Corona und Wirtschaft: Was kostet Corona?

25.06.2020 | Coronavirus, Politik

Deutsche Forscher haben eine Szenarien-Rechnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie erstellt und resümieren: Eine langsame und schrittweise Lockerung der einschränkenden Maßnahmen ist im Sinne von Ökonomie und Gesundheit.

Wie können die einschränkenden Maßnahmen und deren anschließende Lockerung gestaltet werden, um die Basisreproduktionszahl (R0) zu senken, möglichst wenige Tote zu riskieren und zugleich einen Einbruch der Wirtschaft zu verhindern? Eine Studie des ifo Instituts (ifo) und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) hat die gemeinsamen Interessen von Gesundheit und Wirtschaft modellhaft beleuchtet. Das Setting der Studie berücksichtigte als Ausgangspunkt die Situation vor den beschlossenen Lockerungsmaßnahmen von Ende April und Anfang Mai 2020 in Deutschland sowie als Status quo die Situation des Zusammenhangs zwischen Shutdown-Maßnahmen, R0 und der Wirtschaftsleistung in der Phase größerer Einschränkungen bis zum 20. April 2020. Darauf basierend wurden verschiedene Szenarien erstellt, um den besten wirtschaftlichen Weg zu eruieren, der sich darüber hinaus mit einer weiteren Eindämmung von SARS-CoV-2 „verträgt“.

Schnelle oder langsame Lockerung?

Entscheidend für einen Rückgang der Fallzahlen ist eine niedrige Rate an Neuinfektionen. In der Studie ging man davon aus, dass bei 300 neuen Fällen täglich ein Großteil der Neuinfizierten sowie deren Kontaktpersonen ausgemacht und unter Quarantäne gestellt werden kann. Dies erlaube eine weitgehende Lockerung der einschränkenden Maßnahmen ohne daraus resultierende weitere Ansteckungen mit COVID-19. Aufgabe der Politik ist es – so die Experten – die Waage zwischen dem Beschränkungsausmaß und den wirtschaftlichen Konsequenzen zu halten. Klar ist: Je strenger die Maßnahmen, desto besser wirkt sich das auf R0 aus. Diese liegt nach derzeitigem Erkenntnisstand* für Österreich unter 1 – in der zweiten Märzhälfte 2020 lag sie noch über 3. Die österreichische Regierung reagierte rasch auf die Ausbreitung des Virus, die Reproduktionszahl sank entsprechend. Eine in der Studie simulierte Alternative wären frühere Lockerungen, die Beschränkungen müssten wesentlich länger eingehalten werden, die R0 läge höher. Zwar träfe diese Variante die Wirtschaft im ersten Moment weniger hart, dennoch müsste die Produktion für länger auf einem niedrigeren Niveau verweilen. Die Strategie berge Konfliktpotential zwischen dem Schutz der Bevölkerung und dem der Ökonomie – vor allem deswegen, da es bei einer zu großzügigen Öffnung im Sinne der Wirtschaft erhöhte Erkrankungs- und Todesfällen gäbe. Das würde wiederum der Wirtschaft schaden, da aufgrund der länger andauernden Beschränkungen die wirtschaftlichen Kosten insgesamt gesehen höher ausfallen würden.

Eine weitere in der Erhebung beleuchtete Option ist eine Stabilisierung von R0 auf 1 – und zwar so lange, bis ein Impfung zur Verfügung steht. Schätzungen des Paul-Ehrlich-Instituts gehen von einem verfügbaren Impfstoff mit frühestens Juli 2021 aus. Die Infektionszahlen würden auf einem gewissen Niveau stagnieren, aber nicht sinken. Zusammengefasst: Langsame Lockerungen des Shutdowns und ein R0 von 0,75 führen zu fallenden wirtschaftlichen Kosten, schnelle Lockerungen und ein R0 über 1 würden auf lange Sicht zu höheren Einbußen führen.

