zentrums für Regenerative Medizin an der Donau Universität Krems. Von 2009 bis 2010 Vizerektor für Forschung und Technologie. Seit 2011 Dekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin; seit 2013 Leiter des Departments für Gesundheitswissenschaften, Medizin und Forschung.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2020