Epidemiologisches und ökonomisches Modell

Für die Erstellung des epidemiologischen Modells nahmen die Autoren unterschiedliche Reproduktionszahlen an und bildeten die Fallzahlentwicklung in einer prospektiven Studie ab. Die verschiedenen R0-Werte korrelieren dabei mit der Strenge der jeweiligen skizzierten Maßnahmen. Für die unterschiedlichen Maßnahmenpakete wurden die Zeit bis zum Erreichen von maximal 300 COVID-19-Fällen täglich sowie die projizierten Todesfälle ermittelt. Für beide Szenarien – angestrebte Senkung des R0 bei strengeren Beschränkungen beziehungsweise konstant halten von R0 bei weniger restriktiven Maßnahmen bis die Impfung kommt – wurden die berechneten Zeiten als Dauer des nötigen Shutdown interpretiert.

Das ökonomische Modell simuliert die wirtschaftlichen Kosten über die Dauer des Shutdown bis zum Erreichen der Zielgröße an täglichen Neuinfektionen und die veränderte Wirtschaftsleistung in den einzelnen Wirtschaftsbereichen je nach Strenge der Maßnahmen. Man ging von einer reduzierten Wirtschaftsleistung während des Shutdown und einer gedämpften nach Lockerung der Maßnahmen aus. Jene Erholungsphase dauert einige Monate an, bis der ohne Corona-Krise postulierte ökonomische Zustand wieder eingetreten ist.

Schrittweise lockern

Die Ergebnisse der Studie weisen in eine eindeutige Richtung:
Eine langsame Lockerung der Maßnahmen ist aus ökonomischer Sicht einer weiteren Verschärfung vorzuziehen, wie ein Überblick zur möglichen Entwicklung der Gesamtkosten zeigt (siehe Kasten). Fälschlicherweise ist eine rasche Lockerung allerdings nicht von ökonomischem Vorteil: Schon bei einem konstanten R0 von 1 bis zur Verfügbarkeit einer Impfung würde dies deutlich höhere Gesamtkosten (7,7 Prozent des BIP von 2020/2021) verursachen als Strategien mit einem niedrigeren R0. Würde die Reproduktionszahl über 1 steigen, zöge das außerdem das Risiko für erneute Maßnahmenverschärfungen und daraus erst recht resultierende wirtschaftliche Benachteiligungen nach sich. Dazu würden starke Lockerungen auf Basis des Studienszenarios zu einer Erhöhung der Zahl der an COVID-19 Verstorbenen führen. Eine langsame und stetige Lockerung des Reglements ist folglich im Sinne von Gesundheit und Wirtschaft.

Die Studienautoren schlussfolgern, dass eine leichte, stufenweise Lockerung der Shutdown-Maßnahmen am besten geeignet ist, um den volkswirtschaftlichen Schaden durch die Corona-Krise am geringsten zu halten, ohne dabei die medizinischen Ziele zu gefährden. Maßnahmen wie verstärktes Testen seien im Rahmen voranschreitender Lockerungen jedoch unabdingbar. Um weitere Lockerungen zu ermöglichen und somit eine Senkung der wirtschaftlichen Kosten zu erzielen, braucht es überdies Verhaltensanpassungen der Bevölkerung wie das weitere Einhalten der Hygieneregeln, mahnen die federführenden Wissenschafter. (JW)

*Stand: 15. Juni 2020


Tipp: Die Studie zum Nachlesen gibt es unter https://www.ifo.de/publikationen/2020/article-journal/das-gemeinsame-interesse-von-gesundheit-und-wirtschaft

 


Corona-Szenarien: Auswirkung auf die Gesamtkosten

  • Verlängerte Beibehaltung der Beschränkungen (Status quo, R0 0,627): Wertschöpfungsverlust von fünf Prozent des gesamten BIP der Jahre 2020 und 2021; das entspricht 333 Milliarden Euro.
  • Leichte Lockerungsmaßnahmen (R0 0,75): wirtschaftlicher Wertschöpfungsgewinn im Vergleich zum Status quo von 26 Milliarden Euro (= Reduktion der volkswirtschaftlichen Kosten um 0,4 Prozent)
  • Weitere Öffnung (R0 0,9): keine wirtschaftlichen Besserstellungen
  • Verschärfung der Maßnahmen (R0 0,5 beziehungsweise 0,1): in jedem Szenario zusätzliche wirtschaftliche Verluste von 1,1 beziehungsweise 4,2 Prozent (= Erhöhung der Gesamtkosten gegenüber dem Status-quo-Szenario von 77 beziehungsweise 277 Milliarden Euro)

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2020